Sommerfest im Brecht-Haus!

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 10. Juli 2015 um 12 Uhr 11 Minuten

 

0.

Anlass für diesen Beitrag ist zunächst der Titel der Online-Ankündigung des Literaturforums im Brecht-Haus mit dem nachfolgend zitierten Programm-Überblick, das in Zusammenarbeit mit der AKADEMIE DER KÜNSTE wie folgt präsentiert wird:

Ab 15:00 Uhr (bis 18:00 Uhr)

… werden Führungen durch die Brecht-Weigel-Gedenkstätte und über den Dorotheenstädtischen Friedhof angeboten (die Ausgabe der kostenlosen Zeitkarten für die Führungen beginnt 14:30 Uhr). Das Brecht-Archiv präsentiert Dokumente aus seinem Bestand

Ab 16:30 Uhr

… zeigen wir ein Filmprogramm zu Brecht

Um 19:00 Uhr

… lesen die Schriftstellerinnen und Schriftsteller Annett Gröschner, Kerstin Hensel, Reinhard Jirgl und Ulrich Peltzer speziell für unser Sommerfest ausgewählte Texte

Anschließend

… Ausklang im Hof

Die Weinwirtschaft bietet auf dem Hof des Brecht-Hauses Kaffee, Kuchen, Speisen und Getränke an

1.

Bevor es aber möglich war, dort anzukommen, mussten zunächst einmal alle möglichen Widerstände und Behinderungen überwunden werden. Denn - wieder einmal - war die Strasse des 17. Juni gesperrt, die "goldene Else" als auch das "Café Victoria" waren von jeglichem Verkehr befreit, und so wurde es nötig, sich auf anderen Wegen Stossstange an Stossstange in Richtung Berlin-Mitte zu bewegen.

Das erste Ziel war dort das BE, das Berliner Ensemble. Und während sich draussen schon das Publikum für die FAUST-Aufführung einfand, gab es inhäusig den Weg über den Kellertrepp in die "Kantine", um den Amerikanischen Gast wieder begrüssen zu können.

Und schon waren wir wieder mittendrin, im (Bühnen-)geschehen. Eine der Schauspielerinnen, mit der er sich getroffen hatte - laut Wikipedia sei sie diejenige gewesen, den George Tabori in seinem Leben „am meisten von allen Menschen" geliebt habe - musst sich für die Bühne vorbereiten und während sich so alles Personal für die FAUST-Aufführung in Stellung brachte, konnten wir gehen. Weggehen.

2.

Nun also auf zum Brecht Haus. Weg von der Bühne, hin zum Ort der Verfertigung der Stücke: in die Werkstatt. Was für ein Wiedersehen, nach all den Jahren, in denen der Autor in diesem Haus ein- und ausgegangen ist.... doch halt: Erst soll uns der Weg auf den Friedhof führen, von dem auch in dem Programm oben die Rede ist.

Und dann sind wir auf der Suche. Auf der grossen Info-Tafel das Dorotheenstädtischen Friedhofs findet man nicht... aber halt, wir sind ja noch gar nicht auf diesem. Der ihm vorgelagerte Friedhof ist der Französische: die Käthe Reichel ist dort begraben, nicht aber die Helene Weigel. Und der Bert Brecht. Und Peter Palitzsch, und... George Tabori.

Ein schon "klassischer" Irrtum, denn selbst Wolf Biermann, der einst dort um die Ecke zuhause war, spricht in einem seiner Lieder von dem "Hugenottenfriedhof", meinte aber damit den dahinter liegenden der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden.

Wie gut es tut, diesen Friedhof einmal freiwillig betreten zu können und nicht, weil schon wieder ein Lebensgefährte in den Tod gegangen, vom Tod geholt worden war.

Jetzt galt es nur noch die Gräber der Verstorbenen wiederzufinden, wie das von George Tabori - in dessen Nachbarschaft jetzt auch das Urnengrab von Harun Farocki zu finden ist.

3.

