Berlinale: "And the Winner is ... :

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 2. Juni 2014 um 01 Uhr 38 Minuten

 

Dieser Eintrag wird am Donnerstag dieser Woche eingestellt und es wird schon jetzt und an dieser Stelle behauptet, die Entscheidung der internationalen Jury für die Verleihung eines Goldenen(?) Bären vorhersagen zu können.

Sie wird gefällt werden für den Film: BOYHOOD [1]

Boyhood
Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Wir werden in den Folgetagen viele Rezensionen, Kritiken und Stellungnahmen finden, denen an dieser Stelle nicht viel hinzugefügt werden muss [2]. [3]

Empfohlen sei an dieser Stelle schon
— die einmal mehr von Knut Elstermann moderierte und auch als Video-Stream live ins Netz eingebundene Abschluss-Sendung auf radioeins am Samstag ab 21:05 Uhr, die wahrscheinlich besonders prickelnd werden könnte, das an diesem Abend eben noch keine feste Liste der angesagten Interview-PartnerInnen geben kann [4].
— die von Susanne Burg moderierte "Filmkritikerrunde" im Fazit-Spezial am Ende einer intensiven Berichterstatung auf Deutschlandradio Kultur ab 23:05 Uhr: Mit Christiane Peitz ("Tagesspiegel"), Peter Körte ("Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung") und Katja Nicodemus ("Zeit). [5]


Aber es gibt weitere Aspekte, die wahrscheinlich gar nicht oder nur sehr unterschwellig zur Sprache kommen, aus Sicht des Autors dennoch von eminenter Bedeutung sind.

Das hängt zusammen mit der Sichtung eines anderen Films, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit und dem Versprechen, darüber noch nicht zu schreiben, in Augenschein genommen und zu Gehör gebracht wurde: die Dreamworks-Produktion von Mr. Peabody & Sherman, die auf der IMDb.com-Seite wie folgt beschrieben wird:

Using his most ingenious invention, the WABAC machine, Mr. Peabody and his adopted boy Sherman hurtle back in time to experience world-changing events first-hand and interact with some of the greatest characters of all time. They find themselves in a race to repair history and save the future.

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

In dem Promo-Video wird der schlaue Hund Mr. Peabody mit dem Satz zitiert: ""We must re-write history in order to save the Universe."


In Boyhood wird diese Zeitmaschine real: It’s not a trick: It’s a Film.

In dem Bericht über die Premiere von "Schwarze Kohle, Dünnes Eis" war schon von der Produzentin des Films die Rede, die auf der Bühne davon sprach, dass es 8 Jahre gedauert habe, bis sie das Projekt mit der Premiere in Berlin habe abschliessen können.

Hier nun geht es um einen Film, dessen Entstehung mehr als ein Jahrzehnt gedauert hat - und in dem diese Zeit repräsentiert ist: als Original. In der junge Originale eine Rolle zu spielen haben, und zwar über einen Zeitraum von mehr als 12 Jahren.

Diese Filmgeschichte ist eine Zeitraffer. Und sie schreibt Filmgeschichte dadurch, wie sie jetzt in Erscheinung tritt.


Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

In der erneute Wiederaufnahme des Cartoon aus den späten fünfziger Jahren in einem 3D-Film führt dazu, dass im Plot die vergangene Zeit nicht nur zurückgeholt werden und so erneut erlebt werden kann, sondern dass durch die Beschleunigung der Zeit - und seien es auch nur wenige Sekunden - in die Zukunft dafür gut ist, die Probleme der Jetzt-Zeit zu lösen.

Der neue Film zeigt, wie der junge Sherman durch seine Abenteuer nicht nur gelehrig, sondern auch erwachsen wird, sobald er in der Welt der Schule die Welt der Erwachsenen kennenlernt, ihrer Regeln und mentalen Verriegelungen. [6]

In Boyhood dagegen wird die Zeit selbst zum Gegenstand des Plots, die gräbt sich in die Figuren der Geschichte ein, die erzählt wird. Als die Dreharbeiten beginnen, wird eine Rechnung auf die Zukunft aufgemacht.
Und sie ist aufgegangen.

