Jetzt funkt’s! (I)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 16 Uhr 37 Minuten

 

Jetzt funkt’s. Oder: Was kommt nach der Digitalisierung
Erster Teil: IFA-Analogien am Ende des analogen Zeitalters.

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Als Reaktion auf die Pressekonferenz vom 2. August 2007 als Draft zur Diskussion ins Netz gestellt und in soweit lese- aber (noch nicht) zitierfähig. Die Zitatfreigabe erfolgt nach der Publikation in IFA-Ausgabe 07/03 von „MAGAZIN 2006. Klick-online“ [1]

Erster Teil: hier nachfolgend publiziert

Auf der IFA ist nicht die Elektronik das Wichtigste, sondern die Unterhaltung.

Auf der IFA ist nicht die Deutsche Sprache das Wichtigste, sondern Englisch.

Auf der IFA sind nicht die Größen das Wichtigste, sondern das Größte.

Auf der IFA ist nicht Herr Göke der Wichtigste, sondern Miss IFA.

Auf der IFA ist nicht das Erleben das Wichtigste, sondern das Event.

Auf der IFA ist nicht das Sagenhafte das Wichtigste, sondern das Wording.

Auf der IFA ist nicht die Seele das Wichtigste, sondern deren empowerment.

Auf der IFA ist nicht die Technik das Wichtigste, sondern die Begeisterung.

Auf der IFA ist nicht die Messe das Wichtigste, sondern der Markt.

Auf der IFA sind nicht der Berliner das Wichtigste, sondern Berlin.

Auf der IFA ist nicht die Kunst das Wichtigste, sondern der Consumer.

Auf der IFA ist nicht die Interaktivität das Wichtigste, sondern die Personalisierung.

Auf der IFA ist nicht das Publikum das Wichtigste, sondern man selbst.

Auf der IFA sind nicht die Leute das Wichtigste, sondern die Margen.

Auf der IFA ist nicht Konvergenz das Wichtigste, sondern der Alleskönner.

Auf der IFA ist nicht die Zukunft das Wichtigste, sondern die Digitalisierung.

Zweiter Teil: als Vorschau für das Jahr 2008

Auf der IFA ist nicht das Geschehen das Wichtigste, sondern die Geschichte.

Auf der IFA sind nicht die Tage das Wichtigste, sondern die Nächte.

Auf der IFA ist nicht Belesenheit das Wichtigste, sondern gelesen zu werden.

Auf der IFA ist nicht Farbenfreude das Wichtigste, sondern Multimedia.

Auf der IFA ist nicht die IFA das Wichtigste, sondern ihr Brand.

Auf der IFA ist nicht die Lokation das Wichtigste, sondern der Lockvogel.

Auf der IFA sind nicht der Sound das Wichtigste, sondern sein Echo.

Auf der IFA ist nicht die Broschüre das Wichtigste, sondern der Bierdeckel.

Auf der IFA ist nicht der Schlips das Wichtigste, sondern die Sommerbräune,

Auf der IFA ist nicht der Sommergarten das Wichtigste, sondern das Weihnachtsgeschäft.

Auf der IFA sind nicht die Liebschaften das Wichtigste, sondern die Beziehungs-Kisten.

Auf der IFA ist nicht der Ort das Wichtigste, sondern der Verabredungstreffpunkt.

[...]


Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Auf der IFA ist nicht die Elektronik das Wichtigste, sondern die Unterhaltung.

Es mag banal klingen, und es ist doch mehr als berechtigt klar zu machen, worum es heute auf der IFA im Grunde geht. Es geht um das Gespräch als Grundlage eines Geschäftes. Es geht um Unterredungen über den An- und Verkauf von Gütern und Dienstleistungen der Unterhaltungselektronik. Es geht um die Geschäftsanbahnungen einer ganzen Branche, die sich national aufstellt aber nur noch im internationalen Wettbewerb überleben kann. Und es geht um den Überlebenskampf der wenigen noch verbliebenen Deutschen Namen in diesem Wettbewerb. Falls man nicht wie ein Nordmende – dem Borgward der Deutschen Braunen Ware - im Niemandsland verschwinden will, muss sich ein Metz, ein Loewe, ein Grundig, ein Schneider, nach neuen Verbindungen ausschauen und nach Verbündeten, die von ihnen mehr wollen als „nur einen deutschen Namen.

