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Das Tolle an der hohen Pressedichte dieser Berlinale-Veranstaltung ist, dass sie in einem so hohen Mass professionelle Neugier und Schreibbereitschaft miteinander vereinbart.
Da mag sich die IFA-Crew noch so sehr mit ihrer hohen Anzahl an Pressevertretern aus aller Welt brüsten: Was hier in diesen Tagen aufgezeichnet und abgeliefert wird, ist es wahrlich wert, auch über den Tag hinaus gesichtet und gewichtet zu werden - ein Grund mehr, auch in diesem Jahr auf so klassische Formen wie einer Filmrezension oder eines inzwischen auch schon Kult gewordenen Berlinale-Blogs zu verzichten und stattdessen nach ganz besonderen ausgesuchten fachlichen wie persönlichen Schwerpunkten zu suchen und diese dann gut auszuleuchten.
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Da wird ein Film gerade erst in der Nacht als Welturaufführung im sogenannten "Berlinale Palast" dem Publikum vorgestellt, und schon steht überall zu lesen, worum es in diesem Film geht, was ihn ausmacht, was uns erwartet.
Über den Film im Wettbewerb "Bai Ri Yan Huo" [1] ist auf der Webseite des Senders rbb ein ganzer Beitrag von Fabian Wallmeier zu lesen, der mit Die Femme Fatale aus der Wäscherei überschrieben ist.
Und Wenke Husmann schreibt noch in der Premierennacht einen Beitrag unter dem Titel: Auch in China wird gemordet [2]
Am Ende dieser ZEIT-Online-Lektüre gibt es sogleich ein Linkangebot zu einem weiteren Beitrag des gleichen Autors über den Film "Zwischen Welten" [3], der mit der Zeile Kein Leben ist mehr wert als das andere überschrieben ist.
Angesichts all dieser Darstellungen und Meinungen noch eine weitere hinzufügen? Lassen Sie uns lieber etwas tiefer einsteigen. Denn, so die These: die "Übersetzung" der Einstellungen zu einer Gesamtdarstellung des Handlungsablaufs durch die jeweiligen Autoren sei zwar nachvollziehbar, aber eben würde damit eigentlich mehr vermittelt werden, was der Film mit seinen Bildern "eigentlich" vorführt.
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Beispiel aus der Beschreibung der Regie von Feo Aladag:
Tarik, der Übersetzer, bleibt der einzige Afghane, zu dem Jesper eine persönliche Beziehung aufbauen kann. Der Deutsche braucht ihn und ohne Tariks Sprachkenntnisse ist Jesper hilflos. In nächtlichen Gesprächen wächst sogar langsam eine Freundschaft heran.
Ja. Alles richtig. So wie es die Film-Geschichte uns wissen lässt. Und auch der innere Konflikt, der aus dieser Begegnung erwächst, ist nachvollziehbar. Und auch die Folgen, die die Gewissensentscheidung in diesem Konflikt zeigt: der Tod eines Soldaten aus der eigenen ihm unterstellten Truppe.
Und dennoch: die Filmbilder (und -töne) sprechen eine andere Sprache als das, was der Leser der Rezension davon erfährt. Und es bleibt fraglich, ja im positiven Sinn des Wortes frag-würdig, ob und wie es richtig ist, über einen solchen Film zu schreiben: ihn wirklich in seinen Szenen zu beschreiben oder das schreibend aufzuzeichnen, was "man" selber aus dieser Inszenierung entnommen, für sich daraus gemacht hat.
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Beispiel aus Beschreibung der Regie von Diao Yinan:
Zhang Zili erkennt als Erster, dass alle Opfer in einer Beziehung zu einer bestimmten Frau standen: Wu Zhizhen (Gwei Lun Mei). [...] Die schweigsame Wu Zhizhen arbeitet in einer Reinigung, Zhang gibt sich als Kunde aus, nimmt ihre Verfolgung auf und verliebt sich schließlich in sie.
Einmal mehr ist hier alles richtig gesagt. Und beschrieben. Und doch sind die Bilder einmal mehr jeweils nur einige gleichsam ikonographisch herausgehobenen Momente in bewegten Bildern, in denen das hier so flüssig dargestellte Geschehen komprimiert in Szene gesetzt worden ist.
Hier ist die Filmkritik einfach schlauer als das Kinopublikum in seiner Rolle als Betrachter und Beobachter des Geschehens. Die Kritik erzählt den Film nämlich von hinten, von seinem Ende, von seiner Auflösung her. Und beruft sich sogar noch darauf:
Schlussendlich erfährt er von Wu, was damals wirklich passiert ist. Und der Regisseur dankt es ihr mit einem unerwarteten, geradezu poetischen Epilog, der nicht eine Sekunde zu früh zu Ende geht - und hier natürlich nicht verraten wird.
