Medien digital - Interaktivität total?

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 11. Juli 2004 um 22 Uhr 04 Minuten

 

Fritz Wolf im Medientagebuch der Wochenzeitung Fraitag vom 2.Juli 2004 über eine Veranstaltung die ich mit grossem Interesse besucht und einer noch grösseren Enttäuschung wieder verlassen hatte. Mit seinen "Genau berechnete[n] Zumutungen" bringt er die Diskussion aúf dem Kölner Medienforum und der "cologne Conference" über die Folgen der Digitalisierung wie folgt auf den Punkt:

Neue Formate im Fernsehen werden derzeit gesucht wie Ostereier im Frühjahr. Kaum ist eines neu auf dem Markt, wird es erstens schnell ausgereizt und zweitens von der Konkurrenz mit ähnlichen oder fast gleichen Formaten attackiert. So viele Heimwerker, Handwerker, Familien tauschende Mütter und kochende Männer waren noch nie. Aber das Personal und die Themen verschleißen auch schnell. Selbst die dokumentarisch angelegten Doku-Soaps auf arte laufen allmählich leer. Inzwischen sind alle Arten von Schulen durch, Tanzschulen, Fahrschulen, Musikschulen, Bergsteiger- und Stierkämpferschulen. Baumschule fehlt noch.

Was soll erst werden, wenn die Digitalisierung des Mediums greift? Das Verlangen nach Stoff und nach Personal wird erheblich wachsen, wenn sich zu den vorhandenen Kanälen noch viele andere Spezialkanäle gesellen. Der Markt der Videospiele giert gleichfalls nach Stoff, viel Stoff. Das wird ein fröhliches Recycling und vor allem ein Kreuz und Quer in der Transformation der Stoffe. Schon jetzt wird jede Geschichte darauf hin abgeklopft, ob sie sich nicht hin und her verwandeln lasse, in ein Doku-Drama, einen Blockbuster, ein Videospiel, eine simple Zeitungsnachricht, eine Illustriertengeschichte, einen Fortsetzungsroman und eine kurzes Spielchen zwischendurch auf dem Handy. An jeder Ecke der medialen Verwertungskette sitzt inzwischen jemand, der an so genannten "Erlösmodellen" herumrechnet.

Noch ist es nicht ganz so weit. Die Digitalisierung als technisches Verfahren kommt zwar voran, bleibt aber auf die Übertragungstechnik beschränkt. Langfristig jedoch wird sich die Vermehrung der Kanäle und die technisch gleiche Datenbasis aller Medienformate auch auf Programmstrukturen und Sendeformen auswirken. Es lässt sich aber noch nicht einmal sagen, ob nicht noch ganz andere "Player" im digitalen Geschäft auftauchen. Etwa vom Satellitenfernsehen her, das bald einen internetfähigen Rückkanal bieten wird und sich so in die Verwertungsketten einklinken kann. Oder von Telekommunikationsfirmen, die mit ihren erfolgreichen DSL-Internet-Zugängen auch ins Geschäft mit den bewegten Bildern drängen. Die Entertainment-Töchter sind schon gegründet.

Auf dem Kölner Medienforum und der cologne conference wurde deshalb das Thema Digitalisierung und die Folgen diskutiert - mit ziemlich unklaren Ergebnissen. Neue Geschäftsmodelle und in ihrem Gefolge neue Formate im Massenmedium Fernsehen sind noch nicht in Sicht. Mehr noch: die Branche platzt vor Unlust, sich darauf einzulassen. Vor allem die kommerziellen Sender hätten am liebsten, dass alles bleibt wie es ist. Sie können der Digitalisierung wenig abgewinnen. "Dass das Signal unseres Programms jetzt digital statt analog ist", argumentierte Vox-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt, "ändert am Programm nichts." Auf dem deutschen Markt will derzeit niemand in Programmideen investieren, die auf digitaler Technik beruhen.