Auf der IFA ist nicht die Deutsche Sprache die Wichtigste, sondern Englisch.

Dabei findet bis heute die Eröffnungsgala immer noch auf Deutsch statt. Aber all die Hinweisschilder, so wurde auf der Pressekonferenz am 2. August verkündet, die sollen in diesem Jahr ganz bewusst so konzipiert worden seien, dass auch der deutschsprachige Besucher eine Möglichkeit hat, sich in diesem Bezugsrahmen einer Consumer Electronics Show zu orientieren. Dabei kommt das Englische den Deutschen durchaus zu Hilfe. Wer auf die Webseite www.ifa-berlin.de geht wir auch beim Aufrufen dieser „.de“-Adresse zunächst mit einem englischsprachigen Intro konfrontiert, auf dem auf riesenroten Meilensteinen davon die Rede ist, die IFA sei „the world’s largest Consumer Electronics trade show“ während die Konkurrenz in den USA unter www.cesweb.org dieses Poleposition mit den Worten „The World’s Largest Annual Tradeshow for Consumer Technology!“ für sich in Anspruch nimmt.

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Auf der IFA sind nicht Größen das Wichtigste, sondern das Größte.

Auch hier waren die wenigen Hinweise auf der Pressekonferenz durchaus symptomatisch. Nicht die Hinweise auf all die Stars und Sternchen waren es, mit denen die Redezeit hätte gefüllt werden müssen, sondern das Spekulieren über den Umstand, dass man mit Zahlen aus Ausstellern und verkauften Flächen an jene Rekordjahre herankommt, in denen die IFA „nur“ im zweijährigen Turnus stattgefunden hatte. Dabei wurde mit großem Geschick und viel Verve genau das zum Highlight erklärt, was man sonst den Veranstaltern allzu gerne immer zum Vorwurf gemacht hat: dass ganze Schulklassen auf das Gelände gekarrt werden würden. Heute ist dieses Übel in ein Wohl verwandelt worden. Und das Ganze zu einem einmaligen Sonderpreis für pauschal 30 Euro. Eine Flatrate für junge Flegel die funktionieren wird, weil die Lehrer als Begleit- und Aufsichtspersonal auch noch gleich in diesen Tarif mit einbezogen werden . So können diese endlich einmal auf Kosten ihrer SchülerInnen dabei sein und zugleich im Interesse des Veranstalters für vermehrte Präsenz und Disziplin sorgen. Wenn das keine win-win -Situation ist?

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Auf der IFA ist nicht die Jugend das Wichtigste, sondern eine next generation strategy.

Auch wenn die Vielfalt der Inszenierungen mit aller Gewalt versucht, diesen Satz in Abrede zu stellen, gerade der Versuch, so unendlich jung und dynamisch auftreten zu wollen lässt den heimlichen Verdacht zu, dass hier nicht die jungen Leute für Ihresgleichen eine Messe machen, sondern einige einflussreiche alten Heren sich warm angezogen und begriffen haben, dass sie mit ihrer Firma nur überleben können, wenn sich diesem Diktat der Jugendlichkeit nicht zu unterwerfen bereit sind.
Es sind jetzt gut und gerne 10 Jahre her, dass - wenn man die IFA schon nicht vom Kopf auf die Füsse hat stellen können - sie doch zumindest umgedreht werden sollte: "Die AFI kommt, die IFA bleibt" heiss das Motto von damals. "AFI" stand für "All Freaks Invited".
Bis dahin hatten viele Entscheider bestenfalls ein offenes Auge und Ohr in die Zimmer ihrer Kinder geworfen und sodann sich mit guten Studien und Beratern ausstaffiert um zumindest im Ansatz zu begreifen, wohin der Zug der Zeit abgeht. So jung und locker sich die Messe auch auszustaffieren gedenkt, die meisten der Entscheider in diesem Umfeld waren und sind auch heute noch fellow-travellers und keine trend setter.

Auf der IFA ist nicht Herr Göke der Wichtigste, sondern Miss IFA.

