MoMA Berlin: Last Words / Last Tour

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 17. Oktober 2004 um 19 Uhr 13 Minuten

 

Textbilder über die für Berlin ausgesuchten Bilder des Museums of Modern Art (MoMA) New York. Gewidmet zweier Arbeiten, die mir von nun an ganz besonders im Gedächtnis verhaftet bleiben werden: „The Red Bird“ („Der Rote Vogel“ von Agnes Martin) und „Tournesol“ („Die Sonnenblume“ von Kenneth Noland).

19. September 2004.
Der letzte Tag des Berliner Aushangs.
Ein Versuch, der scheitert. Und ein Experiment, das gelingt.

O. Intro

Sehr geehrte Katharina von Chlebowski,
sehr geehrter André Odier,

morgen, am "letzten Tag", werde ich von meinem Presse-Privileg Gebrauch machen und diesen, meinem Geburtstag, in Ihrem Hause verbringen.

Sollte es dort einen Zugang zu einem W-LAN oder zu einer ISDN-Leitung geben, würde ich diesen Tag live in unserem Web-Log auskommentieren, wenn nicht, dort am Montag einstellen unter:
http://www.iris-media.com/daybyday/

Nochmals: Ihnen Allen Dank für den Mut, mit dem Sie das Projekt begonnen und die Kraft, mit der Sie es durchgeführt haben!

[gez.] Wolf Siegert

1. Station

Heute, am letzten Tag der Ausstellung sollte es eigentlich nichts mehr geben, was es nicht schon gegeben hätte. Und siehe da: welch ein Irrtum. Meine Absicht, mit einem kleinen Laptop in die Ausstellung zu gehen und dort direkt vor Ort meine Eindrücke aufzuschreiben, führt zu allerlei Irritationen.

Dabei habe ich diesen selber mit verursacht. Indem ich eine der Aufseherinen auf ihren sprachlosen Blick auf mein kleines silbernes EDV-Teil ansprach und sagte: „es ist keine Bombe drin“. Diese Dummheit wirkte wie eben jene Waffe, die ich zu negieren mich bemüht hatte. Denn ich bekam zur Antwort: "wenn Sie hier mit einem solchen Gerät durch die Ausstellung gehen, dann nur in Begleitung."

Also lasse ich mich von einer anderen Kollegin nach oben begleiten und zeige Ihr das Schreiben, das ich den Organisatoren zwei Tag vor meinem heutigen Besuch zugesandt hatte.

2. Station

Das Tollste zuerst. Ein Rahmen mit einem „Bild“, von dem man meint, es sei eingetlich "nichts drauf". Dabei ist "alles" drin. In Form von allerkleinster, prozessualisierter Materie: Hunderte von feinsten horizontalen roten Linien auf einer hell grundierten Fläche. Agnes Martin stzte sie Zeile um Zeile zusammen um so einen Eindurck von etwas herzustellen, was eigentlich nur mit dem inneren Auge gesehen werden kann. "Get what you see"? C’est tout. Ich sehe, also bin ich? Martin erliegt dem Wunsch, sichtbar zu machen, was nicht zu sehen ist: "The Red Bird". Der rote Vogel, der dem beseelten Geiste gleich entfliegt.

Ich stehe nicht mehr vor dem Bild, sondern hocke daneben an seine linke Seite. Mein "Konzept" für diesen Besuch war bestimmt von der Idee, die Bilder nach der Nähe zu jenen Orten auszusuchen, an denen in den Säälen die Steckdosen für die Stromversorgung angebracht sind. Auch nachdem mir bedeutet wurde, dass ich nicht berechtigt bin, diese für meinen Laptop zu nutzen, "da könnte ja ein jeder kommen und seinen Rasenmäher hier anhängen wollen“, halte ich an diesem Konzept fest - und komme dazu, ganz andere Bilder in Augenschein zu nehmen, als jene, die mir "von sich aus" aufgefallen wären.

