Die letzte Chance

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 2. September 2019 um 12 Uhr 48 Minutenzum Post-Scriptum

 

Nationale Pressestimmen:

BADISCHE ZEITUNG, Freiburg: „Als es darauf ankam, haben die Wählerinnen und Wähler der AfD den ganz großen Triumph versagt [...] Das Signal einer breiten Mehrheit der Wähler aber ist klar: Die vermeintliche Alternative für Deutschland soll unter allen Umständen von Macht und Regierung ferngehalten werden. Es ist – gerade angesichts der Verstrickungen des brandenburgischen Spitzenkandidaten in die rechtsextreme Szene – ein kluges Signal. Es ist eines, das demokratische Reife bezeugt“

HESSISCHE NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE, Kassel: „Es ist gekommen, wie befürchtet. Ein Viertel der Sachsen und Brandenburger steht hinter der AfD. Trotz der Kalbitzes, Höckes, Gaulands, die dieser Partei ihr Gesicht geben. Oder wegen ihnen. Aber weil das alles noch in einem vorhersehbaren Rahmen geblieben ist, besteht die Gefahr, dass der Aufschrei im politischen Berlin eher nach Erleichterung klingt. Gleichgültig zur Tagesordnung überzugehen, wäre aber selbstmörderisch vor allem für die Parteien der Großen Koalition“

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: „Am Ende haben aber auch drei Viertel der sächsischen Wähler am Sonntag ihre Stimme Parteien gegeben, die mit einer zwischen Radikalismus und Extremismus changierenden AfD nichts zu tun haben wollen.“

FRANKFURTER RUNDSCHAU: „Die Rechten haben ungewollt der Demokratie in Sachsen und Brandenburg sogar einen gewissen Dienst erwiesen [...] Weil sie die betonierten Verhältnisse aufgesprengt haben. Weil sie zu einer Verflüssigung der politischen Selbstgewissheiten beitragen und damit zu einem Wandel bei den seit Jahren festgezurrten Machtverhältnissen. Die bislang unangetasteten Fürstentümer von CDU und SPD sind in Auflösung, spätestens seit diesen Wahlen ist vieles in Bewegung.“

FREIE PRESSE, Chemnitz: „Dass Sachsens CDU am Ende die AfD doch noch auf Abstand halten konnte, hat drei Gründe“, erläutert die „Einer davon sind die Frauen. Während jeder dritte Mann die Partei wählte, erhielt sie grob gerechnet nur von jeder fünften Frau ihre Stimme. Der zweite Grund heißt Michael Kretschmer. Dessen Lasst-uns-reden-Strategie ist aufgegangen. Und außerdem haben der CDU ohne Zweifel auch zahlreiche Anhänger anderer Parteien zu ihrem Ergebnis verholfen, die sich angesichts des zu erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennens mit der AfD geradezu gezwungen sahen, der CDU zur Seite zu springen“

LAUSITZER RUNDSCHAU, Cottbus: „Was die neuen Landesregierungen mit den Milliarden für den Strukturwandel tun sollen, ist nicht einfach zu klären, wenn dabei grüne, linke und konservative Positionen unter einen Hut zu bringen sind. Das Gute daran: Die künftigen Regierungschefs Brandenburgs und Sachsens können nicht weitermachen wie bisher.“

LEIPZIGER VOLKSZEITUNG: „Die gute Nachricht vom Sonntagabend: Eine Regierungsbildung unter Führung der CDU mit Einbindung anderer demokratischer Parteien ist in Sachsen möglich. Mit der SPD allein – so wie bisher – wird es nicht mehr reichen, aber die Grünen sind stark genug geworden, sodass eine stabile Koalition zustande kommen kann.“

LUDWIGSBURGER KREISZEITUNG: „Ein Viertel der Wähler, darunter auch viele bisherige Nichtwähler, ist bereit, offene Rassisten und Rechtsradikale zu unterstützen. Dahinter stecken emotionale Gründe, die man nachvollziehen kann, die aber weder eine ausreichende Erklärung noch gar eine Entschuldigung sind.“

MÄRKISCHE ALLGEMEINE, Potsdam: „Die Stärke der AfD, aber auch die schwindende Bindungskraft der Volksparteien SPD und Union, haben die politische Landschaft in Brandenburg verändert. Es braucht nun mindestens ein Dreierbündnis zum Regieren. Das zwingt die Beteiligten zu mehr Pragmatismus und Kompromissbereitschaft. Ein Ausgleich der Interessen wird schwieriger werden. Aber es ist weiß Gott nicht das Ende der Demokratie, wie einige schon befürchteten.“