Dabei ist es dem Vertreter der Messegesellschaft – als pars pro toto – wirklich abzunehmen, wenn er meint, dass man nicht nur verwalten, sondern auch gestalten wolle. Und es ist durchaus angenehm zu erleben, mit wie viel Engagement gerade in den ersten Jahren der neuen Regentschaft hier versucht wurden zu klotzen, anstatt zu kleckern. Aber auch die junge Garde des Hauses hat sich inzwischen die Hörner abstoßen müssen. Im Umgang mit den großen internationalen Ausstellern ebenso wie bei dem Versuch, die Games-Szene mit auf die IFA nach Berlin zu holen. Nein, so heißt es dieser Tage, die IFA solle nicht wirklich auf dieses Thema weiter ausgeweitet werden, auch wenn man heute das eine oder andere Highlight auch im Spielebereich aufgesetzt habe. Das hat vor zwei Jahren noch ganz anders geklungen. Und wenn auch nicht alle Träume in den Himmel gewachsen sind, dass gerade an dieser Stelle an nachhaltiger Gestaltungswille vorliegt, verdient Anerkennung.

Und dass dem so ist – in schlechten wie in guten Zeiten – zeigte sich jetzt wieder auf der schon erwähnten Vorpressekonferenz. Alles war minutiös und Zeile für Zeile vorbereitet worden. Die Aussagen des Industrievertreters waren auf einem entsprechenden Spickzettel zusammengefasst worden, die des Messevertreters auf PowerPoint-Charts, die der Pressemappe nicht beilagen. Dennoch konnte er nach seiner Präsentation einige kleinere Beifallsbekundungen für sich verbuchen. Diese aber wurden aber von einem deutlichen Applaus übertönt, der bei der Vorstellung der Miss IFA aufbrandete. Und das machte dem doch so erfolgreichen Mann doch so zu schaffen, dass er diesen Zustand nicht unkommentiert auf sich hat beruhen lassen können.

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Auf der IFA ist nicht das Sagenhafte das Wichtigste, sondern das Wording.

Wer sich hinter den Kulissen einer solchen Veranstaltung auskennt weiß wie wichtig es ist, dass auf solchen Veranstaltungen möglichst nichts dem Zufall überlassen bleiben sollte. Es gibt kaum einen Satz, der nicht mannigfach zurechtgerüttelt und abgewogen worden wäre. Und so ist es natürlich klar, dass gerne auf die Unwägbarkeiten des Lebens spekuliert wird, die einem dann einen kleinen – vielleicht auch unfreiwilligen - Blick hinter die Kulissen erlauben. Nicht ohne Grund beginnt immer dann das Blicklichtgewitter der Fotografen, wenn der Sprecher mit einer besonderen Geste seine Sätze zu unterstreichen sucht oder einen Moment lang aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Für all die gedungenen Lohnschreiber vom Dienst eine kleine Extra Portion jenes wirklich Sagenhaften, das in keinen der vorgestanzten Formulierungen und Datenbeständen noch eine Existenzberechtigung hat.

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Insofern – auch wenn es vielleicht als Inszenierung gar nicht so bewusst angelegt sein mochte – war besonderS beeindruckend, auf der Bühne der Pressekonferenz eines Mannes gewahr zu werden, der die ganz Zeit auf dem Podium saß, aber zu keinem Moment und nicht einmal zu einer der wenigen Fragen etwas zu sagen gehabt hatte.

So wollen wir denn auch diesen ebenso peinlichen wie sympathischen Lapsus über den Grad des Applauses für den CCO im Vergleich zu Miss IFA denn auch nicht weiter unnötig auskommentieren, sondern lediglich zum Anlass nehmen, dass es zu den eisernen Gesetzen einer solchen Veranstaltungen gehört, dass das Event Vorrang hat vor dem eigenen Erleben.


Auf der IFA ist nicht das Erleben das Wichtigste, sondern das Event.

Auch hier soll sogleich mit einem großen Vor-Urteil aufgeräumt werden. Eine IFA ohne Wurststände und Luftballons ist auch heute noch undenkbar. Und es wird auch in Zukunft immer solche kleinen markanten Merkpunkte des Erlebens geben, die so unmittelbar sind wie die Wurst auf der Hand und nachhaltig wie der Luftballon im eigenen Kinderzimmer. So wie das Schmalzgebäck auf dem Freimarkt in Bremen oder das Bier auf der Wiesn in München. Sicherlich ist und bleibt die IFA ein „Publikumsmagnet“ wegen seines Eventcharakters. Und daran wir auch in Zukunft hart gearbeitet werden müssen. Und doch fällt auch, dass viele dieser anstehenden Veränderungen sich als deutliche Anleihen auf die Tradition früherer Jahre verstehen: so wie der Versuch der Revitalisierung des Sommergartens. Oder ein Funkturm in Flammen.

