Lotse fürs Zukunftsradar gesucht

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 23 Uhr 55 Minuten

 

In einer heute veröffentlichten internationale Delphi-Studie zum Thema der Zukunft und Zukunftsfähigkeit der IKT- und Medienbranchen werden Branchentrends bis ins Jahr 2030 analysiert, zusammengestellt und kommentiert.

Die Überschrift der dazu im Vorfeld publizierten Erklärung, dass die
IT- und Telekommunikationsbranchen gestärkt aus der Krise hervorgehen würden, projeziert aber nur einen der eher spärlichen Hoffnungsschimmer, die sich nach einer gründlichere Lektüre aus diesem Konvolut noch herauslesen lassen.

Danach seien es vor allem die "US-Experten", von denen 61 Prozent der Befragten überzeugt sind, dass sich die Lage der US-Volkswirtschaft in den nächsten zwölf Monaten verbessern werde. Und 41 Prozent würden sogar davon ausgehen, dass in diesen Branchen die gegenwärtige Wirtschaftskrise sogar bereits im nächsten Jahr 2010 überwunden sein.

Soweit, so gut.

Dieses Studie bezieht sich aber zuförderst auf den bundesdeutschen Markt - und hier erwarten von den über 500 befragten Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft 52% ein Ende der Krise im Jahr 2011. Sie will weiterblicken: bis an das Ende des zweiten Jahrzehnts.

Die von TNS Infratest im Auftrag vom Münchner Kreis, des EICT und der Deutsche Telekom erstellte und publizierte Arbeit [1] lässt - laut Presse-Erklärung - die folgenden Schlüsse zu:

Befragt nach den wirtschaftlichen Aussichten für die Branchen IT, Telekommunikation und Medien, schätzen die Experten die Lage differenzierter ein. 58 Prozent der deutschen Branchenkenner sind davon überzeugt, dass die deutsche IT-Branche gestärkt aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise hervorgehen wird. 37 Prozent der Befragten vertreten die Auffassung, die Bedeutung der Telekommunikationsbranche werde nach der Wirtschaftskrise zunehmen. Der Medienbranche stehen die Experten skeptischer gegenüber: nur 15 Prozent der Experten glauben, dass die deutsche Medienbranche nach der Krise an Bedeutung gewinnen könne. Aber 68 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass die bisherige Bedeutung der Medienbranche auch in Zukunft erreicht wird. Ähnlich äußern sich auch die US-Experten: Die IT- und Telekommunikationsbranchen werden laut den US-Befragten nach der Krise ihre bisherige Stellung verbessern können (70 beziehungsweise 74 Prozent). Nur rund 26 Prozent trauen der Medienbranche mehr zu.

In der im Rahmen der Pressekonferenz veröffentlichten Aussagen heisst es darüber hinaus:

Die Kernbotschaften der Delphistudie sind:

 Die zunehmende Digitalisierung geht mit einer weiteren Durchdringung aller Lebensbereiche mit Informations- und Kommunikationstechnologien einher und verändert unsere Informationsgesellschaft umfassend und nachhaltig.

 Akzeptanz und Vertrauen der Menschen im Umgang mit IKT sind die Grundlage der Entwicklung einer modernen und offenen Informationsgesellschaft.

 Leistungsfähige Kommunikationsnetze sind Voraussetzung für eine wettbewerbsfähige Informationsgesellschaft.

 Die mobile Nutzung des Internets verändert die Informationsgesellschaft und schafft neue, eigenständige Anwendungsfelder.

 Die dynamische Entwicklung der IKT-Basistechnologien hat umfassende Auswirkungen auf viele Schlüsselindustrien der deutschen Wirtschaft und auf die Mediennutzung.

Was das konkret bedeutet, dazu die folgenden Aussagen zu den Themen

 Mobiles Internet:

Ab dem Jahr 2015 werden in Deutschland mehr Menschen das Internet regelmäßig über mobile Endgeräte als über stationäre Computer nutzen. Zukunftsweisende Applikationen sind vor allem Navigations-, Ortungs- und Lokalisierungssysteme, Communities, Assistenten sowie die visuelle Darstellung von umfeldbezogenen Informationen (Augmented Reality). Die Weiterentwicklung flächendeckender, mobiler Breitbandtechnologie werde eine stimulierende Wirkung auf alle Bereiche der Wirtschaft haben. „Die Nutzung des Internet über unterschiedliche Endgeräte und Netze hinweg wird für Menschen und in Unternehmen völlig neuartige Möglichkeiten schaffen, immer und überall auf Informationen, Inhalte und Anwendungen zuzugreifen“, betonte Christopher Schläffer, Chief Product & Innovation Officer, Deutsche Telekom AG.

