33 Jahre und kein bisschen... (IV)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 27. Oktober 2019 um 18 Uhr 43 Minutenzum Post-Scriptum

 

Im Nachgang zu den diesjährigen Medientagen einige Aufzeichnungen, die während des Rückwegs auf dem Weg von München nach Berlin [1] formuliert und hier - zunächst als Draft zur Diskussion - publiziert werden.

Die diesjährige Überschrift „NEXT DIGITAL LEVEL“ ist eine Verlegenheitslösung gewesen, wenn auch ein gute. Denn darunter lässt sich alles subsumieren, was in einem so aufwendigen und umfangreichen Programmangebot unterzubringen war. Sie tut keinem weh und signalisiert die Bereitschaft, sich auf die Themen Fortschritt und Veränderung einzustellen.

FORTSCHRITT UND VERÄNDERUNG, dieses Motto galt offensichtlich auch für die Veranstaltung selber. Auch und obwohl sie wieder an den angestammten Ort, das ICM, zurückkehren konnte. In diesem Jahr wurde diese Bereitschaft zur Erneuerung nicht so sehr durch einen Ortswechsel dokumentiert als durch viele andere kleine wie grössere Veränderungen, die sich – das sei gleich an dieser Stelle gesagt – positiv auf das ganze Geschehen und seine Rezeption ausgewirkt haben.

Im Gegensatz zu früheren Jahren - in denen dem inzwischen ausgewechselten Führungsteam ganze Papiere mit analytischen Untersuchungen bis hin zu konkreten Vorschlägen zu Themen und Formaten unterbreitet worden waren – war in diesem Jahr konkret zu erleben, wie sich das Interesse des neuen Leitungsteams an den Vorschlägen von „draussen“ auf die Veranstaltung ausgewirkt haben.

Das gilt sowohl für NEUE THEMENFELDER – von Künstlicher Intelligenz bis Podcast – das gilt für neue FORMATE UND ZIELGRUPPEN – hier als Beispiel das (wenn auch von manchen nicht sogleich verstandene)„R U Ready“ - Format inklusive einem Hackaton, mit dem diese MTM19 sogar abgeschlossen wurde (was im Programm nicht verzeichnet war) und das gilt auch für den wachsen Grad an Internationalisierung, auch über die Grenzen Europas hinaus, von Afrika bis China.

Die für den letzten Tag angesetzte Pressekonferenz von MEDIA WOMEN CONNECT machte auch deutlich, dass das langjährige Drängen und die Teils massive und gut begründete Schelte zu Veränderungen geführt hat, die nicht nur statistisch zu Belegen sind: mit einem Frauenanteil auf den Panels von inzwischen mehr als einem Drittel. Es war auch ein deutlich anderer Stil spürbar, der sich immer wieder neue Wege suchte, um erkennbar werden zu lassen, dass mit diesen Veränderungen auch eine neue Form der Offenheit, ja einer fröhlicheren zivilisierten Geselligkeit Bahn zu brechen beginnt.

Ganz konkret an den eigenen Erfahrungen festgemacht: Wann immer der Wunsch bestand, vor oder auch nach einer Veranstaltung mit einer der Panel-Teilnehmerinnen in Kontakt zu treten, führte diese Ansprache zu einem positiven Ergebnis: vom Austausch der Visitenkarten, Verabredungen für einen Termin im Nachgang der Veranstaltung oder sogar mehrfach zu sich direkt anschliessenden Einzelgesprächen. Die auf den Seiten zuvor wiedergegebenen Interviews mit männlichen Protagonisten zeigt, dass es hier nicht darum geht, ein Schwarz-Weiss-Bild zu zeichnen. Aber gerade bei jenen Vorträgen, die sich durch eine besondere Eloquenz und Qualität auszeichneten (auf der „Main Stage“ am zweiten Tag Christian Mio Loclair, am dritten Tag Bernhard Pörksen) war es unmöglich, danach ins Gespräch zu kommen.

Dabei, auch das soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, waren die ARBEITSBEDINGUNGEN FÜR JOURNALISTEN wirklich gut. Das gilt sowohl für die technischen Voraussetzungen als auch für die Bereitschaft uns bei Nachfragen oder der Bereitstellung von Infrastruktur entgegenzukommen. Dass in diesem Zusammenhang auch die Bartering-Services von ASTRA bis GOOGLE in Anspruch genommen wurden, geht dabei voll und ganz in Ordnung. Ja, es war eigentlich eher erstaunlich zu erleben, dass sich Häuser wie die DTAG in Gestalt der CloudDienst-Angebote von T-Systems nicht an diesem Wettbewerb beteiligten.