So sehr auch das Event in den Vordergrund des Marketings gestellt werden mag, mögen wird es der Betrachter nur dann, wenn es sich für ihn wirklich in ein Erlebnis verwandelt. Und diese Kunst, das zu erreichen, fängt - auch bei all den gewaltigen Anstrengungen und Ausmaßen - im Allerkleinsten an. Selbst vor einer Würstchenbude ersetzt der Hunger allein noch lange nicht ein gutes Marketing. Oder doch?

Auf der IFA ist nicht die Seele das Wichtigste, sondern deren empowerment.

Und wie ist es mit dem Hunger der Seele? So wie die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig food for thought bieten sollen, sollen die nun alljährlichen Veranstaltungen der IFA als Höhepunkt der Präsentation der Unterhaltungselektronik dem Besucher durch Mark und Bein gehen. Das stimmt im direkten wie im übertragenen Sinne: die IFA muss man sich als normalsterblicher Besucher erlaufen können und dafür gut zu Fuß sein. Die Hallen und Stände sind immer noch vor allem Mittel der Re-Präsentation. Der Dialog mit dem Laufpublikum findet im Stehen statt, der mit den Multiplikatoren, Händlern und VIPs im Sitzen. Man muss bereit und in der Lage sein, eine sehr häufig wechselndes akustisches Umfeld mit hohem Pegeldruck zumindest aushalten zu können – und vielleicht sogar genießen zu wollen. Mal ganz abzusehen von der riesigen Anzahl von Fernsehern, Monitoren und Projektionsflächen, die so gewaltig sein soll, dass keiner sie bislang wirklich zu zählen vermocht hat.

Eigentlich erstaunlich, dass noch keiner auf die Idee gekommen ist, beim Publikum zu einem Wettbewerb aufzurufen, in dem es zum Beispiel um die Frage geht, wie viele „Mattscheiben“, welcher Art auch immer, es auf der Messe zu sehen gibt. Die meisten Besucher der Messe sind schon heute als „user“ im Internet inter-aktiver als sie es im Verlauf eines gesamten Messebesuchs sein können. Warum eigentlich. Der Satz, dass man das, was man nicht im Kopf, in den Beinen habe, stimmt so heute nicht mehr.

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Auf der IFA ist nicht die Technik das Wichtigste, sondern die Begeisterung

Würde heute noch ein Satz wie „Technik, die begeistert“, erfunden – und vor allem eingesetzt – werden können? Auch gerade der Tatsache zum Trotz, dass sich die technischen Innovationszyklen immer mehr verkürzen, Jahrzehnte durch Jahresfristen ersetzt worden sind? Wird the need for speed im zunehmenden Veitstanz um und vor dem Konsumenten von diesem eher als Vorteil wahrgenommen oder als Beeinträchtigung? Was an dem technischen Fortschritt ist für ihn technisch nachvollziehbar, was mental erlebbar und was „imagemässig“ vorzeigbar?

Jede Messe ist für jeden Aussteller jedes Mal wieder eine neuer Herausforderung, da immer wieder alle diese drei Fragen von Bedeutung sind. Vernachlässigt werden darf keine von ihnen. Und doch zeichnet sich eine deutliche Verschiebung der Prioritäten ab. Immer mehr Firmen wenden immer mehr Mittel dafür auf, um sich nicht länger nur als Technikschmiede zu profilieren, sondern als Lieferanten eines Lebensgefühls. Auch wenn – wie oben schon als Thema angedeutet – viele Begrifflichkeiten in diesem Umfeld heute in englischer Sprache daherkommen, sprechen sie im Grunde doch ein Reihe von Tugenden an, die in vielen Fällen sogar als „typisch deutsch“ qualifiziert werden können. Aber auch andersherum wird ein Schuh draus. Die Tatsache, dass ein Technik-Format wie „MP3“ aus Deutschland kommt, wird vor allem die jugendlichen „user“ nicht dahin hindern, auf nachfolgende Formate wie OGG-VORBIS umzusteigen, zumal wenn sich diese als noch potenter erweisen und das bei einer geringeren Menge an Eigendaten und – zu allem Überfluss auch noch – frei von Lizenzgebühren.

