MUC Hbf -> BER Hbf

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 4. Januar 2018 um 10 Uhr 03 Minutenzum Post-Scriptum

 

0.

Ab dem 24. November 2017 ist auf den Online-Seiten der WirtschaftsWoche diese als Beitrag verkleidete Anzeige der Deutschen Bahn zu lesen: "Komfortable Nutzzeit im Zug Berlin – München:"

ICE wird Alternative zum Flugzeug

Es laufen seit längerem Bemühungen, aus Anlass einer Buchung dieses Zuges, dem ICE 1000, von München nach Berlin am 10. Dezember 2017 eine eigene Geschichte aus Nutzersicht zu verfassen. Die DB-Anfrage, auf dieser Fahrt zu diesem Thema Audio-Interviews mit den Mitreisenden zu machen, wurde aber abschlägig beschieden.

Aus Anlass der offiziellen Einweihungsfeierlichkeiten der Strecke in Erfurt (um 12:30 Uhr) und Berlin (ab 16:30 Uhr) am Freitag, den 8. Dezember 2017, fragt Ambros Weibel - in München geboren, Redakteur in Berlin - in der taz dieses Tages: "Werde ich die langen Stunden auf der alten Bahnstrecke vermissen?"

Die Süddeutsche titelt gemäss der in der oben zitierten Selbstanzeige der Deutschen Bahn ab dem 7. Dezember 2017 ab 14:55 Uhr: "Neue ICE-Trasse: Von München nach Berlin fast wie im Flug."

Im sogenannten Zugreiseblog ist in einem Text von DAVID vom 29. November 2017 zu lesen: "Die Deutsche Bahn will mit der neuen schnellen Strecke zwischen Berlin und München ihren heutigen Marktanteil auf 40 Prozent mehr als verdoppeln. Damit würden künftig auf dieser Relation auch mehr Menschen mit dem Zug fahren als fliegen."

Und in einem eigenen Blogeintrag vom 8. Dezember 2017: "BER Hbf -> MUC Hbf" wurde bereits über die letzte Fahrt mit dem ICE 1515 auf der alten Strecke von Berlin durchs Saaletal bis München berichtet.

Am Sonntag ging es wieder zurück nach Berlin: Im ICE 1000. Hier nun die Wiedergabe dieses Reiseberichts. Wiederum an einem frühzeitig reservierten Platz [1] im Zug geschrieben.

Soweit es das Zug-Netz zulässt, werden schon während der Fahrt die ersten Aufzeichnungen eingestellt:

1.

Die Geschichte dieser Eisenbahnfahrt beginnt schon vor dem Besteigen des Zuges. Beim Bäcker Ratschiller und Hölzl im Untergeschoss zwischen zwei Rolltreppen gibt es immer noch die besten „Brezen“ der Stadt – und immer nettes Personal.

Neben der Vitrine liegt eine Stapel Postkarten, auf denen das, was dort gesagt wird, wenige Minuten später in die Tat umgesetzt wird. "Sauschnell zu den Saupreißen" steht da in weisser Schrift auf rotem Grund. Und darunter in einer schwarzen Wolke: "Willkommen in Berlin, liebe Bayern!. Jetzt in weniger als 4 Stunden." Auf der Rückseite ist dieser Link zu finden: visitberlin.de/muenchen-nach-berlin.

Der Zug steht erst wenige Minute vor der Abfahrt auf Gleis 20 bereit. Beim Eintreffen am Bahnsteig werden am Ende des Zuges die weissen Fahrt- gegen die roten Schluss-Lichter getauscht. Die Türen haben gerade erst geöffnet. Und so kann der Weg bis zum Wagen 23 noch am Bahnsteig fortgeführt werden.

2.

Der Waggon 23 ist knallvoll. Es gibt sogar eine Ansage, in der dieses den bereits Eingestiegenen nochmals signalisiert und empfohlen wird, einen Zug später zu nehmen.

Die Reservierungen werden nicht mehr über den Fenstern angezeigt, sondern an den Sitzen. Über dem Mittelgang prangen ein Reihe von Monitoren, die die Reisenden mit unterschiedlichen Nachrichten informieren. Und mit einer Karte, auf der man die aktuelle Position des Zuges sehen kann.