Bleiben wir noch einen Moment bei diesem Thema: JOURNALISMUS UND TECHNIK . Wir haben auf der einen Seite – endlich! – Leute erlebt, die sich wirklich in der Welt der EDV auskennen. Denn sie wissen zum Beispiel, dass die Datenschutzverordnung, so gut sie auch sein mag, nicht dafür geeignet ist, zu sichern, was „im Inneren“ der von uns genutzten elektronischen Geräte passiert. Auf der anderen Seite gibt es mehr und mehr KollegInnen, bei denen es „so langsam dämmert“ um was es geht, die aber noch lange nicht den Überblick, geschweige denn den Durchblick haben (können!) was angesagt ist.

Je mehr sich diese Veranstaltung beginnt, über den Tellerrand der eigenen Branche hinauszuschauen, sich für neue Ansichten und Einsichten zu öffnen, je deutlicher die Wünsche und Sehnsüchte von digitaler Aufklärung über den digitalen Humanismus bis hin zur digitalen Souveränität zur Sprache kommen, desto deutlicher wird auch klar, dass es mit dem Bemühen, diese in die konkrete Praxis bis in den internationalen Wettbewerb hinein einzusetzen, schon viel zu spät ist [2].

DAS MÖGLICHE MACHEN – DAS UNMÖGLICHE VERSUCHEN: Die Medientage – und die diesen vorangehenden Veranstaltungen – waren zunächst eine Lobbybörse zur Durchsetzung medienpolitischer Forderungen. Heute spielt das Thema Medienpolitik kaum noch eine Rolle, Sie waren zunächst ein Forum zur Diskussion divergierender Interessen aus nationaler Grundlage. Heute werden diese mehr und mehr von internationalen Einflüsse geprägt, zuweilen schon heute determiniert. Sie waren zunächst weitgehend aus öffentlichen Mitteln und einem zusätzlichen Einfluss der privaten Wirtschaft finanziert, heute müssen sich diese Panels mehr und mehr aus sich selbst heraus finanzieren.

Diesen Spagat zu leisten ist weiterhin eine grosse Herausforderung. Er kann nur gelingen, wenn es gelingt, dieses Managen von Widersprüchen auch als eine Chance zu erkennen, zu begreifen und zu verkaufen. Als eine Chance, in der immer grösseren Flut von Events überleben zu können, ohne zu vergessen, wo man hergekommen ist und ohne sich den Mut absprechen zu lassen, auch über Zukünfte nachdenken und spekulieren zu dürfen, die sich zurzeit noch nicht einmal am Horizont der aktuellen Entwicklungen abzeichnen.

P.S.

Interessant, welche Reaktionen dieser Beitrag alsbald ausgelöst hat, bis hin zu ersten Vorschlägen wie diesen, im Folgejahr
 ein reines Männer-Panel auf die Beine zu stellen, auf dem sich einige jener Persönlichkeiten versammeln, die schon sehr früh versucht haben, die Positionen von Frauen zu stärken und damit lange Zeit noch mehr Rückschläge in ihrer eigenen Community einstecken mussten, als die Frauen, für die sie sich eingesetzt hatten
 eine Masterclass in Zusammenarbeit mit dem Technik-Dienstleister einzuberufen, in der in Theorie und Praxis versucht wird, eine Brücke zwischen Technikern und Medienleuten an ganz konkreten Fragestellungen zu konzipieren und an einigen konkreten Beispielen zu bauen.

Anmerkungen

[1Die Zeit dafür stellte sich ein, da durch den Umbau des Hauptbahnhofs der Weg von der U-Bahn bis an die Geleise so aufwendig und langwierig war, dass der geplante Sprinter IC 1000 eine Minute vor der Ankunft am Gleis 21 abgefahren war…

[2Hierzu als pars pro toto dieser Auszug aus dem Presse-Bericht über die Eröffnungsveranstaltung, in dem diese beiden Positionen gegenübergestellt werden:

Der Intendant des Bayerischen Rundfunks und ARD-Vorsitzende regte ein komplett neues Öko-system für Browser, Suchmaschinen und Empfehlungsalgorithmen an, das ähnlich wie die Airbus-Flugzeuge durch eine Art europäisches Konsortium realisiert werden könne. Conrad Albert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von ProSiebenSat.1 Media, mahnte, es bleibe nicht mehr viel Zeit, um geeignete Lösungen zu entwickeln. Er warnte vor der ökonomischen Macht der Online-Konzerne aus den USA und vor der antidemokratischen Wirkung eines „eskalierenden Automatismus an extremen Effekten bei Social Media“

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