Auf der IFA ist nicht die Messe das Wichtigste, sondern der Markt.

Damit nähern wir uns auf leise Füssen aber eben doch Schritt für Schritt dem wichtigsten Thema der IFA: der ökonomischen Seite. So hoch der Bekanntheitsgrad der IFA auch als Publikumsveranstaltung sein mag, ihr Wohl und Wehe entscheidet sich vor allen als Ordermesse für den Handel. Jede Branchen braucht ihren Treffpunkt und das am richtigen Ort und zur richtigen Zeit. Und dass Berlin der richtige Ort ist, haben nicht zuletzt die Bestrebungen großer Aussteller gezeigt, zwar während der IFA-Tage in Berlin präsent zu sein, aber dafür nicht mehr das Messegelände zu nutzen, sondern andere Locations.

Insofern hat die hier gewählte Überschrift gleich eine doppelte Bedeutung. Zum einen zeigt sie an, dass bei allem „Drumherum“, neben all den Events und bekannten Namen der eigentliche Kern der Messe ganz bewusst als ein von der Öffentlichkeit abgeschirmter Ort beschrieben werden kann, der sich für das Laufpublikum in the middle of nowhere befindet. Zum anderen evoziert sich die Möglichkeit, zeigt an, dass eben dieser Zentrale Ort des ökonomischen Geschehens ein eher volatiler sein kann, unabhängig von“dem Trubel des Pöbels und der Politik“. Die Messe ist und bleibt dafür ein unwirklicher Ort. Das ist – wohl inszeniert – ihr Vorteil. Aber kann sich auch angesichts der damit verbundenen Koste zu ihrem Nachteil verwandeln. Hier bietet das Dickicht einer Stadt wie Berlin ganz ungeahnte Alternativen – heute noch mehr denn je.

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Auf der IFA sind nicht der Berliner das Wichtigste, sondern Berlin.

Berlin ist eine Reise Wert. Und das ist clever eingefädelt. Für 138,- Euro mit Germanwings aus jeder von dieser Fluggesellschaft bedienten Stadt nach Berlin. Hin und zurück. Inklusive Heli-Lift von Schönefeld zum Messegelände – und retour. Mit Speck fängt man Mäuse. Der „Speck“ ist der Hubschrauber, und die Maus ist die „graue Maus“, die endlich einmal die Chance hat, zu einem erschwinglichen Preis wie ihr Chef oder ihre Chefin bedient zu werden.
So kann bereits beim Anflug die Großstadt als eine echt große Stadt erlebt und bei der Abreise das Ganze nochmals unter dem Eindruck der „Lichter einer Großstadt“ genossen werden. (Der Versuch, diese Buchung per Telefon zum Preis von 0.99 Eurocent pro Minute vorzunehmen, misslang. Man würde nach der Registrierung alles im Internet finden, so die Auskunft. In der Tat ließ sich ein Angebot für einen Flug von München nach Berlin und zurück für 118 Euro Gesamtpreis finden. Und angeblich gibt es beim Vorzeigen der Buchungsbestätigung an der Kasse einen kostenlosen Eintritt. Aber, so die Service-Auskunft auf der Seite „germanwings.com“, „Hotel, Mietwagen und Transport-Angebote für Ihr Reiseziel“ würden erst nach der Buchung angezeigt.)

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Schade, dass wir diese Möglichkeiten (auch wenn Sie weder telefonisch bestätigt noch im Internet angezeigt werden konnten) noch nicht angesichts der Laser-Licht-Installation „High-Light-O“ zum 75 Jahrestag der IFA im Jahr 1999 zur Verfügung hatten. Damals wurden die historischen Orte dieser „Funk“-Ausstellung: der alte Funkturm im Westen der Stadt, der Fernsehturm im Osten der Stadt und das VOX-Haus in unmittelbarer Nähe des damals noch im Bau befindlichen SONY-Center Turms ( in dem inzwischen die Deutsche Bahn - zu einem Irrsinnspreis – eingezogen ist ). Dass aber dennoch auch die Berlinerinnen und Berliner etwas davon haben zeigt, dass eben diese Lichtinszenierung nach der unangefochtenen Nummer eins der Kunst im öffentlichen Raum, der Verhüllung des Reichstages durch Christo und Jeanne-Claude, immer noch als eines jener maßgeblich prägenden Ereignisse im kollektiven Gedächtnis der Stadt haften geblieben ist.