3. Station

So stosse ich danach auf ein großes, ebenfalls beige grundiertes Quadrat. Ein Bild von Kenneth Noland. Es scheint mir, als stünde der Mensch hinter diesem Bild, als schaute er der durch seine konzentrischen Kreise hindurch, die er in unterschiedlichen Abständen um einen dunklen, blaugrauen Mittel-Punkt gezogen hat. Der erste innere Ring ist von hellem Grau, ebenso wie der letzte äußere Ring, der das Ganze umschließt. An diesen, gewissermaßen von innen angelagert, ein weiterer, ockergelbheller Ring. Und dann, gewissermaßen in der paritätischen Mitte zwischen diesem und dem inneren grauen Ring noch einer: in knallfarbenem Schwarz. Alle diese Ringe sind konzentrisch umeinander gefügt, jeder steht für sich selbst, fast schwebend, und doch sind alle aufeinander bezogen.

Um mich herum, der wieder einen Hockplatz zwischen diesem Bild und der ihm naheliegenden Steckdose eingenommen hat, gibt es ein angeregtes Getuschel zwischen zwei weiteren Sicherheitsfachkräften. Aber sie lassen mich gewähren. Noch. Doch dann, während dieser Text noch in statu nascendi in die Tasten fließt, kommt einer von beiden auf mich zu und teilt mir mit, dass die Nutzung von Laptops in der Ausstellung verboten sei. Und er verweist auf sein Funksprechgerät und bedeutet mir, dass er sich extra nochmals rückvergewissert habe.

4. Station

Ich schließe meinen letzten Satz ab, schließe den Textfile und den Rechner. Dich nächste Steckdose - außerhalb der Bildersääle - finde ich im „Café“. Gleich vorne am Eingang links. Dort stelle ich den Rechner auf einen Stehtisch, mich daneben, verbinde diesen über das Stromkabel mit der Steckdose, öffne die Klappe und starte den Rechner neu und setze das Schreiben fort.

Mein Blick gleitet über die Museumsbesucher, die über die anderen Steh- und die meisten Sitztische verteilt sitzen - und zumeist miteinander reden; oder sie trinken einen Schluck oder nehmen „etwas Kleines“ zu sich. Oder sie rauchen. Ich sehe kaum jemanden, der hier alleine ist. Doch: ein Raucher, neben mir am Nachbartisch. Als ich vom Rechner aufschaue, spricht er mich an und fragt, ob das Rauchen hier gestattet sei. Meine Antwort lässt nicht auf sich warten: nachdem ich hier selbst noch einige Zeilen an dem anderorts verbannten Rechner verfassen kann, wird ihm ja wohl auch die kleine Zigarettenpause gestattet sein.


5. Station

Auch wenn ich mein Vorhaben nicht so durchführen konnte wie geplant - und dabei hätte man in eine der Kameras, mit dem die anderen Teams durch die Ausstellung gelaufen sind, viel eher eine Bombe einbauen können als in meinen superschmalen mobilen Rechner - so ist das Experiment doch keineswegs damit gescheitert.

Das Suchen nach neuen Sichtweisen ist auch das Bemühen, immer wieder neue Standpunkte erfahrbar zu machen; auch an sich selbst. Steckdosen als ein verstecktes Leitsystem zu nehmen mag verrückt erscheinen - und hatte doch, wie ich selber verwundert feststellen konnte - "Methode".

Es entwickelten sich ganz neue Beziehungen zwischen den Bildern. So führte mich die Linie von Marin und Noland schließlich zu René Magritte und seinem "falschen Spiegel", in dem der schwarze Mittelpunkt des Auges sich plötzlich in einen mitten im Himmeslraum unsichtbar aufgehängten Planeten verwandelt, durch den wir hindursehen können: auf die Welt hinter dem Welt-Raum.

Interessant waren auch die Dialoge mit dem Personal, die mit diesem kleinen Versuch angestossen wurden. Der Mann beispielsweise, der mir die Nutzung der Steckdosen untersagt hatte, fand anschließend Gelenheit, sich gut und gerne über Minuten über seinen Rechner zu unterhalten, der noch viel größer sei als der meine und nach zwei Jahren schon einen neuen Akku dringend nötig habe.

