"Das Ohr ...

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 14 Uhr 41 Minuten

 

"Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken". Luigi Nono

Gestern gehört, das Kammerkonzert Nr. 2. [1]

Das PROGRAMM

OTHMAR SCHOECK • Notturno – Fünf Sätze für Bariton und Streichquartett op. 47

FRANZ SCHUBERT • Streichquintett C-Dur D 956

INTERPRETEN
Matthias Goerne, Bariton
Belcea Quartet
Valentin Erben, Violoncello

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Und was es dazu zu sagen gibt [2]:

Schubert hören…

Dieser Schubert ist wirklich ein toller Kerl. In gerade mal vier Sätzen nimmt er uns mit auf eine Reise in ein musikalisches Universum. Dieses Universum ist eines der besten in Töne verpackte Egoshooter der Musikgeschichte. Denn alles, was er in dieser Komposition zu Gehör bringt, ist scheinbar schon Bekanntes – auch der damaligen Zeit durchaus Geläufiges. Und dann, immer dann, wenn die ersten Momente eines Gassenhauers aus Gefälligkeit und Wohlklang aufkommen mögen, nimmt er dieses Momentum auf und führt uns in die Welt seines ureigensten, ja fast intim zu nennenden Universums. Das ist brillant ausgeführt, mit Spielwitz und zugleich tiefer innerer Weisheit, ja Würde.

Dabei macht er, trotz aller kompositorischen Spiellaune und Umtriebigkeit, aus seinem Herzen keine Mördergrube. Bereits im zweiten Satz, Adagio überschrieben, gelingt es ihm auf beeindruckende wie tief bewegende Art und Weise umzusetzen, was man langläufig mit dem schalen Satz zu umschreiben versucht, der da sagt: „Auch Pausen sind Musik“. Schubert unternimmt in diesem zweiten – in sich nochmals dreigeteilten Abschnitt – seines Streichquintetts einen Ausflug in die Welt jenseits aller kompositorischen Weisheiten und Usancen, die eine gelegentliche Allfälligkeit seines Werkes durchaus ausmachen könn(t)en. Schubert dringt mit einer alles andere als elegant zu nennenden Tonsetzerkunst in Dimensionen vor, die in eine „Welt“ jenseits der Sterblichkeit zu verweisen scheinen.

Nein, auch Schuberts Musik ist nicht unsterblich. Aber es ist mehr als nur ein Vergnügen miterleben zu dürfen, diese Komposition in einem so hervorragend ausgefuchsten wie spielfreudigen Musikerensemble aufgehoben und zugleich neu geboren vorzufinden. Das Belcea-Quartet und Valentin Erben am zweiten Cello sind drauf und dran, ihre eigene Musik zu spielen und Schubert dabei fast auf die beste aller Möglichkeiten vergessen zu machen: Es gelingt den Musikern mit der ihnen eigenen Verve und Eleganz, endlich einmal das unsägliche Gefasel von Werktreue und Respekt vor dem Komponisten durch ihr Schaffen in die gebührenden Schranken zu verweisen.

Dieses Quintett spielt, als wenn es um sein Leben ginge – und sie haben damit auf ihre Weise mehr als nur recht. Sie spielen eine Musik, die einen unmittelbaren Spiegel aus dem Leben und Werk des Franz Schubert vorzuführen in der Lage ist: Da sie ihn eben nicht nur „interpretieren“, sondern ihn sich ganz und gar zu eigen machen. Jeder auf seine ganz persönliche Art und Weise und doch und zugleich als Ensemble. Vielleicht ist es vermessen, das zu sagen: Es gelingt ihnen, Schubert neu zu komponieren. Sie bringen ihn uns nahe, weil sie sich seiner ganz und gar angeeignet haben. Indem sie mit seinem Erbe froh und frei umzugehen wissen.

Schoeck erleben…

Kennen Sie Othmar Schoeck? Als die ersten Töne der ersten Aufführung dieser Woche erklangen, war es, als hätte man es mit einer Art weichgespültem Bartók zu tun. In den klugen und klaren Sätzen des Prgrammheftschreibers Jürgen Ostmann kann man Vieles über den Mann und sein Werk im Allgemeinen und sein hier dargebrachtes „Notturno op. 47“ im Besonderen nachlesen. Aber darum soll und wird es hier nicht gehen. Denn dieses ist, wie eingangs deutlich herausgestellt, kein Text eines Musikkritikers und fachlich ausgewiesenen Musikkenners. Dieser Text ist die Aufzeichnung eines Menschen, der nach vielleicht 20 Jahren erstmals wieder ein Konzert dieser Art besucht – und mit grosser innerer Anteilnahme erlebt hat.