Auf der IFA ist nicht die Kunst das Wichtigste, sondern der Consumer.

Dennoch. Wir reden hier von jenen wenigen Ausnahmen, die die Regel bestimmen. Eines der wesentliche Wagnisse der damaligen Lichtinszenierung war die Herausforderung bei der Finanzierung des Projektes ohne jene angebotenen Mittel auszukommen, die von einer namhaften Firma bereitgestellt worden wären, wenn mit Hilfe der Laserstrahlen auch von Zeit zu Zeit die Namen ihrer neuen Brandings an den Himmel gemalt worden wäre. Es ist schwer zu sagen, ob der damals gewagt Versuch, ohne dieses Geld auskommen zu wollen, heute noch erfolgreich hätte wiederholt werden können. Er war vielleicht naiv, aber wenn, dann im Sinne eines jener Meisters der deutschen Schrift- und Bühnenkultur der als Naivität diejenige Kunst bezeichnete, gerade das Einfache gut zur Geltung zu bringen, das so schwer zu machen sei.
Brechts Aufforderung, nicht so romantisch zu glotzen ist ebenso apodiktisch wie weltfremd – und doch entstanden aus einem sehr klaren Verständnis darüber, wie die Welt der Wahrnehmung organisiert ist. Aber selbst sie Versuche, heute der Glotze eine zunehmend interaktive Komponente abzugewinnen, bedeutet noch lange nicht, dass nunmehr - end in the end … wie die Beatles schon gesungen haben – die Kunst über den Kommerz gesiegt habe. Ganz im Gegenteil.

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Auf der IFA ist nicht die Interaktivität das Wichtigste, sondern die Personalisierung.

i-pod; i-tunes; i-phone; i-tv? Diese Messe wird zweierlei gleichzeitig in Angriff nehmen: die Frage nach der neuen interaktiven Mediennutzung wird zum einen gespiegelt an den neuen Möglichkeiten von IP-TV und Co – und zum anderen durch neue Konzepte der zunehmenden individuellen Adressierbarkeit des Konsumenten. Während auf der einen Seite die fortlaufenden Änderungen der Rundfunkstaatsverträge denn allfälligen Entwicklung mehr Recht als Schlecht hinterherhinken, hat selbst der traditionelle Rund-Funk schon längst die Pespektiven und Potenziale eines One-to-One-Szenariums im Rahmen seiner herkömmlichen Broadcast-Strategien entdeckt: better late than never.

Wer heute in den USA auf den großen Empfängen meint, sich noch in der Nähe der einflussreichen Majors von „Film, Funk und Fernsehen“ aufhalten zu sollen, hat nicht begriffen, dass auch die Broadcaster von morgen die neuen vor einigen Jahren noch unbekannten Teledienste-Anbieter und Plattformbetreiber sein könnten – und selbst diese einem rasanten Wechsel der Gezeiten unterliegen: Wer kennt heute noch den Vorreiter der ersten öffentlich zugänglichen Bilddatenbanken im Netz: AltaVista? Wer ist heute noch mit Lycos als Multimedia-Anbieter verbunden? Auch wenn das „Herumfunken“ im Netz heute noch eher als Plage denn als Zukunftspotenzial wahrgenommen wird – „Dank“ SPAM – so zeigt dieser Überfluss an ungewollt empfangenen Rundsendungen durchaus das Potenzial dessen, was uns in Zukunft noch alles in Haus stehen kann. Hat’s gefunkt?

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Auf der IFA ist nicht das Publikum das Wichtigste, sondern man selbst.

