ungezogenes Ungarn?

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 13 Uhr 01 Minuten

 

Heute in der Frühe, ab 9:07 Uhr spricht Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament von dem neuen Mediengesetz Ungarns als einer schweren Belastung für die EU-Präsidentschaft, die das Land mit Beginn des neuen Jahres übernehmen wird. Und er sagt, wer die Solidarität bei den Grundwerten aufkündige, könne auch keine Solidarität auf anderen Ebenen erwarten.

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1349087/

Zu Mittag sprach dann ab 13:15 Uhr im Deutschlandfunk Dirk Müller mit dem Sonderkoordinator für den Balkan-Stabilitätspakt und ehemaligen Vizekanzler Österrreichs, Erhard Busek, für den die Frage nach dem Mediengesetz eines Landes zunächst eine Frage des nationalen Rechtes sei, da es an diesem Punkt keine determinierenden Richtlinien aus Europa gäbe.

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1349348/

Bereits am frühen Morgen gab es ab 7:05 Uhr die ersten Pressestimmen zu diesem Thema im Deutschlandfunk zu hören:

http://www.dradio.de/presseschau/20101223070000/drucken/

Die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG:

"Das neue Mediengesetz entzieht der Pressefreiheit in dem EU-Land die Grundlage. Da wird qua Verfassung ein Medienrat eingesetzt, dessen Mitglieder Marionetten der Regierung sind - genauer: des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Die Wächter von Orbans Gnaden sollen öffentliche wie private Medien kontrollieren. Zum Maßstab erklärt das neue Gesetz eine ausgewogene Berichterstattung, es verbietet politische Propaganda und droht bei Zuwiderhandlung empfindliche Geldstrafen an. Die Begrifflichkeiten sind dabei so schwammig gehalten, dass Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist"

DIE WELT:

"Das Gesetz öffnet der staatlichen Unterdrückung kritischer Medien Tür und Tor. Es ist eine Schande für einen demokratischen Staat und Zeichen dafür, dass Ungarns Politik 20 Jahre nach dem Fall der Mauer noch zu keinem moderaten Gleichgewicht gefunden hat. Der Vorgang ist aber auch für Europa eine Peinlichkeit. Hier zeigt sich einer der grundlegenden Konstruktionsfehler bei der Aufnahme neuer Mitglieder: Vor einem Beitritt kann die EU-Kommission hohe Standards durchzusetzen. Ist ein Staat aber einmal drinnen, gibt es kaum Instrumente, um eine Beibehaltung dieses Niveaus zu garantieren. Das gilt für Ungarn genauso wie für Rumänien oder Bulgarien"

Die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.

"Die Freiheit, die Ungarn vor zwei Jahrzehnten errang, scheint bei Ministerpräsident Viktor Orban und seiner Fidesz-Partei nicht gut aufgehoben zu sein. Brüssel muss den Druck auf Budapest deshalb verstärken, damit Orban ein maßvolles Mediengesetz vorlegt."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

"Die EU rüffelt gern Unrecht in aller Welt. Sich selbst als Hüter von Recht und Gerechtigkeit dünkend, übersieht sie zu Hause die offene oder schleichende Zerstörung politischer Strukturen. Das ist besonders augenfällig bei den Medien, den Trägern der Meinungsfreiheit. Silvio Berlusconis weiträumige Kontrolle der Massenmedien Italiens wurde von den Kollegen des Regierungschefs nie in der gebotenen Schärfe kommentiert. In Ungarn war die Abstimmung zum Mediengesetz jetzt nur Schlusspunkt eines konsequenten Prozesses. Auch hier mochte niemand rechtzeitig brandmarken, dass die Medien gefügig gemacht werden sollten"

Der TAGESSPIEGEL aus Berlin:

"Kann, muss Europa da unbewegt zusehen? Natürlich stellt sich sogleich die Erinnerung ein an die europäischen Sanktionen gegen die Regierungsbeteiligung von Jörg Haider in Österreich. Sehr ermutigend ist sie nicht, im Gegenteil. Doch der Vorgang ist so gravierend, dass zumindest das europäische Parlament darauf dringen muss, dass Orban Stellung nimmt. Wenn Europa eine Wertegemeinschaft ist, wie alle immer wieder betonen, dann muss er den Europäern erklären, wie das neue Medienrecht mit dem Wert der Meinungsfreiheit zu vereinbaren ist"

Der FRÄNKISCHE TAG aus Bamberg:

"Wie passt das zusammen, wenn Ungarn ab 1. Januar den EU-Vorsitz übernimmt? Wer in der EU mitmachen will, muss sich an die Spielregeln halten. Ungarn tut dies nicht. Brüssel muss Ungarn den Vorsitz sofort entziehen. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"Noch bevor das Gesetz ein einziges Mal angewendet wurde, sind sich die Warner aus dem Westen einig, dass die Pressefreiheit ausgehebelt worden sei. Dabei kennt keiner von ihnen die ungarischen Medienerzeugnisse in deren unsäglicher Bandbreite von Antisemitismus bis Pornografie. Über Jahre haben sich angesehene ungarische Intellektuelle wie der Nobelpreisträger Kertész im Lande wie im Westen darüber beklagt, welche Ungeheuerlichkeiten in Ungarn publiziert werden könnten. Und jetzt soll es verwerflich sein, dagegen gesetzliche Mittel aufzubauen?"