Peinlich - oder nicht? Wir überholen ein Gruppe von Menschen, die sich von einem Führer erklären lassen, wer wo liegt... schön und gut... sondern der ihnen auch zu erläutern versucht, wer diese Leute waren, nicht nur eine Helene Weigel und ein Bert Brecht, sondern auch ein Heinrich Mann, das Ehepaar Beatrice und Arnold Zweig, ein Hanns Eisler und Herbert Marcuse... aber in diesen seinen Erläuterungen ist so gar nichts selber Erlebtes enthalten, ja die Aussagen werden um Teil sogar aus dem Script abgelesen. Nicht einmal auf die auf Marcuses Grab oben für’s Laufpublikum angebrachte Lesekante mit dem Wort "WEITERMACHEN" wird hingewiesen.

Als und diese Gruppe dann auf der Höhe des inzwischen selber ausgekundschafteten Grabes wieder eingeholt hat, bleiben zwei Personen aus eben dieser plötzlich an unserer Seite stehen: Ein Kontakt, der selber schon fast ein halbes Leben zurückzublicken scheint, ist plötzlich wieder real. In Fleisch und Blut. Und endet mit der Geste, dass diese Wiederbegegneten von uns beiden ein Foto machen, das nun auf diesem Wege hier auch der Öffentlichkeit offenbart wird:

4.

Die Ankunft im Brecht-Haus wird leicht gemacht, da der Ort auch olfaktorisch vorangekündigt wird von den Rauchschwaden einer Würstchenbraterei. Beim Eintreten in den Torbogen treffen wir auf allerlei Volk, dass laut Brecht ja nicht "tümelt".

Aber Brecht ist tot. Und in dem Getümmel lässt ein Herr mittleren Alters eine schwarze Hardcovermappe fallen. Sie wird aufgehoben und so lange sichtbar in der Hand gehalten, bis der Mann zurückkehrt und sich artig für den nun erst bemerkten Verlust bedankt.

Während des Wartens ruft diese Klemmmappe all jene Erinnerungen aus den Jahren in der zweiten Hälfte der 70er Jahre wieder zurück, in der ihre Verwendung gang und gäbe war: Diese Mappe ist wie das Wort "gang und gäbe", das heute laut Duden nur noch "prädikativ in Verbindung mit sein verwendet werden" sollte, ein Relikt aus einer anderen Zeit. Mappen wie diese hier stammten in vielen Fällen aus dem Betrieb der VOB National, Papier- und Plasteverarbeitung Leipzig, und waren einst zum Preis von 3.10 Mark Ost zu erwerben - fast schon ein Luxusgegenstand. [1]

5.

Das eigentliche Ziel aber bleibt verschlossen.

Der Zugang zum Archiv ist zum Zeit des Eintreffens schon nicht mehr möglich. Da aber der Besuch am Tag zuvor fernmündlich angekündigt worden war, kam es zumindest zu einem Gespräch mit der für die Handschriften Brechts zuständigen Archivarin. Wobei sich herausstellt, dass die dort dokumentierten und danach in mehreren Büchern vorgestellten eigenen Forschungen [2] auch heute noch nachgefragt und weiter bearbeitet werden.

6.

Dann aber wird das Gespräch urplötzlich von einem heftigen Regenschauer unterbrochen. Das angeblich nicht "tümelnde" Volk flieht aus dem Innenhof in die Innenräume. Der Grill der Wurstbraterei wird zu diesem Zeitpunkt des einbrechenden Abend mit Regenwasser geflutet. Die im Vorderhaus angekündigte Lesung ist nun endgültig überfüllt sein. Und wir ziehen wieder weiter.

Auf dem Weg zum Theater unterm Dach wird dem Gast erklärt, wie der Streit um die Nutzung der Werke Brechts bis heute - leider - nichts an Aktualität verloren hat. Und da der Gast Komponist ist und Musiker, lag es nahe, ihm an dieser Stelle einen Beitrag von Thomas Pigor "Brecht haben" in der Aussendung vom 3. März im Programm SWR 2 zu präsentieren.