Jetzt, mehr als 10 Jahre später, blicken wir zurück und erleben, wie aus der Zukunft Wirklichkeit geworden ist. Heute.


Warum dieses Thema so fasziniert? Die Beantwortung dieser Frage geht über die bisher aufgezeigten Perspektiven noch hinaus. Sie verweist auf ein Phänomen, dass die Zukunft der digitalisierten Gesellschaft selber betrifft.
Denn je weiter die Digitalisierung voranscheitet, und je länger die Zeit währt, in der alles schon digital hat aufgezeichnet werden können - wie in diesem Film - desto lebhafter wächst der Wunsch, mit den Mittel dieser neuen Technik wieder herzustellen, was durch eben ihren Einsatz zunehmend in den Hintergrund gedrängt wird. Die Wahrnehmung von Kontinuität, das Erleben in und von Zeiträumen, die Chance selbst die kurzfristigsten Geschichten eines tweets in Beziehung zu setzen mit einer Geschichte, die über den Tag hinausgeht - um so letztendlich wieder neu Geschichte schreiben zu können.


PS.
Im FEUILLETON der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG vom 1. Juni 2014 erscheint auf der Seite 40 eine Kritik von PETER KÖRTE, die in der Unterzeile zur Überschrift "Vergiss die Zahnseide nicht" sagt: "schöner und bewegender hat schon lange kein Film mehr vom Heranwachsen erzählt."
Am Ende seines Textes heisst es dann; dass dies eine Geschichte vom Heranwachsen geworden sei, "wie sie so intensiv und bewegend, so liebevoll und ironisch schon lange kein Film mehr erzählt hat."

Im RADIOFEUILLETON - KINO UND FILM von Deutschlandradio Kultur befragt Britta Bürger am gleichen Tag Andeas Kötzing, der von einem filmischen Wagnis spricht "Unspektakulär, aber faszinierend"

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Am Tag zuvor berichtet Josef Schnelle auf KULTUR HEUTE im Deutschlandfunk über "Eine Kulturgeschichte der amerikanischen Jugend".

Anmerkungen

[1Noch vor dem Ende dieses Tages liegt die Juryentscheidung vor und wir wissen, dass es nicht der goldene Bär für den besten Film - siehe dazu auch die weiteren Anmerkungen auf dieser Seite - sondern ein silberner Bär für die "Beste Regie" geworden ist:

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[2Zur Begründung dazu siehe den Text vom 12. Februar 2014: "Berlinale: Bikers’ Troubles"

[3Imrbb-Blog ist davon die Rede, dass nach dem 2013 vorgestellten Film "Before Midnight" es "umso enttäuschender" sei, "dass er diese Erwartungen nur teilweise einlöst.".
Und in einem "Bericht von der Berlinale" in der Abendschau vom 14. Februar 2014 ist von drei BloggerInnen die Rede, die schon vorab ihre Spitzen-Bären-kandidaten küren: "Boyhood" ist nicht darunter.
Für diesen Beitrag kann leider kein eigener Link angegeben werden und das kleine Videofenster bricht bei dem Streaming-Versuch regelmässig nach wenigen Sekunden zusammen... warum auch immer...

[4

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Und wie dieses Foto zeigt, sind dann im Verlauf der Sendung auch der Schauspieler Liao Fan samt Silbernen Bären und der Regisseur Diao Yinan samt Goldenem Bären zum Interview erschienen, sehr herzlich begrüsst und hervorragend übersetzt worden.

[5Ein Podcast-Version dieser Diskussionsrunde wurde bis zum nachfolgenden Sonntagmittag noch nicht angeboten.

[6Hier nicht weiter verfolgt wird der Hinweis auf die Entwicklung des Stoffs von Back to the Future.


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