MÄRKISCHE ODERZEITUNG, Frankfurt (Oder): „Für Woidkes erklärte Lieblingskoalition mit der Linken reicht es bei weitem nicht und mit den Grünen existieren tiefe Gräben in der Frage, wie schnell die Braunkohleverstromung in der Lausitz beendet werden sollte. Einig sind sich alle Parteien in Brandenburg nur darin, dass sie nicht mit der AfD koalieren werden.“

NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG: „Es bleibt festzustellen, dass die Ergebnisse von CDU, SPD und auch der Linken mit jeder Landtagswahl schlechter werden, die Erklärungen indes die gleichen bleiben: Die etablierten Parteien wollen sich um die Sorgen der Wähler kümmern, die Realität besteht aber aus ‚Weiter wie bisher‘ und treibt der AfD die Unzufriedenen in Scharen zu“

RHEINPFALZ, Ludwigshafen: „Die eigentlichen Gewinner der Wahl stehen bei näherer Betrachtung wie begossene Pudel da. Mag sein, dass gerade der SPD in Brandenburg in den letzten Wochen eine beachtliche Aufholjagd gelungen ist. Mag sein, dass die CDU in Sachsen vor allem deshalb Erfolg hatte, weil sie sich faktisch von der Bundes-CDU abgekoppelt hat. Doch am Tag der Wahl ist die AfD zweitstärkste Partei. Und das mit Ergebnissen, die sie faktisch zur Volkspartei machen“

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, München: „Nicht die Profilierungssehnsucht der Parteien wird Politikern im Osten wieder Glaubwürdigkeit, Authentizität und am Ende politische Kraft geben. Diese kommt nur zurück, wenn die Menschen spüren, dass sich da jemand nicht nur für die eigene Zukunft einsetzt. Das klingt banal und ist doch selten geworden. Was das für die Zusammensetzung der Koalitionen bedeutet, ist offen. Sicher ist nur, dass die Parteien sich mehr kümmern, sich mehr erklären und häufiger auch mutig was ausprobieren müssen“

WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN, Münster: „Die historisch schlechten Wahlergebnisse hatten CDU und SPD in Sachsen wie in Brandenburg längst eingepreist; dass den wahlkampffleißigen Hauptmatadoren überdies ein guter Schlussspurt gelungen ist und verheerende Fiasko-Verluste ausgeblieben sind, die auch das politische Berlin hätten erschüttern können, dient der allgemeinen Beruhigung. Woidke und Kretschmer können, wenn auch mit einem blauen Auge und in veränderten Koalitionen, weiterregieren. Machterhalt als wahre Währung“

VOLKSSTIMME, Magdeburg: „Der Osten muss endlich ohne Vorbehalte als gleichberechtigter Teil dieser Republik respektiert werden. Und ein eigenes Selbstbewusstsein entwickeln, das nicht laufend einem imaginären Westniveau hinterherrennt.“

ZEIT ONLINE. Hamburg/Berlin: „Der Osten ist politisiert wie seit der Wendezeit nicht mehr. Nicht nur das Viertel der Bevölkerung, das – sei es aus Protest oder aus Überzeugung – zur AfD tendiert, drängt in die Öffentlichkeit. Die drei Viertel, die für vermeintliche Alternativen unempfänglich scheinen, regen sich nun auch verstärkt so, dass man es wahrnimmt. Das zeigt sich zum einen darin, dass sich die Grünen, für die der Osten lange Zeit Terra incognita war, fast verdoppelt haben. Und zum anderen darin, dass die 30-jährigen Dauerherrscher SPD und CDU aus ihrer Bräsigkeit erwacht sind. Die Lethargie, mit der die schweigende Mehrheit den Aufstieg der AfD lange Zeit betrachtete, ist verflogen. Für die Demokratie im Land ist das ein ermutigendes Zeichen“

Internationale Pressestimmen:

DERNIÈRES NOUVELLES D’ALSACE, Strassburg: „Für Angela Merkel ist das gute Abschneiden der AfD immer noch das kleinere Übel. CDU und SPD sind nicht völlig eingebrochen, die Berliner Koalition ist gerettet – noch.“

