Endlich wird Deutschland flexibler...

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 5. November 2004 um 18 Uhr 36 Minuten

 

... und will den Nationalfeiertag immer auch den nächstliegenden ersten Sonntag im Oktober verlegen. Das, was in Robert Leichts ZEIT-Kommentar "Nur wer die Nation nicht achtet ..." in der Ausgabe 45/2004 vom 1. November noch Spekualtion war, ist seit heute Gewissheit. Zumindest für Minister Clement.

Nur wer die Nation nicht achtet...
... braucht ihrer auch nicht zu gedenken.
Und wer wirklich sparen will, sollte dann bei der Streichung des „Tages der deutschen Einheit“ keinesfalls Halt machen

Dass wir Deutschen uns die Wiedervereinigung eigentlich nicht leisten konnten - das hat der eine oder andere ja schon hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Freilich hatte sich bei solchen zynischen Gedanken niemand die Frage gestellt, ob wir uns die deutsche Teilung hätten weiter leisten können, erst recht nicht die Frage, ob wir es uns hätten leisten können, die Ostdeutschen weiterhin die Lasten des gemeinsam begonnenen, gemeinsam verlorenen Krieges vorwiegend alleine tragen zu lassen - durch den Verzicht auf Freiheit und Wohlstand. Ja, was können wir uns eigentlich noch leisten?

Wenn es nach den neusten Gerüchten aus Berlin geht, können wir uns vielleicht gerade noch die Einheit, nicht aber mehr den „Tag der Einheit“ leisten, also jenen gesetzlichen Feiertag am 3. Oktober, mit dem wir der zweiten deutschen Einheit, der Wiedervereinigung im Jahr 1990 gedenken, mehr oder weniger intensiv, zugegeben. Jedenfalls heißt es, der Tag solle möglicherweise gestrichen werden. Der Sprecher des Finanzministeriums sagt, es handle sich bei solchen Gerüchten um Spekulationen - und der Hinweis auf „Spekulationen“, das weiß der Leser von Dementis aus alter Erfahrung, kommt einem Wahrheitsbeweis schon verdächtig nahe. Das einfache Wörtlein „Nein“ hört sich gewiss anders an. Aber es fiel nicht...

Das ist mir eine rechte Nation, die sich den Nationalfeiertag nicht mehr leisten kann - und für diese Empfindung muss man wahrlich kein Nationalist sein, Patriot reicht schon. Von mir aus brauche ich auch keine Feiern und Feiertage, ich habe ja auch die Einheit nicht eigenhändig wieder hergestellt. Aber meine alten und neuen Freunde in Ostdeutschland, die einiges gewagt haben im Widerstand gegen das SED-Regime und manches geleistet haben im Übergang zu Demokratie und Freiheit - denen das Recht des Dankes aller und des Gedenkens der Geschichtsbewussten schnöde und geizig abzuschneiden, das käme mir regelrecht schäbig vor. Und weshalb fällt den Bürokraten als erstes der nationale Feiertag ein? Weil sie immer noch glauben, dass man sich dadurch als besonders modern, aufgeklärt und überlegen ausweisen kann, dass man die eigene Nation zwar nicht offen heraus hasst, aber sich doch selber als post-nationales Wesen neu erfindet. Als ein Wesen, als das man sich nur selber im Spiegel so sieht, ohne die europäischen Nachbarn von dieser narzisstischen Überlegenheitspose überzeugen zu können. Die sehen in dieser post-nationalen Haltung nämlich nur ein eigentümlich kultiviertes Sonder- , ja: Elitebewusstsein, mit dem wir uns nur als eines prägnant darstellen: eben als Deutsche und als deutsche Nation.