Dabei bezieht sich diese Partizipation an dem vorgetragenen Werk eher nicht auf die hier in den musikalischen Himmel gehobenen Texte – Gedichte? - von Nikolaus Lenau (sowie einem Keller-Fragment), denn seine Weltschmerzpoesie ist nun alles andere als aufbauend oder gar die Sinne belebend. Sie ist in einer gewissen Weise sogar zu intim, um noch wirklich als Kunst-Werk angenommen werden zu können. Und insofern hilft die hier vorgenommene In-Ton-Setzung des Textes in beeindruckend tiefseeliger Weise, sich dann doch auch diesen Sätzen nähern zu können.

Wie diesen zum Beispiel:

Ist’s Erdenleben Schein? – ist es die umgekehrte
Fata Morgana nur, des Ewgen Spielgefährte?

Warum denn aber wird dem Erdenleben bange,
Wenn es ein Schein nur ist, vor seinem Untergange?

Diese Zeilen sind noch die reflektiertesten, wenn der Dichter über sich und sein Leben Auskunft gibt. Und es gelingt ihm in Zeilen wie diesen zu zeigen, was auch die Musik mit seinen Texten zu leisten vermag: Das Reale, also den Text - hier den Text über diese Welt - als Schein zu deklarieren. Und damit auch dem Blick auf sein Leben als dem Abglanz des ewigen Lebens eine Distanz zu verleihen, die ihm dabei hilft, mit eben diesem realen Leben umgehen zu können. So wie es die in diesem Moment erklingende Musik tut, die uns mit dem Kunstwerk als einem Moment erlebter Wirklichkeit vereint – oder dieses zumindest anbietet.

Und was ist, wenn die Komposition sich dem Ende neigt, der Moment kommt, Abschied zu nehmen von „seinem“ Leben, das eben nicht aus der Sicht des Jenseits als „Fata Morgana“ erlebt wird, sondern im Kern des eigenen Ichs? Gerade in den Momenten des Abschieds, des bevorstehenden Endes, so scheint es, findet der Dichter eine authentische Nähe zu sich selbst.

Das macht diesen Abend spannend (und hier ist bislang noch gar nicht von der hochwohllöblichen Qualität des gesanglichen Vortrags und der Kompetenz der Spielleute die Rede gewesen), dass diese Momente nicht nur die Elemente der Trauer mit sich tragen, sondern auch das Selbstverständnis jenes Menschen, der über sich schreibt. In sofern sind all diese Lieder nicht – oder zumindest nicht nur – „Klagelieder“, sondern auch Zeichen einer Selbstverortung zwischen dem Wahr-Nehmen und der Unmöglichkeit, in der realen Wirklichkeit so wie selbst gewünscht wahrgenommen zu werden.

Der letzte der vertonten Lenau-Texte hat (nur noch) zwei Zeilen, die da lauten:

O Einsamkeit! Wie trink ich gerne
Aus deiner frischen Waldzisterne!

Und dazu, aus dem diesen Zeilen vorangegangenen Text:

Ich: - die Freunde sind zu selten;
Ohne Denken trinkt das Tier,
Und ich lad aus andern Welten
Lieber meine Gäste mir.

Stellt man diesen Zeilen nochmals das zuvor Gehörte

Ist’s Erdenleben Schein? – ist es die umgekehrte
Fata Morgana nur, des Ewgen Spielgefährte?

gegenüber, wird deutlich, was den Dichter bewegt. Und warum es gelingt, dieses auch so gut in Musik setzen zu können. Der Dichter erlebt sich eben nicht nur als Opfer seiner eigenen Natur, als vom Schicksal Geschlagener, er macht sich – sei es am Ende der Trauer, also vor einem Glas, oder am Ende des Lebens, also vor seinem Grab – selbst zum Spielgefährten, indem er seine Texte zu seinem zweiten Ich erhebt. In dem er sie, jenseits von Trunk und Tod, aufschreibt, indem er damit festhält, was das ist, eine Fata Morgana, wie sie ist, wie sie wirkt, wie sie sich auf ihn auswirkt und welche Wirkungen sie auf uns haben kann.