Um 14:30 Uhr gibt die tagesschau.de-Seite den Stand der Diskussion wie folgt wieder:

 Mit einer Äusserung der Bundeskanzlerin Dr. Merkel:

Sorge um Pressefreiheit.
Merkel warnt Ungarns Regierung

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die ungarische Regierung vor einer Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien im Umgang mit den Medien gewarnt. Die Bundesregierung beobachte die Änderung der Mediengesetzgebung in Ungarn mit "großer Aufmerksamkeit", sagte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans. Als künftige EU-Präsidentschaft trage Ungarn natürlich eine besondere Verantwortung für das Bild der EU. Auch deshalb sei es selbstverständlich, dass Ungarn den Werten der EU verpflichtet bleibe. Das Land übernimmt die Präsidentschaft am 1. Januar.

Steegmans verwies ausdrücklich auch auf die Kritik der OSZE. Deren Medienbeauftragte Dunja Mijatovic hatte von einer Gesetzeslage "wie sonst nur unter autoritären Regimen" gesprochen.

 Mit eine Äusserung des Fraktionschefs der Grünen:

Trittin: "Anschlag auf die Pressefreiheit"

Nach Ansicht von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kann Ungarn ohne eine Rücknahme des Gesetzes den EU-Ratsvorsitz nicht übernehmen. "Diese fatale Entscheidung muss sofort zurückgenommen werden", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Ein solcher "Anschlag auf die Pressefreiheit" sei mit der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns unvereinbar.

Trittin forderte die Bundesregierung und vor allem Außenminister Guido Westerwelle zum sofortigen Eingreifen auf. Die Regierung müsse dafür sorgen, dass europäische Grundrechte von keinem Mitgliedstaat unterminiert würden.

Ausdrücklich zog Trittin eine Parallele zu den EU-Protesten gegen die Regierungsbeteiligung des österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider im Jahr 2000: "Die Werte Europas dürfen nicht dumpfem Nationalismus geopfert werden. Das galt bei Haider und gilt auch für Ungarn."

 Mit einer Äusserung von Jean Asselborn, dem Aussenminister Luxemburgs:

Luxemburg: "Das ist hochgefährlich"

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn betonte im Tagesschau-Interview, politischer Druck auf die Regierung in Budapest sei wichtig. Die geplante Kontrolle der Medien verstoße gegen den EU-Vertrag - ein Fall für die EU-Kommission als Hüterin der Verträge. Tatsächlich erklärte die Kommission, sie untersuche, ob die Verschärfung des Medienrechts in Ungarn mit EU-Grundsätzen vereinbar sei. Eine Wertung der Gesetzgebung lehnte ein Sprecher allerdings ab. "Wir werden prüfen, in welchem Umfang europäisches Recht und europäische Prinzipien betroffen sind", sagte er.

Asselborn sagte weiter, Ungarn müsse klargemacht werden, dass das Land nicht die EU-Präsidentschaft übernehmen könne, wenn diese Gesetz in Kraft träten. "Wenn eine Regierung sich anmaßt zu definieren, was das allgemeine Interesse ist, und das mit einer Behörde kontrolliert, sind wir nicht mehr in einer Demokratie. Das ist hochgefährlich."

Der Außenminister warnte auch vor Konsequenzen für die Außendarstellung der EU. Sollte Ungarn an seinen Plänen festhalten, werde es sehr schwer, von anderen Staaten Meinungfreiheit für deren Bürger einzufordern. Diese könnten dann am Beispiel Ungarn auf Doppelstandards verweisen, so Asselborn.

Hinzu kommen eine Anzahl von Bewegtbild- und Tondokumenten, in der diese und weitere Aussagen und Analysen zusammengefasst werden.

Es wird spannend sein zu sehen, ob sich die Regierung Ungarns von dieser massiven Kritik wird beeinflussen lassen.

Die These lautet: "Nein".

Und es wird spannend sein zu sehen, wie lange diese hier zitierten Dokumente, deren Bedeutung weit über das Tagespolitische hinausgehen, noch auf dieser Seite zu finden sein werden.

Die These lautet: "Nicht einmal so lange, wie die EU-Präsidentschaft Ungarns währen wird."


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