 Veränderte Mediennutzung:

Spätestens 2024 wird das Internet das Unterhaltungsmedium Nummer 1 in Deutschland sein. Dennoch wird die demokratische Meinungsbildung weiterhin durch die öffentlich-rechtliche Rundfunkversorgung sichergestellt werden. Ab dem Jahr 2020 sei es für die Mediennutzer in Deutschland normal, ein und denselben Medieninhalt über verschiedene Träger zu nutzen – so werden zum Beispiel Zeitungsartikel auf dem mobilen Endgerät, Fernsehsendungen auf dem PC oder Internetinhalte auf dem Fernseher genutzt. Zeitungen und Zeitschriften würden nach Expertenansicht durch neue Medien ergänzt und in ihrer Nutzung konvergent erweitert. Danach wird es auch in den kommenden Jahrzehnten Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland ganz klassisch auf Papier geben und nicht nur digital im Internet. Für über die Hälfte der Internetnutzer in Deutschland, Europa und den USA gehört es nach Expertenauffassung im Jahr 2015 zur Normalität, für den Abruf professionell erstellter Medieninhalte aus dem Internet, wie etwa Filme, elektronische Zeitungen und Zeitschriften oder Musik, zu bezahlen.

 Automotive:

Auch auf den Automobil- und Transportsektor werden laut Expertenbefragung IKT-Innovationen starken Einfluss nehmen. Erwartet wird ein hohes Potenzial neuer Systeme für die Fahrzeugkommunikation, für die Verminderung der Unfallzahlen und für die Stauvermeidung. Ab 2015, so die Studie, wird das Internet auf Deutschlands Straßen der zentrale Kommunikationszugang für fahrtrelevante Informationen, wie Routenplanung, Verkehrsinformationen und Gefahrenwarnung sein. „Der in Deutschland und Europa bereits eingeschlagene Technologiepfad wurde von den Experten bestätigt. Die Einführung kommerzieller Dienste ermöglicht es, die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur teilweise zu refinanzieren“, so Prof. Jörg Eberspächer, TU München und Vorstand des Münchner Kreises.

Wer sich dann aber selber zur Lektüre aufmacht [2] wird allerdings feststellen müssen, dass trotz all dieser Prognosen noch wenige über den Standort Deutschland in Bezug auf diese Entwicklungen gesagt ist.

Und es wäre gut, aufgrund der jetzt vorgelegten Daten schon mal auf eine gehörige Portion an strategischer Kompetenz einzustellen, mit der schon heute wichtige Aufgaben eines Krisenmanagements ausgestattet sein sollten, die sich am Ausklang der aktuellen Krise erst wirklich bemerkbar machen wird - wenn denn die hier gesetzten Zeichen richtig gelesen werden würden.

Dabei machen es uns die Verfasser einfach. Hier nur mal eine Zusammenstellung jener Positionen, in denen die BRD de Status eines
"Nachzüglers" in den nachfolgend angeführten Themen und Sektoren einnimmt:
 IKT im Unterricht und in der Schule (S.48ff.)
 Direkte Demokratie (S.52ff)
 Aus- und Weiterbildung (S.68ff.)
 Flexible Arbeitskonzepte (idem)
 Kompetente Internetnutzung (S.80ff)
 Informationelle Selbstbestimmung (idem)
 Wettbewerbsfähigkeit (S.114ff.)
 Wachstumsindustrie (idem)
 Breitbandnutzung und -verfügbarkeit (S.124ff.)
 Fiber-to-the-Home (idem)
 Vernetzung im Haushalt (S.194ff.)
 Fernsteuerung von Geräten (idem)
 Private Videokonferenzen (idem)
 Digitale Zeitungen & Zeitschriften (S.208ff.)
 Individuelle Medien (idem)
 Multimediales Endgerät (idem)
 Unser Generated Content (UGC) (S.218ff.)
 Unterhaltungsangebote im UGC (idem)
 IPTV, On-Demand-Dienste, 3D-TV, HDTV (S.226ff.)
 Medienkonvergenz & Cross-mediale Medienmarken (S.236ff.)
 Bezahlung journalistischer Inhalte (idem)
 Moderne technische Infrastruktur (S.248ff.)
 Energieverbrauch durch ITK (S.256ff.)
 Displayisierung [3] (S.290ff.)

Geht man weiter in die Details werden die Auskünfte noch dramatischer.

Hier nur einige, wenige:

 ca. 50 der Befragte meinen, dass der steigende Bedarf an IT-Fachkräften nicht durch einheimische Kräfte gedeckt werden kann

 50% und mehr der Befragten meinen, dass der US-Vorsprung gegenüber der europäischen IKT-Industrie "wahrscheinlich nie" wird wettgemacht werden können.

 Und fast ebensoviele der Befragten glauben nicht, dass die Forschung und Entwicklung der ITK-Industrie überwiegend in Asien stattfinden werde.

All diese Zahlen sind "unglaublich - aber wahr": Zumindest gemäss der Kriterien dieser Delphi-Studie 2030 "zukunft-ikt.de".

Im Beitrag des Folgetages wird auf diese "red-flag-positions" und eine Reihe damit im Zusammenhang stehenden Fragen und Antworten nochmals detaillierter eingegangen werden.

 

Anmerkungen

[1gefördert durch Siemens, Vodafone und Focus, unterstützt durch VDE ITG, SAP, IBM und der Alcatel-Lucent Stiftung für Kommunikation - in der Presseerklärung wurde auch Google genannt, die hatten aber zeitglich ihre PK im BPA gleich nebenan - und in Zusammenarbeit mit dem BMWi im Rahmen des IT-Gipfelprozesses

[2Die Studie wird auch hier auf dieser Seite als PDF zur Verfügung gestellt:

ZZ-IKT&Medien_Delphi-Studie_2030
Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

[3Was für ein Unwort...


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