Angesicht dieser sich dramatisch verändernden Verhältnisse ist ein gewisser Rückzug auf sich selbst nicht nur offenkundig, sondern auch nachvollziehbar. Heute leben wir in einer Zeit, in der die ganze Welt nicht nur als Icon repräsentiert wird, sondern durch das Anklicken desselben – zumindest virtuell – real erfahrbar wird. Dieser Widerspruch, der keiner ist und von dem doch eine ganze Branche lebt, dieser Widerspruch ist konstitutiv für eine neue Welt der IFA, in der dem Einzelnen die ganze Welt offen zu stehen scheint und er sich immer mehr als Einzelperson wieder entdeckt.

Entscheidend and dieser Entwicklung aber ist, dass diese Wiederentdeckung nicht unbedingt ein Akt der Befreiung sein muss, sondern auch sein Gegenteil davon mit zur Folge haben kann, den Akt der Einfriedung in das Personalisierungskonzept eines Anbieters. Einer von unseren sich deutschlandweit gern selbstdistribuierenden Medienexperten beschreibt das Szenarium in etwas so:
Es gibt auf meiner Fernbedienung eine fünfte Programmtaste […] Es ist die Avatartaste. […] Mein persönlicher Avatar im Web 3.0 weiß was ich mag. Deshalb sucht er weltweit die besten Sendungen für mich zusammen und bietet sie mir zur Wahl. Was ihn von Google unterscheidet ist seine Lernfähigkeit. [2]

Und macht damit – wenn auch ungewollt – deutlich, worum es eigentlich im Kern geht: um das auf sich selbst zurückgeworfen werden durch Agenten, die man sich den meisten Fällen nicht wirklich freiwillig ausgewählt und besten- oder auch schlimmsten-falls lieb gewonnen hat.
Auch wenn diese Szenarien noch im Anfangsstadium stecken – Beispiele dazu werden gerne auf Anfrage vorgestellt – so gibt es einige dieser Phänomene, die die meisten der LeserInnen auch aus eigener Erfahrung schon erlebt – wenn vielleicht so auch noch nicht wirklich bewusst wahrgenommen haben: die EDV-entwickelte und gesteuerte Telefonstimme zum Beispiel, die von „ich“ spricht, ohne sich je vorgestellt zu haben. Oder aber – und das wirkt derzeit oft noch peinlicher – sich eine virtuelle Identität zuschreibt, die aber von den meisten „Fernsprechteilnehmern“ derzeit noch als eher wenig glaubhaft belächelt wird. Und dennoch: Die Spotlights die ein Ereignis wie die Games Convention wenige Tage vor der IFA von – derzeit noch – Leipzig auf Berlin wirft zeigen, dass diese derzeitige Ablehnung solcher virtuellen Identitäten nicht mehr wirklich von Dauer sein werden. Und mit ihrer Fort- und Weiterentwicklung wird es auch – zwangsläufig – zu einer erneuten Herausforderung der Selbst-Bestimmung kommen. Wenn wohl in einem ganz anderen Sinne, als uns dies die klassische Schule der Aufklärung hat weißmachen wollen. Die Zukunft besteht möglicherweise nicht aus der Herausführung, sondern in einer Hinein-Verführung in eine fremdverschuldeten Abhängigkeit. Nach Kant und Cannes kommen jetzt die Icons und das I-TV.

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Auf der IFA sind nicht die Leute das Wichtigste, sondern die Margen.

Erinnern Sie sich noch an jene gar nicht so lange vergangenen Tage, in denen noch das Online-Shopping als ein „nutzloses Geschäft“ gebrandmarkt worden war und Leute wie der GISTICS-Chef Michael Moon aus den USA eingeflogen werden mussten, damit man sich erstmals mit dem Thema des „Brandbuildings im Internet“ hat vertraut machen können?

Heute haben wir es auf der einen Seite mit den sich selbst referenzierenden Dinosauriern des öffentlich-rechtlichen Genres und deren anstehenden „Wechseljahren“ zu tun und auf der anderen Seite mit ganzen Senderketten, die ihre Eigentümer in Zeiträumen wechseln wie andere ihre Autos. Wer heute als Broadcaster mit 25% Gewinnmarge überleben will, muss ein Publikum nicht nur über die GFK – Statistik für sich abbilden können, sondern von jedem Einzelnen der „TV-user“ ein Profil haben, mittels dessen Nutzung die Margen weiter gesteigert werden können. Zur network-affiliation kommt die user-affiliation. Das bereits skizzierte Phänomen der „Reindividualisierung“ ist notwendig, um die Not der kommerziellen Anbieter abwenden zu können. Sie ist eine conditio sine qua non, eine unbedingte Voraussetzung, um das Massenpublikum zielgruppenzentriert neu bedienen zu können.

