Shoot KLM to the Moon & Look @ Dressel & Feininger

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 29. Juli 2023 um 14 Uhr 19 Minutenzum Post-Scriptum

 

I.

Am Dienstag, den 18. Juli 2023 trifft um 14:51 diese Mail ein von KLM Deutschland "klm_germany@klm-mail.com"
mit dem Betreff: "Lassen Sie uns Nordamerika entdecken!"

Hallo Wolf Siegert,

große Städte bedeuten größere Abenteuer! Entdecken Sie pulsierende Metropolen, außergewöhnliche Natur und eine Vielfalt an Einflüssen. Darum geht es in Nordamerika. Tauchen Sie in den USA in die amerikanische Kultur ein, besuchen Sie einen Nationalpark in Kanada oder genießen Sie die wunderschönen Küsten Mexikos. Lassen Sie sich von unserem Tourguide Bailey inspirieren und begleiten Sie sie auf einer Online-Tour durch die Highlights Nordamerikas.

Entdecken Sie Nordamerika

Mit Angebotspreisen, die kaum über 500 Euro für Hin- und Rückflug hinausgehen.

Und dann kommt es bei dem Versuch, sich im System anzumelden, zu dieser Überraschung: Weder der Eintrag der "Flying Blue" # noch der Mail-Adresse wird (noch) vom System (an-)erkannt:

So viel zum Thema Kundenbindung: Zunächst wurden alle Bonuspunkte - damit hätte man schon mehr als einmal nach LA fliegen können, und zurück - aus dem Konto gelöscht und jetzt das Konto selbst.

II,

Was tun? Wir schiessen die KLM auf den Mond und schauen uns stattdessen New York und Los Angeles in und von Berlin aus an, samt einer Finissage in der Galerie fineart berlin.

New York via Andreas Feininger
im Bröhan Museium bis zum 30. Juli 2023
 Andreas Feininger @ Bröhan Museum

.

Los Angeles via Michael Dressel
in der Galerie Fineart bis zum 20. Juli 2023 [1]

 Interview Fotograf Michael Dressel

Gespräch mit Michael Dressel


 Aus der Flut der Momente einen besonderen herausgreifen

Fotograf Michael Dressel: Interessiert an den Gescheiterten und Skurrilen

III.

Am Ende der Ausstellung werden wir noch einmal den Fotografen ’zu Wort’ kommen lassen. Und vorab nicht aus jenen Reden zitieren, die zur Eröffnung als auch an diesem Abend vorgetragen wurden, sondern, die "Galeristin, Malerin und Philosophin", Maria Wirth:

Schauen wir noch einmal auf die ausgestellten Bilder, finden sich in diesen immer wieder Artefakte, die das Publikum geradezu metaphorisch durch das Leben geleiten wollen, von Schaufensterpuppen bis Plakattexten, und zugleich damit vor Ort korrespondierend Menschen, die in einem ganz genau ausgesuchten Moment ihres Lebens porträtiert werden, vom Fotografen fixiert in Bildern, von denen sie selbst oft nichts wissen

und in Zusammenhängen, die wir als Publikum vor der im Schwarz-Weiss fixierten ’Rahmenhandlung’ sehen, aber nicht sie.

Es stellt sich am Ende des Rundganges heraus, dass diese hier wiedergegebene Bilderserie die einzige der ganzen Ausstellung ist und auch die Einzige, die nicht im Katalog erschienen ist, die aufzunehmen der Urheber nochmals auf Nachfrage die Genehmigung erteilt hat. Während sich alle anderen in einem Bild komprimierte ’Serien’ dadurch zu erkennen geben, dass sie Motive aus LA und Berlin in einen oft unerwartet reizvollen Dialog stellen, ist in diesem Triptychon die Konjunktion von Film und Foto zur Entfaltung gebracht.

P.S.

Im persönlichen Dialog mit dem Fotografen wurden sowohl Kataloge als auch Ansichten über Bilder ausgetauscht.
Aus dem eigenen sowohl gedruckten als auch online hier publizierten Katalog aus dem Jahr 2008 fand vor allem dieses Bild besondere Beachtung:

© akg-images
Bertolt Brecht mit seiner Tochter Hanne
Foto: Anonym, ohne Ortsangabe, Mai 1926

Anmerkungen

[1

Finissage
Donnerstag, 20.07. 17:00-21:00 | 19:00 Laudatio für den "Berliner" Michael Dressel im Kontext seiner Photographien von Günter Jeschonnek

Das Leben von Michael Dressel erzählt eine außergewöhnliche deutsch-amerikanische Künstlerbiographie. 1958 in Ost-Berlin geboren, nach einem gescheiterten Fluchtversuch und zwei Jahren im DDR Zuchthaus erlebt er ein paar kurze aber intensive Jahre im wilden Prä-Mauerfall West-Berlin. Bereits vor dem Fall der Mauer findet er sich an der Westküste der USA wieder und macht Los Angeles zu seinem neuen zu Hause. Dort arbeitet er über Jahre als Sound Editor für zahlreiche, zum Teil mit Oscars und Golden Reels für Sound prämierte Hollywood Filme, darunter die letzten sechzehn Clint Eastwood-Filme, woraus seine Berufung in die Oscar Academy hervorgeht. Während dieser gesamten Zeit pendelt er regelmäßig zwischen beiden Metropolen — in beiden Städten zu Hause und gleichermaßen vertraut wie fremd.

Die Reflektion auf die tägliche Erfahrung in der Welt der Stars und Hollywoodstudios und das Bewusstsein von deren letztendlicher Unzulänglichkeit spielten von Anfang für seine photographische Arbeit eine besondere Rolle. Wie viele Menschen gibt es, die voller Träume und Hoffnungen nach Hollywood kamen und die nun im Schatten der „Traumfabriken" ihr Dasein fristen? „Auf dem Hollywood Boulevard, dem sogenannten „Walk of Fame" findet ein nie endendes Schauspiel voll tragischer, komischer, absurder und manchmal gefährlicher Situationen statt. In dieser Umgebung finde ich menschliche Szenarios, die oft zeitlos sind und über den konkreten Ort hinausweisen." (MD) Dass Michael Dressels Arbeit oft in die Rubrik der sozialen Dokumentation eingeordnet wird, trifft sein Anliegen nur unvollständig. Ohne Frage lässt sich der soziale Kommentar nicht von Photographien von Menschen trennen, von denen viele durch Armut, Krankheit, Drogen oder Schicksalsschläge an den Rand der Gesellschaft geraten sind. Für Dressel ist dies jedoch nur die oberflächliche erste Schicht seiner Bilder.

Was ein Bild zu einem guten Bild mache, sei das Sichtbarmachen einer grundsätzlicheren Ebene, die wirke und gelte ungeachtet von Ort und Zeit der Aufnahme, ungeachtet von Klasse, Rasse, Herkunft oder Alter der Porträtierten. Diesem Gedanken geht die Ausstellung nach und zeigt an der Seite der Photographien aus Hollywood und Los Angeles nun erstmals Aufnahmen aus Berlin. Die 9 Stunden Zeitunterschied zwischen den beiden Städten repräsentieren mehr als nur verschiedene Zeitzonen: „Wenn ich nach Deutschland komme, fühle ich mich oft, als würde ich aus einer gesellschaftlichen Zukunft kommen..."


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