Car-Freitag

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 00 Uhr 49 Minuten

 

I.

Heute bleibt das Auto vor der Wohnung stehen. Und wenn jemand arbeitet, wie der Autor, wird einmal mehr das Fahrrad zum Transportmittel erkoren. Und die S-Bahn.

Beide Transportmittel haben einen grossen Vorteil: man kann in der S-Bahn, aber auch auf dem Fahrrad, mit seinem Smart-Phone Radio hören. Und zwar nicht nur über UKW, sondern auch via Internet.

Und in dieser auf dem Internet basierenden Distribution gibt es das Programm "DRadio Wissen". Und an diesem Karfreitag wird einen ganzen Tag lang eine An-Sammlung all derjenigen Sendungen wiederholt, die unter der Rubrik "Hörsaal" schon zu früheren Zeiten vorgestellt worden waren.

Das Wort der Redaktion: "An Karfreitag und Ostermontag geben wir allen Freunden des Hörsaals Gelegenheit, ihren Wissensdurst in vollem Umfang zu stillen. Wir wiederholen die bisherigen Vorlesungen in der ursprünglichen Sendefolge an beiden Tagen von 6 Uhr morgens bis 20 Uhr."

II.

Der Versuch, die Programmfolge im Internet gezielt abrufen zu können, endet zunächst im Nirwana. Aber nach zwei Vorträgen des Meisters Marcuse aus den 50er Jahren ist der Vater des Radio-Hörsaal-Formates selbst im Gespräch mit Hans-Jürgen Bartsch auf dem Sender zu hören.

Ralf Müller-Schmid, Redaktionsleiter von DRadio Wissen, war am 4. März diesen Jahres in einem anderen Zusammenhang aufgefallen: Mit seinem Kommentar zur These des Facebook-Gründers, Mark Zuckerberg, "die Ära des Privaten sei vorbei, öffentlich sei die neue Norm".

Müller-Schmid greift diese These in dem ihm bereits aus seinen Sendungen bekannten Form des ebenso diskreten wie dennoch deutlichen Humors auf, indem er schreibt: " Ich muss mir meine Freunde nicht mehr aussuchen; ich habe nur noch welche. Der Rest der Welt sind immer auch Freunde, ich kenne sie nur noch nicht. Und ich muss mich bei Ärger nicht mehr von ihnen fernhalten, weil ich sie ohnehin nicht mehr los werde.

Defriending ist das nächste große Ding, wenn erstmal alle die Freunde von allen geworden sind. Dann wird’s aber kompliziert, weil sowas wie incommunicado in der Logik der social media nicht vorkommt."

III.

Ausgerechnet als Super-Kontrast-Programm zu dieser These wird an diesem Morgen der Vortrag von Amitai Etzioni [1] unter dem Titel "The Richness of Moral Dialogue" anlässlich der Verleihung des Meister Eckart-Preises der Düsseldorfer Identity-Foundation ausgestrahlt, gesendet, gestreamt, was auch immer...

Prof. Axel Honneth hatte in seiner Laudation darauf hingewiesen, dass nach Etzioni dem "Ich" der Bezug zum "Wir" verloren gegangen sei und darauf aufmerksam gemacht, was ihn nach seiner Flucht aus Deutschland in Palästina so sehr geprägt habe: das Leben und Arbeiten in einer Kommunitären Infrastruktur, die die Grundlage eines erfolgreichen Wirtschaftens sei. Die Erfahrung, plötzlich arbeitslos geworden und für die Gesellschaft nicht mehr nützlich zu sein. Und der Wille, sich qualifizieren zu wollen, ohne über die dafür notwendigen formalen Voraussetzungen zu verfügen.

IV.

Das interessante an diesem Gespräch zwischen Bartsch [2] und Müller-Schmid ist, dass der Redaktionsleiter denn auch gleich einleitend ganz offen und unumwunden zugibt, dass an dieser Stelle, gerade was die Online-Dokumentation des Programms und der Sende-Pläne betrifft, noch so manches zu verbessern wäre - und verbessert werden wird.

Aber eben diese Haltung und Stellungnahme macht Mut, zumal er auch davon berichtet, dass ihn die Diskussionfreudigkeit der Leute im Blog geradezu "umgehauen" habe.

Da würde man im regulären DWissen-Programm abends nach acht Uhr - nach dem im positiven Sinne Alltäglichen - plötzlich den Schalter umlegen und für eine Art der Entschleunigung sorgen, die bei den Zuhörern anzukommen scheine.

Eine Entschleunigung in der der Zeit - mit dem Rückblick auf die Zeiten bis hin zur Rundfunkuniversität der 50er Jahre - und eine Entschleunigung in Bezug auf die Kunst der Rede, die sich auch heute noch in einer ganz anderen Qualität darzustellen vermag als die vielen all-täglichen "round-table"-Formate.

Dieser Kommentar macht in mehrfacher Weise Mut:

 zeigt es sich doch, dass auch in Zeiten von Videostreams und Power-Point-Orgien die Transzendenz von Qualität nicht aufgehoben ist: Müller-Schmid: "Wir konzentrieren uns auf die dicken Bretter, die gebohrt werden."

 ermutigt eine solche Radio-Kunst dafür zu sorgen, vielleicht sogar einmal eine eigene Vorlesung auszuarbeiten, die sowohl mit als auch ohne Bewegt-Bild-Elemente kommunizierbar ist, die sowohl als Monolog als auch im dialogischen Diskurs mit den ZuhörerInnen funktioniert - und das möglichst auch noch über den Tag und den aktuellen Anlass hinaus.

 und es wird deutlich, dass sich eine solche Darstellungs-Kunst mit den modernen Mitteln der Technik auch auf eine neue Wirkung ausgerichtet werden kann: "eine wunderbare Geschichte, wenn man das auf der S-Bahn mal eine Stunde mithören will" - so Müller-Schmid.

V.

Kommen wir also zu Marcuse, dessen Radiovorlesungen zwischen Etzioni und Müller-Schmid zu Gehör gebracht wurden.

Es kommen zur Aussendung: Der Beitrag aus der Sendereihe der RIAS-Funkuniversität vom 17. März 1959 "Über die Gleichgültigkeit gegen die Kultur" - sowie, daran im Anschluss - ein Vortrag über "Funktionen und Kritik der sogenannten Vergnügungsindustrie"

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/01/21/drw_201001212005_hoersaal-sendefassung_gleichguelt_a34680ab.mp3

Herbert Marcuse wendet sich in dem zweiten hier ausgespielten Vortrag gegen den Anspruch der "Allgemeinbildung" , fordert sogar: "Die Kultur der Allgemeinbildung sollte gestürzt werden" und ist - ganz im Sinne der DRadio Wissen-Programm-Macher für "Sonderveranstaltung für einen speziellen Kreis" - und das - expressis verbis - auch im Radio.

Er spricht für die Kultur des Genusses und verweist - ganz im Sinne dieses car-freien Freitags - auf einen Satz Georg Büchners aus "Dantons Tod":

"Wer am Meisten geniesst - betet am Meisten."

Anmerkungen

[1"Etzioni wurde 1929 als Werner Falk in Köln geboren. 1936 flieht er vor den Nationalsozialisten nach Palästina, wo er seinen späteren Namen annimmt. Etzioni war ein vehementer Gegner des Vietnamkrieges und wurde daraufhin Berater des ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter. Er ist Staatsbürger der USA und lehrt an der "George Washington Universität" Soziologie." - so die Anmod zur Sendung.

[2oder war es Jürgen Kaube von der FAZ, wie auf der DRadion Online-Seite behauptet wird?


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