Noch vor der Abfahrt – mit fünf Minuten Verspätung – kommt eine weitere Durchsage ans Ohr. Wenn auch nur bruchstückhaft zu verstehen, ist doch zu vernehmen, dass es auf der vorhergesehenen Strecke zu einem Notarzteinsatz gekommen sei und die Bahn eine andere Strecke nehmen würde.

Und damit ist klar, der Traum und das nun eigentlich zu realisierenden Versprechen, unter vier Stunden von Stadt zu Stadt gefahren zu sein, wird auch auf dieser Strecke nicht realisiert werden.

3.

Alle Plätze sind besetzt. Da wird im Magazin geblättert, gehäkelt, gedöst. Im Hintergrund hört man einen Fahrgast lauthals schimpfen, dass es auch in den neuen Zügen nach wie vor die alten Problem gäbe. Und er das nächste Mal endgültig wieder auf das Auto umsteigen werde.

Eine Familie mit Kindern hat sich auf jeweils zwei der benachbarten Sitze aufgeteilt, damit die Mutter mit dem Sohn und der Vater mit der Tochter die Hausarbeiten durchgehen kann. Welch ein Privileg.

Als die Tochter mit der zündenden Idee zum Thema „Super-Intelligenz“ nicht so richtig weiter kommt, wird den Beiden der Link auf einen eigenen Beitrag überspielt, der erst später im Verlauf dieser Woche zur Geltung kommen soll. Allerdings dauert es ganz laaaaaaaaaaaaaaaaaange, bevor es Zugang zu den eigenen Seiten gibt. Einfach dagegen ist der Zugang zum Bahn-Portal, in dem auch die ICE-Züge der ersten 4 Generationen, samt den jetzt in Nutzung befindlichen vorgestellt werden [2].

4.

Eine Stunde später, um 18:58, bleibt der Zug das zweite Mal auf offener Strecke stehen, warten einen auf der Gegenseite vorbeifahrenden ab und setzt sich dann wieder in Bewegung. Das ist gut für den Schaffner, der er so einen sicheren Stand hat. Ansonsten ist alles noch unsicher, wie es weiter geht, wann es weitergeht – und wie man mit dem Schreiben vorankommen, wenn aus den Steckdosen unter dem Sitz keine Strom mehr abgegeben wird. Beim Autor nicht, aber auch an den benachbarten Plätzen nicht [3].

In Büchenbach kommt der Zug zum dritten Mal zum Halt. Es ist 19:19 Uhr.

Spätestens jetzt ist klar, dass wir den in Aussicht gestellten Zeitplan nicht nur nicht einhalten werden, sondern sprengen. Der nächste „ausserplanmässige Halt“ ist Schwabach… und wir werden von einer Frauenstimme gebeten, die Türen nicht zu öffnen. „Aufgrund einer Störung an der Strecke“ wird die Ankunft in Nürnberg auf 19:50 angesagt.

Dann aber beginnt schon gegen halbacht ein heftiges Gedränge. Der Nachbarplatz wird frei. Und viele Leute, die sich schon im Mittelgang drängeln. Offensichtlich haben diese Menschen besser im Gespür, was Sache ist. Und die „Schwarmintelligenz“ scheint Recht zu behalten. Als neue Ankunftszeit wird 19:41 Uhr angekündigt.

5.

Während des Halts in Nürnberg ist die Netzverbindung sehr viel besser. Die Ansage, dass sich "die Abfahrt des Zuges leider noch um wenige Minuten verspäten" werde, ist eher eine gute Nachricht, denn jetzt kann dieser Beitrag bis zu diesem Punkt schon ins Netz gestellt werden und nun als Live-Blog fortgeführt werden.

Kurz nach der Abfahrt, es ist 20:06 Uhr, kommt der Zug erneut zum Halt... auf freier Strecke. Dieses Mal gibt es auch keine Ansage mehr... und dann doch: als das nächste Mal, kurz vor Erlangen, die Stimme zu hören ist, wird von der hohen Auslastung der Strecke gesprochen. Die voraussichtliche Verspätung bis Erfurt wird mit 70 (siebzig!) Minuten avisiert.