Durch seine Texte - und durch die Musik eines Othmar Schoeck: Hier schweigt es Sängers Höflichkeit. Nur so viel. Die Musik ist eine Mischung aus aufgeklärtem Barock und neoklassizistischem Ragtime. Sie ist entschieden unentschieden. Sie ist bescheiden unbescheiden. Sie ist anspruchsvoll und doch zugleich eingängig. Sie ist Rahmenhandlung und zugleich Mittelpunkt des auditiven Konzeptes. Sie geht auf und zugleich unter in der Rezeption des Textes. Sie ist auf ihre Art modern und doch in ihren Wurzeln durch und durch „klassisch“.

Das Entscheidende aber an dieser Musik – und das mag man nun mögen oder nicht – ist ihre Haltung. Positiv gesagt, diese Musik hat durchaus einen eigenen Gestus. Sie interpretiert nicht nur, sondern will selber in ihrem Klang zu Wort kommen. Negativ gesagt, diese Musik ist gerade an jenen Punkten eigenwillig, wo sie eigentlich in ihrer dienenden Funktion stärker gewesen wäre.

Als pars pro toto die Zeile aus dem dritten Lied:

Horch! Plötzlich in der Luft ein schnatterndes Geplapper

Eben dieses „Horch“ wird mit einer so heftigen musikalischen Intonation verknüpft, dass man meinen könnte, der Komponist wolle in diesem Moment das Publikum aus seiner Hörlethargie herausreißen und somit sichergehen, dass dem nachfolgend Gesagten auch wirklich zugehört wird. So ein Schmarrn: Ist doch die Aufforderung zuzuhören eher dergestalt, dass der Finger auf die sanft zischenden Lippen gelegt und so die anzusprechenden Person ebenso deutlich wie leise über ein bevorstehendes Ereignis ins Benehmen gesetzt wird. Der Komponist dagegen lärmt selber und macht damit auf sich und seine Wertung aufmerksam, darauf, was er angesichts des von ihm vertonten Textes empfindet.

Das ist legitim, das ist der Stil dessen, der hier komponiert. Und es ist die sehr wohlklingende Entscheidung, sich bei dieser Instrumentierung weder einem ganzen Orchester noch „nur“ einem Klavier anzuvertrauen, sondern sich eines Streicherquartetts zu bedienen.

Und das Belcea Quartet ist dafür die perfekte Wahl.

Pardon. Der Sänger. Ja, wir haben den Sänger ganz und gar vergessen. Dabei kommt er mit seiner vor samtener Empathie nur so strotzenden Bariton-Stimme mehr als nur gut an. Er lebt den von ihm zur Darstellung gebrachten Text wirklich aus, befindet sich in Harmonie mit dem Streicher-Ensemble und sorgt dafür, dass – wie immer man die Interpretation auch kommentieren mag – daraus ein wohlgelungenes Ganzes wird.

Allein, es ist wie fast immer in diesem Genre: Wirklich zu verstehen ist das, was dort als Text verklingt, nicht. Es ist wie in der chinesischen Oper oder im No-Theater. Mitlesen ist conditio sine qua non, wenn man wirklich mit dabei sein will. Und das führt unweigerlich zu einem Wahrnehmungsbruch, der, wenn so gewollt, auch so in Ordnung gehen mag. Der aber dann auch eine andere Art, eine eher vom Gesamtkunstwerk entfremdete Wahrnehmung zur Folge hat – und Texte wie diesen.

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

PS.

Dieser Text wurde heute - trotz schönsten Sonnenwetters - fertiggestellt und dann in den schattigen Räumen des Cafés cappomio auf den Server geladen.
Vielen Dank dafür - und das gute Mittagessen!

Anmerkungen

[1Der Autor kann keine Gewähr dafür übernehmen, ob und wie lange ein Link wie dieser auch noch nach dem Ende der Festspiele des Jahres 2011 von Bestand sein wird.

[2Dieser nachfolgende Text ist weder von einem Musikkritiker noch für solche geschrieben. WS


 An dieser Stelle wird der Text von 11023 Zeichen mit folgender VG Wort Zählmarke erfasst:
c562722e868f45710743caaaab03f2