Das Recht auf ein Urheberrecht. Rede und Gegenrede

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 19. Januar 2015 um 13 Uhr 50 Minuten

 

I.

Hier nun erneut ein aktuelles Streiflicht auf die Diskussion rund um das Thema Urheberrecht in Deutschland.

Wir werden auf das Thema erneut Mitte März zurückkommen, wenn dieses Thema im Hause des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWI) zur Diskussion gestellt werden wird.

Hintergrund dazu ist die seit vielen Jahren laufende Diskussion, die im Rahmen des BMWI unter dem Titel "Wirtschaftsdialog zur Bekämpfung der Internetpiraterie" verankert worden ist.

II.

Dort, so ist heute auf der aktuellen Pressemitteilung zu lesen, sei eine Plattform eingerichtet worden, auf der "Rechteinhaber und Diensteanbieter Möglichkeiten der Zusammenarbeit zur Verbesserung des Urheberrechtsschutzes diskutieren" können.

2011 wurde dann die Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln beauftragt, "empirische Erkenntnisse über gesetzliche Regelungen in anderen Mitgliedstaaten und ihre Auswirkungen" zu erfassen und zur Verfügung zu stellen.

Dazu nun der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Hans-Joachim Otto:

"Die Studie ist eine wertvolle Grundlage für die weitere Diskussion in puncto Bekämpfung der Internetpiraterie. Wir werden auf Basis der mit dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse den Dialog mit den Beteiligten aufnehmen und wollen noch im ersten Halbjahr 2012 zu einer Entscheidung kommen." [1]

In der Presseerklärung werden die zentralen Ergebnisse des Gutachtens wie folgt zusammengefasst:

— Die Musik-, Film-, Software-, Buch-, sowie Zeitungs- und Zeitschriftenbranche sind von Internetpiraterie betroffen, wobei die genauen Auswirkungen auf die Umsätze nur schwer nachweisbar sind.

— Urheberrechtsverletzungen finden im Internet insbesondere über Sharehosting- und Streaminghostingdienste sowie Peer-to-Peer Tauschbörsen statt.

— Alle untersuchten Warnhinweismodelle zielen aus technischen Gründen ausschließlich auf die Bekämpfung von illegalen Downloads in sog. Peer-to-Peer-Tauschbörsen. Über diese werden in Deutschland etwa 20 Prozent der Urheberrechtsverletzungen begangen.

— Innerhalb der EU besteht bisher nur in Frankreich ein gesetzlich geregeltes Warnhinweismodell. Daneben existiert ein Modell in Irland, bei dem der größte Provider aufgrund einer Vereinbarung mit vier großen irischen Musikproduktionsgesellschaften freiwillig Warnhinweise versendet. In einigen anderen europäischen Staaten waren Warnhinweismodelle geplant, die jedoch entweder noch nicht angewendet werden (Vereinigtes Königreich) oder zurückgestellt worden sind (Finnland und Belgien).

— In Frankreich versendet seit September 2010 auf Antrag des Rechteinhabers die dort eigens eingerichtete, unabhängige Behörde HADOPI [2] mit Hilfe der Zugangsanbieter Warnhinweise an den Rechtsverletzer. Nach dem dritten Verstoß bittet sie diesen um Stellungnahme und kann die Akte an die Staatsanwaltschaft weitergeben. Das Strafgericht kann neben Haft- und Geldstrafen den betreffenden Internetanschluss zeitweise sperren. Ein dem deutschen Recht vergleichbarer, gerichtlich durchsetzbarer Auskunftsanspruch des Rechteinhabers gegen den Zugangsanbieter, auf dessen Grundlage er den Nutzer abmahnen kann, besteht in Frankreich nicht.

Weiterhin würde die Studie ein so genanntes "vorgerichtliches Warnhinweismodell" untersuchen, "bei dem im Falle einer Urheberrechtsverletzung dem Anschlussinhaber vom Zugangsanbieter ein Warnhinweis geschickt wird und bei wiederholtem Verstoß dem Rechteinhaber Auskunft über den Anschlussinhaber erteilt werden kann."

III.

Noch am gleichen Tag folgte die Erwiderung - dieser war wenige Tage zuvor der Text VOM URHEBERRECHT ZUM NUTZUNGSRECHT vorausgegangen, in dem es einleitend klipp und klar heisst: "Das bisherige Konzept von Urheberrecht ist an seinem Ende angekommen."

Heute nun ist zu lesen:

Der Digitale Gesellschaft e.V. stellt der Studie „Vergleich von Modellen zur Versendung von Warnhinweisen durch Internet-Zugangsanbieter an Nutzer bei Urheberrechtsverletzungen“ des Bundeswirtschaftsministeriums einen Schattenbericht zur Seite. Darin wird deutlich, dass repressive Maßnahmen, wie sie in anderen Ländern durchgeführt werden, gefährlich und unverhältnismäßig sind sowie am eigentlichen Problem vorbei gehen.

Der Schattenbericht ist hier als PDF erhältlich. Ein Beipackzettel warnt vor den Risiken und Nebenwirkungen. Eine Kurzversion des Beipackszettel gibt es als PNG-Grafik.

Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Hans-Joachim Otto hat angekündigt, dass man noch im ersten Halbjahr 2012 eine Entscheidung herbeiführen wolle. Markus Beckedahl, Vorsitzender Digitale Gesellschaft e.V., erklärt dazu: „Die Einführung einer Warnmodell-Infrastruktur ist vollkommen unsinnig und schafft eine gefährliche Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Internetanbieter und Hoster werden damit gleichzeitig zu Richtern und Hilfspolizisten in Personalunion gemacht. Diese Maßnahme durchbricht ein ehernes Prinzip: der Internetanbieter ist nicht für die transportierten Inhalte haftbar und soll sich ausdrücklich nicht um diese kümmern. Die Post schickt Ihnen auch keinen Warnbrief, wenn Sie eine Kopie eines Zeitungsartikels verschicken.“ Tatsächlich können bereits heute die Rechteinhaber Warnungen oder kostengedeckelte Abmahnungen in einfach gelagerten Fällen an Nutzer schicken. “Dass dies nicht stattfindet, ist nicht den Nutzern anzulasten”, sagt Beckedahl. “Offensichtlich haben die Rechteinhaber daran überhaupt kein Interesse.”

Im Schattenbericht des Digitale Gesellschaft e.V. wird deutlich: Existierende Warnmodelle in anderen europäischen Staaten zeigen, dass die Maßnahme erhebliche grund- und datenschutzrechtliche Probleme aufwirft. Das System in Irland wurde aufgrund dieser Bedenken sowie Beanstandungen durch den Datenschutzbeauftragten wieder eingestellt. Auch die EU-Kommission hatte in der Vergangenheit immer wieder betont, dass Internetprovider keinen Einblick in die Inhalte der von ihnen transportierten Daten nehmen dürfen.

Zudem sind solche Systeme fehlerbehaftet. Private Firmen ermitteln IP-Adressen in Filesharing-Netzwerken, um die Inhaber dieser Adressen zu verwarnen. Doch die bloße Anwesenheit im Filesharing-Netz bedeutet noch keine begangene Urheberrechtsverletzung. Auch ist der Inhaber eines Internet-Anschlusses nicht automatisch der Benutzer hinter einer IP-Adresse. In anderen Staaten sind dutzende Fälle bekannt geworden, bei denen Unschuldige zu Unrecht verwarnt wurden.

Ein einmal eingeführtes System von Warnhinweis wird bei Warnungen nicht Halt machen. Auch drakonische Strafen bei wiederholten Urheberrechtsverletzungen stehen immer wieder im Raum, vor allem die Drosselung oder Abschaltung des Internet-Anschlusses. Dazu erklärt Markus Beckedahl: “Warnhinweise und Strafen sind vom selben Geist wie die auf Eis gelegte US-Gesetzgebung SOPA und das ACTA-Abkommen geprägt: Statt Nutzer zu bestrafen, sollte die Energie lieber in den Aufbau von niedrigschwelligen und attraktiven Angebote gelegt werden. Derartige Maßnahmen lösen kein einziges der heutigen Probleme des Urheberrechts.“ Warnhinweise hätten für Wirtschaft und Nutzer erhebliche Kosten zur Folge, die besser in legale Online-Angebote der Musik-, Buch- und Filmindustrie investiert würden.

Der Digitale Gesellschaft e.V. hat zusammen mit dem Wikimedia Deutschland e.V. und der Open Knowledge Foundation Deutschland Ideen für ein modernes Urheberrecht skizziert.

IV.

Schlussendlich sei darauf hingewiesen, dass dieses Thema nicht nur im Rahmen des BMWI diskutiert wird, sondern ebenso in den Ressorts Recht, Kultur, Aussenpolitik und Inneres.

Aus letzterem als Pars pro Toto ein Link auf die Erklärung von Frau Cornelia Rogall-Grothe, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, vom 13. Dezember 2011 aus Anlass der Diskussion der “Challenges in Cyber Security: Risks, Strategies, and Confidence-Building“ mit ihrem Beitrag zum Thema: "International Cooperation in Developing Norms of State Behaviour for Cyberspace"

PS.

Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg, den 16. Februar 2012, in der Rechtssache C-360/10 zwischen der
"Belgische Vereniging van Auteurs, Componisten en Uitgevers CVBA (SABAM)" und der "Netlog NV":

Der Betreiber eines sozialen Netzwerks im Internet kann nicht gezwungen werden, ein generelles, alle Nutzer dieses Netzwerks erfassendes Filtersystem einzurichten, um die unzulässige Nutzung musikalischer und audiovisueller Werke zu verhindern..

Eine solche Pflicht würde sowohl gegen das Verbot verstoßen, einem solchen Anbieter eine allgemeine Überwachungspflicht aufzuerlegen, als auch das Erfordernis nicht beachten, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Urheberrecht einerseits und der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen andererseits zu gewährleisten.

Der gesamte Wortlaut des Urteils in der Rechtssache C-360/10.