Es sieht alles ein wenig nach Ratlosigkeit aus. Vor allem ist unklar, wie das Publikum reagieren, was es akzeptieren und was ablehnen wird. Brian Seth Hurst von The Opportunity Management Company in Los Angeles wüsste gern, wie er die unkonzentrierten jungen Männer wieder vor den Bildschirm bekommt, die in Richtung PC und Spielkonsole abgetaucht sind. Ute Biernath vom Entertainment-Produzenten Grundy hätte gern die von vielen Anruf-Aufforderungen genervten Zuschauer wieder am Telefon zurück. Rainer Sura vom Verkaufssender QVC befand, die oft propagierten "wahnsinnigen Perspektiven" könnten "einen manchmal in den Wahnsinn treiben".

Das Mantra im Digitalen heißt Interaktivität. Der sich vom Passiven ins Aktive verwandelnde Zuschauer ist ein offenbar nicht totzukriegender imaginierter Hauptdarsteller für Geschäftsmodelle. Am hellsten sind die Aussichten noch in der Kombination mit Videospielen und der darauf basierenden medialen Kreuzundquer-Verwertung. Etwa 40 Prozent der US-Haushalte, so Thomas Clark von der Financial Times Deutschland besäßen bereits Video-Games und die seien besonders bei den 18-34-Jährigen beliebt. Generell scheint die Branche dem Bild zu folgen, eine total gelangweilte und in grauer Tristesse versinkende Gesellschaft warte nur darauf, mit etwas mehr Unterhaltung bedient zu werden.

Hinzu tritt das Handy als neuer Vertriebskanal, das wahrscheinlich noch unterschätzt wird. Bereits 100.000 Jugendliche sollen sich Stefan Raabs Sprüche aus TV total aufs Handy geladen haben, für fünf und zehn Euro. Moby-TV in Großbritannien hat 26 Kabel-Kanäle für die Übertragung aufs Handy fit gemacht und dafür 90.000 Abonnenten gewonnen, für monatlich 9,90 Pfund. Jürgen Grabosch, Programmchef des eben an MTV verscherbelten Musikkanals VIVA kann sich auch sehr gut vorstellen, Videoclips übers Handy zu verkaufen.

Die neuen "Formate" und "Erlösmodelle", die derzeit gedealt werden, rechnen erfolgreich auch mit der Dummheit der Leute. So hat sich in Großbritannien gezeigt, dass nicht wenige Leute bereit sind, auf dem Handy für Leistungen zu bezahlen, die sie im Internet umsonst bekämen. Auch entrichten genügend Anrufer bei Meinungsumfragen ihren Obulus, nur um mitzuteilen, dass sie gar keine Meinung hätten. Nicht zu reden von den so genannten "Telefon-Mehrwert-Diensten", mit denen sich Sender wie 9Live finanzieren. Täglich gehen hier Anrufe von knapp einer halben Million Zuschauer ein und bescheren dem Sender Millionenumsätze. Man muss sich nur einmal die dreiste Abzocke bei den Hütchenspielern der Branche auf DSF oder 9Live ansehen, um zu wissen, was und womit hier gespielt wird.

Darüber hinaus aber scheint die Phantasie gelähmt. Was auch an der begrenzten Fragestellung liegen kann. "Wofür ist der Zuschauer bereit, Geld auszugeben, ohne nachhaltig frustriert zu sein?" - das möchten alle gern wissen. Einen besonders originellen Vorschlag für ein interaktives Format trug dazu auf der cologne conference Eileen Bastianelli von der Leitung des Pariser Medien-Unternehmens 121 Productions den versammelten Geschäftsmodell-Männern vor: eine Striptease-Show abends, mit der freundlichen Aufforderung der medialen Interaktionspartnerin: "Möchten Sie, dass ich mein Oberteil ausziehe?"

Vielleicht bei Arte fragen. Stripschule fehlt auch noch.


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