Aber sei’s wie es sei - sehen wir die Sache mehr von der ernsten Seite: Deutschland geht es ja wirklich schlecht. Seien wir froh, dass der nationale Gedenktag vom 17. Juni auf den 3. Oktober verschoben worden ist - denn im Juni, bei schönstem Wetter, einen Feiertag zu streichen, das würde wegen der verdorbenen Badelaune zu einer echten Volkswut führen, während im Oktober ja niemand mehr baden gehen kann, außer der ganzen Nation. Doch dann muss wirklich ganze Sache gemacht und gespart werden, wo immer es geht. Zum Beispiel: Wenn wir schon keinen nationalen Feiertag mehr brauchen - weshalb dann eigentlich noch eine National-Flagge, die man ja selbst auf dem Berliner Wannsee auf jedem kleinen Segelboot führen muss. Also: Weg mit all den teuren, aufwändigen schwarz-rot-goldenen Fähnchen. Spart viel Geld! Und weshalb muss eigentlich in jedem deutschen Amtszimmer und Zollstübchen ein gediegenes, keineswegs billiges Photo des Bundespräsidenten hängen - das zudem alle fünf oder zehn Jahre ausgetauscht werden muss. Und, wenn man schon darüber nachdenkt: Weshalb brauchen wir überhaupt einen Bundespräsidenten, der erstens zwar viel zu reden, aber nichts zu sagen hat und der zweitens als Repräsentant der Nation nicht gebraucht wird, wenn wir die Nation nicht brauchen; zumal dann nicht, wenn durch Streichung des National-Feiertages ohnedies einer seiner wichtigsten Redetermine in Wegfall geriete?

Man sieht also: Es gibt Gedanken, die sollte man nicht denken - wenn aber doch, dann wenigstens konsequent.


Nachtrag: Im Gegensatz zu Herrn Clement spricht sich Herr Müntefering von der SPD am 5. November gegen eine Flexibilisierung des Feiertagsdatums aus, schliesslich gäbe es auch zu viele „ablehnende Einzelstimmen aus allen Lagern“. Also bleibt Deutschland doch seinem Image treu. Vielleicht dieses Mal sogar zum Guten...

Bei der ZEIT liest sich diese Meldung "Der 3. Oktober bleibt Feiertag" wie folgt:

"Kehrtwende bei Rot-Grün"

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hat am Freitag in Berlin klargestellt, dass der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit gesetzlicher Feiertag bleiben werde. „Ich werde den Vorschlag bezüglich Nationalfeiertag nicht weiter verfolgen und der SPD-Bundestagsfraktion die so entstandene Lage vortragen“, sagte er. Der bislang arbeitsfreie Feiertag sollte ursprünglich jeweils auf einen Sonntag verlegt werden. Zur Begründung für die Rücknahme dieses Vorstoßes verwies Müntefering darauf, dass „der Koalitionspartner eine Unterstützung des Projekts in der Gesetzgebung für nicht möglich hält“ und außerdem gebe es „ablehnende Einzelstimmen aus allen Lagern“.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt erklärten: „Wir glauben, dass auch in den Reihen unseres Koalitionspartners Viele Verständnis haben werden, wenn wir diesem Vorschlag nicht folgen können.“

Müntefering stellte sich damit gegen das von Finanzminister Hans Eichel präsentierte Vorhaben. Bundeskanzler Schröder hatte zuvor in einem Schreiben an Bundespräsident Horst Köhler die vorgesehene Verlegung des Tages der deutschen Einheit auf den ersten Sonntag im Oktober verteidigt. Gestern hatte sich Köhler in einem Schreiben an den Kanzler gewendet und setzte sich für den Erhalt des 3. Oktober als Feiertag ein. Schröder wies in seinem Antwortschreiben darauf hin, dass die Bundesregierung den Tag der Einheit nicht abschaffen, sondern lediglich verlegen wolle. Allerdings zeigte sich der Kanzler im Sender n-tv „diskussionsbereit“ in der Frage, den 3. Oktober als Feiertag zu streichen.

Von einer Verlegung des Tages der Deutschen Einheit hatte sich die Bundesregierung ein höheres Wirtschaftswachstum und höhere Steuereinnahmen erhofft. Dies sollte auch dazu beitragen, 2005 nicht das vierte Mal in Folge das EU-Stabilitätskriterium zu verfehlen. Nach Darstellung der Bundesregierung könnte sie im Alleingang - vorausgesetzt, die rot-grüne Bundestagsmehrheit stünde - den 3. Oktober als gesetzlichen Feiertag abschaffen. Bei anderen Feiertagen wie etwa dem 1. Mai seien Länderkompetenzen berührt.


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