Auf der IFA ist nicht Konvergenz das Wichtigste, sondern der Alleskönner.

Damit sind wir plötzlich doch wieder bei der Technik angekommen. Der Zwang zur möglichst allumfassenden Kundenbindung geht einher mit der Tendenz, auf allen der traditionell bekannten Gerätetypen möglich alle möglichen – und vielleicht auch „unmöglichen“ - Dienste und Inhalte anzubieten: vom unschlagbaren Mobiltelefon, das nach wie vor den großen Vorteil hat, die Nummer Eins im Bereich des user generated content -Mediums zu sein, bis hin zum „Spieglein, Spieglein an der Wand“, das auf seinem 16:9 HD-Ready Flatscreen auf Knopfdruck von den Schönsten und Reichsten jenseits unserer Welt zu erzählen weiß, landauf und landab (ist es daher wirklich ein Zufall, dass die letzten beiden IFA Galas von Nina Ruge durchmoderiert wurden – übrigens mit Glanz und ohne Gloria, wodurch sie durchaus zu gefallen wusste.)

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Gewiss, das Telefon ist „neu“, weil mobil und der Fernseher ist „neu“, weil flach. Aber die vielen dieser Neuerungen werden darin bestehen, auch in diesem veränderten Aggregatzuständen die aus der analogen Welt gewohnten Verhältnisse – und sei es nur durch ihre Anmutung – wieder herzustellen. Der Klingelton eines alten Krone-Telefons wird nun auf dem Handy als polyphones Signal reproduziert und die ehemalige Schrankwand wird beim Bildschirm an der Wand durch die Installation von „Ambilight“-Effekten als mental image reproduziert.

Auf der IFA ist nicht die Zukunft das Wichtigste, sondern die Digitalisierung.

Die Technik der next generation user des digitalen Zeitalters hat also zweierlei zu leisten: sie muss in der Lage sein, nach dem Sprung in die digitale Welt so zu tun, als ob die analoge nicht wirklich untergegangen sei. Und sie muss zugleich als enabler für all das funktionieren, was erst mittels der digitalen Medien möglich werden wird. Beide Aufgaben müssen unabhängig von einander entwickelt werden – und sind doch interdependent (will sagen: sich aufeinander beziehend) zu bearbeiten. Nur diejenigen, die dieses Quadratur des Kreises zu bewältigen in der Lagen sind – sinnbildlich gesprochen: das Runde der analogen Welt und das „Eckige“ der Digitalen produktiv und progressiv aufeinander zu beziehen – werden auch in der Lage sein, in Zukunft Geld zu verdienen.

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EVA & WS.

Anmerkungen

[1Diese Aussage hatte Gültigkeit bis zum 29. August 2007. Zu Beginn dieses Tages wurde per Mail ein sehr persönlich gehaltenes Schreiben zugestellt in dem es unter anderem heisst:
[...]
Ich muss Dir was fürchterliches gestehen - wir mussten Deinen Artikel in letzter Sekunde kippen - gegen einen "bezahlten". Du kennst die kritische Finanzlage
[...]
Hinzu kommt noch, dass Dein Beitrag viele Internas als Vorkenntnisse verlangt...

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Doch damit nicht genug: Was in diesem Schreiben nicht angekündigt wurde war die Entscheidung des Herausgebers, eines der diesem Artikel beigefügten Fotos ohne Abdruck desselben erstzweise zur Titel-Illustration zu verwenden. Eine Genehmigung war dafür nicht eingeholt worden. Ein Verzeichnis der Abbildungen und ihrer Urheber gibt es nicht.
Die Konfrontation mit diesem fait à complis fand erst im Verlauf der Teilnahme an der Medienwoche statt, wo die nun fertiggestellte - und durchaus lesenswerte*) - Publikation ausgelegt war.

*) Beim Lesen der Artikel wurde auf der Seite 42 eine weiteres Foto gefunden, das im Rahmen einer Montage in gleicher Weise einer neuen Zweckbestimmung zugeführt wurde.

[2So Sven Gábor Jánszky in seiner Internetaussendung vom 17.01.2007


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