Und so bestärkt mich dieses Erlebnis in dem Willen, mein Projekt weiter voranzutreiben, in dem ausgesuchte Bewachungskräfte selbst jeweils eines jener Bilder kommentieren, dessen Schutz Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist.

Dieses, mein Verhalten im "Grenzbereich" einer solchen Ausstellung verwies um so nachhaltiger auf ihre Qualitäten. Hier arbeiten fast samt und sonders Leute, die ihre Arbeit lieben.*) Und die, die jeden Tag gekommen sind, sind "Liebhaber" dieser Werke - oder vielleicht sogar des einen oder anderen Rätsels, dass sie uns zu lösen aufgeben.

6. Endstation

Wie hier nachgelesen werden konnte, ist dieser Text in der Neuen Nationalgalerie in Berlin selbst entstanden. Wenn auch unter widrigen Verhältnissen.

Aber das ist noch nichts im Vergleich zu dem Versuch, ihn dann anschliessend auch gleich "ist Netz" zu stellen. Da im Museum "Externen" keine Nuzung der Stromversorgung zugebilligt wird, ist an die Nutzung eines ISDN- oder W-LAN-Anschlusses ("Was bitte wollen Sie...???") gar nicht erst zu denken.

Also gehe ich "fremd". Zunächst in das mir vertraute Hyatt Hotel. Aber im Gegensatz zu seiner vorzüglichen Küche bekomme ich in der Lounge keinerlei Signal für meinen mobilen Rechner. Also gehe ich weiter, von dort aus in das Madison Hotel (an dessen Eröffnung ich mich heute noch gerne erinnere). Allein, der dort angebotene "Hotspot" ist den Kunden mit einem Swisscomm-Account vorbehalten.

So lande ich mit meinem immer noch betriebsbereiten Rechner sprichwörtlich auf der Potsdamer Straße: Und siehe da, dort entdeckt meine W-Lan-Karte gleich zwei Provider. Sogleich erkenne ich die Nutzungsbedingungen vom Sony-Center an, um danach auf eine extrem lansame aber stabile Verbindung zu gelangen. Während von der gesperrten Strsse die Überreste eines grossen Festes zum 50. Kindertag abgeräumt werden, habe ich den Rechner auf einer blauen Mülltonne abgestellt, aufgeklappt und in Betrieb genommen. Es ist fast wie bei Becket, wenngleich dazu unvergleichlich komfortabler. Man muss nur viel Geduld haben im Netzwerk dieses öffentlichen LANs. Aber, schlußendlich, hatte alles geklappt. Und dieser Text ist "on air".

7. Last Words

Anbei noch ein Nachtrag von der Abschluss-Pressekonferenz vom 20. September im Kulturforum.
Auf dem Podium:
 Prof. Dr. Peter-Klaus Schuster (Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin),
 Glenn D. Lowry (Direktor des Museum of Modern Art, New York),
 Dr. Peter Raue (Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie),
 Hans-Georg Oelmann (Schatzmeister des Vereins der Freunde der Nationalgalerie),
 der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit,
 Frank-Peter Trümper (Leiter Kultur und Gesellschaft Deutsche Bank AG).

Nur ein Satz sei zitiert, der noch wichtiger war als der Dank des MoMA Chefs Glen D. Lowry an die Bürger und Initiatoren in dieser Stadt. Die eigene Zusammenfassung dieser speziell für Berlin ausgesuchten Werke und ihrer Inszenierung lautet: "Suddenly the mondaine becomes the sublime."

Thank you: Glen!

WS.


*) "The last Tour"
Im Zusammenhang mit einer Führung im Kunst Museum Bonn war bereits von Werken die Rede, die "uns helfen, den Sprung ins Leere zu wagen" [1]
Hier nun wurde diese Leere "total" und "toll" zugleich.

Foto: Gerd Engelsmann
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Wiebke Hollersen schreibt in der Berliner Zeitung vom Dienstag, 05. Oktober 2004 über "Die letzte Führung":

Ellen Kobe hat mehr als 300 Mal die MoMA-Ausstellung erklärt - nun lassen sie die Bilder nicht los.