GAZETA WYBORCZA, Warschau: „Die Ursachen für die Stärke der AfD in Ostdeutschland liegen unter anderem in den nicht verheilten Wunden aus der Wendezeit: Die Menschen haben das Gefühl, dass die DDR vollständig von der BRD übernommen wurde – sowohl wirtschaftlich als auch kulturell und vor allem politisch. Einst organisierte der kommunistische Staat den Menschen ihr gesamtes Leben – und solange sie gehorsam waren, führte das zu einem ausreichend guten Lebensstandard. Die westliche Gesellschaft hingegen scheint weder einen tieferen Sinn zu haben noch bietet sie Sicherheit. Im Gegenteil: Das westliche Lebensmodell weckt Unsicherheit. Die AfD präsentiert sich in ganz Deutschland als einzige Partei, die den Bürgern wirklich zuhört“

THE GUARDIAN, London: „Der scharfe Rechtsruck in Sachsen und Brandenburg ist ein Schlag für Merkels Große Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten. Sowohl CDU als auch SPD haben zahlreiche Wählerinnen und Wähler an die rechtspopulistische AfD verloren. Die wiederum war zudem in der Lage, hunderttausende Menschen zu mobilisieren, die bislang nie oder selten zur Wahl gingen.“

JUTARNJI LIST, Zagreb: „Die Landtagswahlen haben deutlich gezeigt, dass sich die AfD in Ostdeutschland als starke politische Kraft etabliert hat. Die Wählerinnen und Wähler haben sich aber nichtsdestotrotz für Stabilität entschieden. In Sachsen behält die CDU die Macht, in Brandenburg die SPD. Und noch ein Ergebnis dürfte das politische Berlin beruhigen: Der Wahlausgang sichert die Fortsetzung der Großen Koalition auf Bundesebene“

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: „Dieser Wahlsonntag macht einmal mehr deutlich, dass die AfD so schnell nicht wieder verschwindet. Eine Wahlparole wie ‚Vollende die Wende‘, dreißig Jahre nach dem Mauerfall, mag auf die meisten Deutschen verstörend wirken. Im Osten trifft die Partei damit das Empfinden einer grossen Bevölkerungsschicht. In Sachsen fehlt der AfD allenfalls noch die Tradition, um sich Volkspartei nennen zu können. Insgesamt hat in Sachsen und Brandenburg ein Rechtsruck stattgefunden. Die AfD spreche aus, was in den anderen Parteien nicht gesagt werden dürfe – davon sind laut einer Umfrage 99 Prozent der AfD-Wähler in Brandenburg überzeugt; und selbst über 50 Prozent der übrigen Wähler. Es ist ein Schlüssel zum Erfolg dieser Partei – und zu ihrer Bekämpfung. Wenn CDU und SPD den Leuten nicht das Gefühl geben, Probleme offen ansprechen zu können, werden sie weiter an Boden verlieren“

EL PERIODICO DE CATALUNYA. Barcelona: „Die AfD hat es geschafft, ihre Wähler zu mobilisieren und ein hervorragendes Ergebnis zu erzielen. Sie hat sich damit in Ostdeutschland weiter etabliert, während die großen Parteien SPD und CDU erneut geschwächt wurden. Vorbei sind die Zeiten der ersten Euphorie nach der Wiedervereinigung: Auf dem Gebiet der DDR herrscht bei vielen ein Gefühl der Enttäuschung und der Unzufriedenheit darüber, wirtschaftlich dem Westen hinterherzuhinken. Selbst aus dem linken Lager sind Wähler zu den Rechten abgewandert, denn auch sie sind gegen die europäische Integration und gegen die Aufnahme von Flüchtlingen“

DER STANDARD, Wien: „Weil der Jubel gar so laut war bei der AfD, sei vorab eines erwähnt: Richtig – viele Menschen haben die Partei gewählt. Die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler aber tat dies nicht. Warum die AfD gerade im Osten so stark ist, lässt sich nicht auf einen Punkt bringen – aber es gibt mehrere Erklärungen. In Ostdeutschland sind die Bürger noch weniger an Parteien gebunden als im Westen. Wer früher protestieren wollte, der gab seine Stimme der Linkspartei. Aber diese regiert längst mit und ist somit etabliert; da zieht man weiter zur AfD, die die Unzufriedenen anspricht. Das hat sie im Wahlkampf geschickt getan, indem sie suggerierte, es sei – 30 Jahre nach 1989 – eine neuerliche Wende nötig, um sich aus dem Joch von CDU und SPD zu befreien“

TAGES-ANZEIGER, Zürich: „Die AfD erreicht mit den jüngsten Erfolgen eine neue Stufe in ihrer Entwicklung: Sie hat die Hülle einer reinen Protestpartei abgestreift und sich zumindest im Osten als neue Volkspartei etabliert. Vielen Ostdeutschen gibt die AfD eine neue politische Heimat.“