7.

Und dann sitzen wird schliesslich in den Räumen einer kleinen Bühne, die in der Tat unter dem Dach liegt und nur zu Fuss erklettert werden kann. Kein Wunder also, dass die dort vorgestellten Stücke ohne grosse Deko auskommen müssen, da es kaum vorstellbar wäre, diese überhaupt in diese Höhe hinaufwuchten zu können.

Und so stehen halt die Menschen im Vordergrund: Vier Schauspielerinnen - Veronika Nowak-Jones (samt Hund), Julia Kathinka Philippi, Claudia Wiedemer und Momo Wiedemer - die sich verabreden, ihren Lebensabend in einer Senioren"Residenz" zu verbringen und dadurch zu vergolden, indem sie versuchen, durch Simulation in die Pflegestufe 2 aufgenommen und damit auch gut finanziert zu werden.

Mehr von dieser Geschichte sei hier nicht erzählt... zumal nicht klar ist, wie weit sie dieses Stück wirklich trägt, das sich in weiten Strecken vor den Zuschauern eher wie eine gut gemachte Nummern-Revue entfaltet.

Der lang anhaltende Applaus zeigt, dass Thema und Inszenierung dem Publikums im ausverkauften Dachgeschoss zugesagt hat. Und auch wir, wohl die beiden ältesten Gäste dieses Abends, applaudierten kräftig mit - bis meinem Gast der Gehstock zu Boden fällt.

8.

All das hier skizzierte Geschehen machte nur wenige Stunden aus - und führte dennoch wie in einem Zeitraffer zurück ein eine andere Welt, die sich immer noch unter den aktuellen Verhältnissen zu bewähren sucht.

In diesen Stunden wurden Fäden wieder aufgenommen und aufgespult, Erinnerungen aufgefrischt und abgespult, die bis in jene Zeit zurückreichten, als im Westen gerade das Faxgerät die IKT [3] revolutionierte, während bei den West-Ost-Passagen die ersten portablen Video-Anlagen unter den unwissenden Blicken der Grenzbeamten eingeführt werden konnten, da sie, in ihre Einzelteile zerlegt, keine Auskunft darüber abgaben, wozu sie im zusammengebauten Zustand alles fähig sein würden...

9.

Das besonders Beeindruckende ist aber die Begegnung mit Menschen, die - im Gegensatz zum Autor - zeitlebens "nur" Theater gemacht haben, und vielleicht Film, und Fernsehen, und Hörspiele. Zu diesen Begegnung gehören auch Wieder-Begegnungen mit Schauspielern und Schauspielerinnen, mit denen die Zusammenarbeit auf eine Zeit von vor 40 (vierzig - sic!) Jahren zurückgeht.

Diese Gespräche sich nicht nur durch diese unsägliche "Ach-wie-die-Zeit-vergeht"-Mentalität bestimmt, sondern von einer grossen Neugier aneinander und aufeinander.
Sie, die sich ihr ganzes Leben der permanenten Neugier auf das Leben und Erleben der Anderen gestürzt haben. Und der Autor, der seit nunmehr einer Generation all diese Gewerke der Medien und ihrer Kommunikation digitalisiert hat und heute danach fragt, welches die nächste grosse Herausforderung sein wird.

10.

Was bleibt, ist ein neues Projekt: Aus Beckets: "Krapp’s Last Tape" - auf französich: "La derniére bande | auf deutsch: "Das letzte Band" - eine Neueinstudierung zu entwickeln.

Ihr Titel, auf englisch: "Krapp’s Last App".

Anmerkungen

[1Und heute als Ostalgie-Angebot mit dem Aufdruck der Firma Wartburg zum Preis von Euro 25.- im Netz zu finden...

[2Aus Anlass dieses Textes erstmals im Netz bei Amazon nachgeschaut und zumindest diese zwei Titel aus dem Jahr 1983 gefunden: "Die Furcht vor der Kommune [...]" und "Brechts Tage der Commune",

[3... die Informations- und Kommunikations-Technologie


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