Sie hat es noch mal gemacht. Ellen Kobe ist noch mal in die Neue Nationalgalerie gegangen, mit einer Gruppe von etwa 30 Zuhörern, und hat die Bilder erklärt, von Rousseaus "Traum" bis zu Gerhard Richters RAF-Zyklus. Die Bilder der MoMA-Ausstellung, die vor zwei Wochen hier geschlossen wurde.

Der Abbau ging schnell. Kein einziges Bild hängt mehr an den Museumswänden, heute wird auch der zertretene Teppich rausgerissen. 1,2 Millionen Besucher kamen in sieben Monaten. Mehr als 300 Mal hat Ellen Kobe Gruppen durch die Schau geführt. Nun ist das MoMA nicht mehr in Berlin. Ellen Kobe hofft, dass es bald auch aus ihrem Kopf verschwunden ist. Noch träumt sie von den Bildern, die nicht mehr da sind. "Vielen Kollegen geht es ähnlich. Insgesamt haben wir 9 000 Führungen gemacht, das war unglaublich dicht." Manchmal habe sie sich wie in einem Laufrad gefühlt, die immer gleichen Sätze hätten sich von den Bilder gelöst. "Ich habe sie irgendwann nicht mehr wahrgenommen."

Die Bilder verschwanden für sie, bevor sie abgehängt wurden, und sind nun an den leeren Wänden wieder da. Die Wahrnehmung verschwimmt, wenn man im Akkord eine Ausstellung erklärt - doch wenn man es gut macht, merkt niemand der Gäste etwas. Ellen Kobe macht es selbst im leeren Museum gut. Sie bittet, den Blick nach rechts oder links zu wenden, oder quer durch den Raum zu einem anderen, imaginären Bild zu schauen. "Kommen Sie ganz nah, um Gauguins Farbauftrag zu sehen!", sagt sie vor einer Wand. Sie hat vor allem Kollegen eingeladen, die auch durch die Ausstellung geführt haben, und die tun alles, wozu sie auffordert. Vielleicht ist es eine Gruppentherapie: Sie alle haben hier sehr viel gearbeitet. Die Führung durch das Nichts ist der absurde Schlusspunkt ihrer kollektiven Überforderung. Ein bisschen Parodie, ein bisschen Vodoo. Die Scheinwerfer leuchten Dübellöcher auf fleckigen Wänden aus.

Die Besucher setzten sich, um eine Wand besser auf sich wirken zu lassen - hier hingen Monets "Seerosen" - oder stellen Fragen zu anderen Wänden. "Woher wissen Sie, warum der Künstler ein schwarzes Kreuz auf schwarzem Grund gemalt hat?" Das sei auch Interpretationssache, sagt Ellen Kobe, und bietet an, später darüber zu reden. Nach anderthalb Stunden wünscht sie noch viel Freude im MoMA: "Hoffentlich können Sie die Bilder sehen, die wir nicht besprechen konnten." Sie zittert ein bisschen. Ihre Gäste klatschen lange und fallen ihr um den Hals. Einer von ihnen ist Kristian Jarmuschek. Auch er hat in den letzten sieben Monaten durch die MoMA-Schau geführt.

Er sagt, er habe die Führung durch die Leere genossen: "Mich hat fasziniert, wie genau ich die Bilder noch gesehen habe." In den letzten zwei Wochen habe auch er oft von der Ausstellung geträumt, "als ich vier bis fünf Führungen am Tag gemacht habe, ist mir das nicht passiert." Ihn bedrücke das aber nicht, er schaue der Ausstellung eher sehnsuchtsvoll hinterher. "Es war toll, Teil der Euphorie zu sein."

Ellen Kobe hat sich bei ihrer letzten Führung filmen lassen. Sie ist auch Künstlerin und will das Video später ausstellen. "MoMA goes on" wird es heißen: MoMA geht weiter.

Zitiert aus: http://www.BerlinOnline.de/berliner-zeitung/berlin_berlin/383331.html
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