Während das Publikum immer wieder neu mit der Naivität des suchenden Blickes nach etwas noch nie Dagewesenen zu suchen beginnt, wohl wissend um die jeweils eigenen Bezüge zu den jeweils eigenen Lebenserfahrungen.
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Hier aber schreiben Profis. Die, gebildet und für ihren Job ausgebildet, darum bemüht sind, ihr Lesepublikum schreibend und mit Fotos und Videoauszügen unterstützt ins Bild zu setzen, bevor sie sich selber ihr eigenes Urteil bilden können.
Nicht wiedergegeben wird dabei die immer wieder neu in Szene gesetzte Dramaturgie dieser Film-Bild-Abläufe, die nach und nach die Geschichte als solche erst zur Entfaltung bringt: Ein Mixtum-Kompositum, das sich - auf der Leinwand und per Lautsprecher vermittelt - erst im eigenen Kopf wieder zu dem zusammensetzt, was erfahrbar gemacht werden soll, was vielleicht in Wahrheit so nie stattgefunden hat - und doch, einmal mehr, eine Geschichte des Siegeszuges der Wahrheit beschreibt.
So bleiben wir bei all diesen Beschreibung dieser Erlebnisse im Hintergrund jener versteckt, die sich damit auskennen zu erkennen, was Film-Erzählung bedeutet, wie sie funktioniert und was sie uns damit vorführt.
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Im "richtigen Leben" des Reporters dagegen gibt es zunächst einmal so vordergründige Eindrücke wie den vom ständigen Pendeln zwischen Kino A und Kino B, quer durch die Stadt Berlin, mit Roller und dem Motorrad. Wenn man nicht auf Taxis angewiesen sein will und keinen Chauffeur hat, sind diese Fortbewegungsmittel die für die Bewältigung dieser Aufgabe die adäquatesten. Und, wie es der Zufall will, spielten sie auch für die Gefährten in den zwei hier genannten Filmen jeweils eine wichtige Rolle:
— ... für den sturzbetrunkenen Detektiv, der sich sein grosses Motorrad von einem Mopedfahrer - unter Zurücklassung dessen viel kleineren Gefährtes - stehlen lässt
— ... für den Übersetzer, der auf dem Motorrad zwischen seinem Zuhause und seinem Einsatzort pendelt - auf dem zunächst seine Schwester im Sozius erschossen wird. Und zum Schluss er selber.
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Nach der nächtlichen Premiere und dem Auftritt der ganzen Crew [4] wird der eigene kleine Roller neben einem vor dem berliner Hyatt-Hotel parkenden Lamborghini wieder sanft und samtig knatternd in Betrieb gesetzt und zum Start an einer von hinten erleuchteten Plakatsäule vorbeigelenkt, auf der dieses Filmplakat zu sehen ist.
Wie gut zu wissen, dass sich auf dem Heimweg keines der Wagenfenster an der nächsten roten Ampel öffnen und dem Leben des Fahrers sodann ein Ende bereitet werden wird.
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Nachtrag: Nur kurze Zeit nach der Freigabe dieses Beitrags kam der Hinweis, dass wir bei diesem Thema auch der Wettbewerbsbeitrag "La voie de l’ennemi| Two Men in Town" nicht unterschlagen sollten. [5]
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Nachtrag: Es dauert nicht lange, und es gibt einen weiteren Hinweis auf den Wettbewerbsbeitrag von Karim Aïnouz: "Praia do Futuro" [6]
Hier ein Link auf ein Gespräch von Britta Bürger mit dem brasilianischen Regisseur vom 12. Februar 2014 im Deutschlandradio Kultur samt seiner Liebeserklärung an Berlin
Es geht um die Frage, wann und wo ein Versprechen an die Zukunft eingelöst werden könne. Den Ort Praia do Futuro gäbe es wirklich, Karmin hat ganz in seiner Nähe gelebt. Damals habe man mit diesem neu erbauten Ort eine Menge Wünsche und Hoffnungen an die Zukunft verbunden, die dann nach und nach vom Salz des Meerwassers zerfressen worden seien.
Hier in Berlin gäbe es weder das Meer noch das Salz, aber dennoch - oder eben deswegen umso mehr - eine Chance, dass dieser Traum von der Zukunft sich hier auch auf längere Zeit verwirklichen könne.