... zur Lage

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 31. Oktober 2020 um 18 Uhr 02 Minuten

 

Es ist normaler Weise nicht die Aufgabe dieser Publikation, die deutsche Innenpolitik zu kommentieren - und auch heute wird dieses den Zeitungen überlassen, die schon am frühen Morgen auf den Tisch legten, was gestern erst am frühen Abend als Ergebnis der Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg bekannt wurde.

Aber dennoch bleibt von diesem Wochenende festzuhalten, dass...
 nur noch die Hälfte der Bürger dieser "neuen" Bundesländer sich entschieden haben, überhaupt zur Wahl zu gehen
 dass dieser Prozentsatz auch nicht dadurch hat verbessert werden können, dass in Brandenburg erstmalig die Mädchen und Jungen ab 16 Jahren haben mitwählen dürfen
 die Freien Demokraten mit Mini-Ergebnissen die stolze Tradition der "Liberalen" im Orkus haben untergehen sehen
 sich eine neue Partei anschickt, rechts von der CDU zu etablieren und ihr auf dieser Flanke den bisherigen Alleinvertretungsanspruch konservativer Werte erfolgreich streitig gemacht hat
 die "Braunen" keinen Zugang in die Landesparlamente mehr gefunden haben, auch wenn zuvor in Sachsen ihnen dafür nur wenige hundert Stimmen gefehlt haben. [1]

... und dass:
 des Aufrufs der jüdischen Interessenvertretungen bedurft hat, bevor sich die gesamte deutsche Politik dazu laut und deutlich erklärt hat, dass antisemitische Äusserungen in diesem Lande keinen Platz haben (werden!). [2]

Auch hierauf geht die Tagesprsse von heute ein. Bevor wir diese aber mit Bezug auf die Morgensendungen des Deutschlandfunks zitieren, der Hinweis, dass es diesem Sender in seiner Frühschiene schon kurz nach Sieben gelungen ist, sowohl den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Thüringen, Mitglied des SPD-Parteivorstands, Mitglied des Thüringer Landtages, Landesvorsitzender der SPD Thüringen, Christoph Matschie, ans Telefon zu bekommen, als auch dessen potenziellen Koalitionspartner und neuen Ministerpräsidenten, den Chef der Linkspartei dieses Landes, den in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen geborenen Bodo Ramelow.

Solche - zumindest denkbaren - Konstellationen und Alternativen für Thüringen machen die Politik wieder spannend:

BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg:

"Wenn der eine Teil der Wähler daheimbleibt und der andere zweistellig eine Partei wählt, die neu auf der Bildfläche ist, soll man beim Verteilen des Kuchens nicht so tun, als sei nichts passiert. Es ist ein Triumph in Serie für die AfD, da ist es allmählich Zeit, diese neue Partei einmal zur Kenntnis zu nehmen. Manche ihrer Vorgängerinnen hat sich zwischen Dilettantismus und Krawall rasch zerlegt. Darauf zu setzen, ist zu wenig. Jetzt spätestens muss sie beginnen, die inhaltliche Auseinandersetzung mit der angeblichen Alternative für Deutschland"

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"Allen Widrigkeiten zum Trotz ist die Union nicht nur stärkste Partei geblieben, sondern hat auf niedrigem Niveau zugelegt: Bodo Ramelow, der Spitzenkandidat der Linkspartei, machte es möglich. Denn ebenso wie der Ausgang der Landtagswahl in Sachsen schon Monate vor der Abstimmung feststand, so stand in Thüringen etwas anderes seit langem fest: Nur eine Stimme für die Union wäre eine Stimme gegen den Versuch, ein Vierteljahrhundert nach der friedlichen Revolution in Erfurt die erste Landesregierung unter Führung der SED-Nachfolger namens Linkspartei zu bilden"

FREIE PRESSE aus Chemnitz:

"Über Monate deuteten die Prognosen deutlich auf ein rot-rot-grünes Bündnis in Thüringen hin, an dessen Spitze erstmals in der Bundesrepublik ein linker Ministerpräsident gestanden hätte. Diesem haben die Wähler in Thüringen allerdings eine klare Mehrheit verweigert. Vermasselt hat das in erster Linie die SPD. Denn die Genossen haben im Mutterland der deutschen Sozialdemokratie ihr schlechtestes Wahlergebnis seit der Wende eingefahren. Dabei fühlten sie sich vor der Wahl in einer komfortablen Situation. Sie verweigerten sich jeder Koalitionsaussage. Das hielten die Genossen für taktisch schlau, die Wähler haben es allerdings anders interpretiert - und die SPD für ihre Unentschlossenheit abgestraft"

LEIPZIGER VOLKSZEITUNG:

"SPD-Spitzenfrau Heike Taubert wurde in den letzten Wochen häufig als ’Königsmacherin’ bezeichnet, weil sie zwei Optionen hat: mit der CDU oder mit Linken und Grünen. Das ist theoretisch auch jetzt noch so, nur aus einer viel schwächeren Position heraus als noch vor der Wahl. Was kann die SPD noch gewinnen, wenn sie sich jetzt in ein Linksbündnis wirft? Sie bleibt so oder so ein Juniorpartner und muss sich arrangieren. Die strahlende Wahlsiegerin Lieberknecht, die offenbar auch mit ihrer Aura als sympathische Landesmutter gepunktet hat, wird die SPD auf ihre Seite ziehen - ob mit Taubert oder ohne sie. In Thüringen läuft es wahrscheinlich auf ein ’weiter so’ hinaus"

MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam:

"Die Alternative für Deutschland ist mit voller Wucht in den Landtag eingezogen. Die Partei will für frischen Wind im Potsdamer Stadtschloss sorgen. Wie, das weiß sie selbst noch nicht. Viel Brandenburg hatte die Partei der Euroskeptiker bislang jedenfalls nicht im Gepäck. Die AfD ist nicht durch Inhalte ins Parlament gelangt. Sie wurde durch eine diffuse Unzufriedenheit mit den traditionellen Parteien und die sich daraus entwickelnde Dynamik einer Wählerlaune in den Landtag gespült - wie 2009 noch die FDP. Und deren Schicksal in der Mark ist seit gestern bekannt. Sie hatte ihre Chance, wurde hierzulande aber nicht mehr benötigt"

MANNHEIMER MORGEN:

"Wie es im Freistaat und in der Mark politisch weitergeht, ist völlig offen. Das Schicksal beider Länder liegt ausschließlich in den Händen der SPD. Sie allein, nicht der Wähler, entscheidet, wie die Regierungen in Erfurt und Potsdam aussehen werden. Christine Lieberknecht nützt ihr Wahlsieg nichts, denn sie steht ohne Koalitionspartner da, ihr Amtskollege Dietmar Woidke hingegen kann sich seinen Partner aussuchen. Das unterscheidet die wirklichen Sieger von den gefühlten Gewinnern der AfD"

NORDKURIER aus Neubrandenburg:

"Das Wahlalter in Brandenburg auf 16 herunterzusetzen ist natürlich ein immenser Gewinn für die Demokratie. Zu allererst zählt einmal das. Doch wo sind sie geblieben, die Jugendlichen, die sich nun aktiv an der Politik beteiligen können? Nicht einmal sie konnten die mickrige und beschämende Wahlbeteiligung in die Höhe treiben. So wirkt diese Aktion der Politiker fast wie eine Verzweiflungstat, irgendwie jedes noch so kleine politische Potenzial auszuschöpfen"

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München:

"Die deutsche Innenpolitik, von Angela Merkel temperiert und von der großen Koalition sediert, wird wieder prickelnd. Die Landtagswahlen, jüngst die in Sachsen, jetzt die in Thüringen und Brandenburg, stören die politische Bundesbräsigkeit aus zwei Gründen. Erstens erzielt eine neue Partei, rechts von CDU und CSU, sensationelle Erfolge: die AfD. Das wird Diskussionen und Eruptionen in der Union auslösen, die dortige Gelassenheit ist gespielt. Und zweitens ist Die Linke alias PDS demokratisch so stabilisiert, dass sie sich in Thüringen Hoffnungen machen kann, in Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten zu stellen – wenn die SPD als die dort viel kleinere Partei ihn unterstützt. Das zwingt die SPD, endlich ihr Verhältnis zu ’links’ zu klären"

Anmerkungen

[1Dazu die dpa in den Dresdner Neuesten Nachrichten Online ab 19:04 Uhr am Abend des 1. September 2014: NPD verliert mit Niederlage bei Landtagswahl in Sachsen einen wichtigen Pfeiler.

[2Dazu die TAGESZEITUNG aus Berlin an diesem Morgen:

"Es ist höchst begrüßenswert, dass am Sonntag mehrere tausend Menschen in Berlin gegen den Judenhass auf die Straße gegangen sind. Sie setzen ein Zeichen, dass Antisemitismus nicht akzeptabel ist. Es ist gut, dass alle Parteien zu der Kundgebung aufgerufen haben und dass Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen hat. Doch zugleich hat diese Demonstration etwas zutiefst Verstörendes. Es war nämlich der Zentralrat der Juden selbst, der zu der Manifestation aufgerufen hat. Die Angegriffenen sahen sich also selbst gezwungen, den Protest zu organisieren. Es gab keinen ’Aufstand der Anständigen’ - nicht von Linken, nicht von Migranten und auch nicht von Liberalen"


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