Um 20:17 Uhr kommt der Zug erneut zum Halt. Und schleicht sodann im "Blümchenpflückentempo" langsam weiter voran.

Um 20.26 Uhr kommt der Zug erneut zum Halten. Auch jetzt hat der Schaffner, pardon "Zugbegleiter", wieder einen sicheren Stand und kann die Formulare verteilen, mittels derer sich die Passagiere zumindest einen Teil des Fahrpreises nach dem Ende der Fahrt erstatten lassen können.

Inzwischen hat das Begleitpersonal am Bord-Mikro die Stimme wiedergefunden und verkündet nunmehr eine Verspätung von "mindestens 85 Minuten". Der Grund: "vor uns ist ein Zug liegen geblieben"

6.

Was tun? Weiter berichten oder abbrechen, sich ein Bier reinziehen oder auch zwei - falls das Bord-Bistro nicht schon ausverkauft ist - und den Rest der Nutzzeit im Schlaf verbringen?

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Aus der Steckdose am Platz kommt wieder Strom. Also gibt es keinen Grund mehr, diese ach so produktive Tätigkeit jetzt einzustellen.

Also gibt es jetzt stattdessen was aus der Flasche von den "Adelholzener ALPENQUELLEN bio JOHANNISBEERE" um die Moral zu heben, dazu leckerer Lebkuchenkonfekt aus Nürnberg - wo der Zug die Fahrtrichtung gewechselt hatte.

Um 20:40 Uhr, ist der Zug erneut zum Halten gekommen.

Um 21:15 - der Zug hat inzwischen wieder Fahrt aufgenommen - wird eine Verspätung von nunmehr "100 Minuten" verkündet, zusammen mit den Angebot, sich im Bordrestaurant ein stilles Wasser abholen zu können.

7.

21:45: Ankunft in Erfurt

22.15: Ankunft in Halle (Saale)

Vor jedem Bahnhof werden die jeweils noch erreichbaren Anschluss-Züge bekanntgegeben. Und da diese zum Teil auch mit Verspätung eintreffen, sind sogar noch Anschlüsse nach Dresden und Leipzig möglich.

Hier liegt Schnee auf der "Platform". Mal sehen, was uns noch in Berlin erwartet.

.
.
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8.

22:45 Uhr: Weitere Ansagen lassen uns zunächst wissen, dass der Zug heute nicht bis Gesundbrunnen, sondern nur bis Berlin Hauptbahnhof fahren wird.

Und dann: "Wir bedauern nochmals sehr, dass wir sie nicht pünktlich ans Ziel haben bringen können und werden ihnen daher heute den kompletten Fahrpreis erstatten."

Auch wenn dieser Satz hier als wörtliches Zitat gekennzeichnet ist, kann nicht für die wortgetreue Wiedergabe garantiert werden. Wohl aber für das Versprechen, dass mit dieser Ansage abgegeben wird.

Viel Vergnügen also mit dem: Kundendialog@bahn.de [4]

9.

Eigentlich hätte mit diesen Zeilen dieser Bericht beendet werden sollen. Aber nein. Es geht noch weiter - oder eben auch nicht.

Zur avisierten Ankunftszeit, um 23:30 Uhr, steht der Zug einmal mehr auf der Strecke zwischen Berlin-Südkreuz und Hauptbahnhof.

In einer weiteren Ansage wird dafür ein noch belegtes Gleis als Ursache benannt. In der darauf folgenden Ansage ist dann von einer Weichenstörung die Rede.... [5]

Als wir dann endlich im Hauptbahnhof eintreffen, ist die Anschlussverbindung schon futsch. Und so werden die letzten Wort jetzt in eisiger Kälte auf dem S-Bahnhof in Westkreuz geschrieben, um von dort aus dann doch noch eine S-Bahn in Richtung Spandau nehmen zu können.

10.

Hier noch die Antwort auf die Frage, ob auch in Berlin Schnee liegt, gemäss dem Motto: Bilder sagen mehr als tausend Worte:

P.S.

Vorbereitet wurde die Idee, aus diesem Anlass einen (weiteren) Text zu schreiben, bereits mit einer Reportage, die am 14. Dezember 2015 ins Netz gestellt wurde: "Das Jahr100-Projekt: in 366 + 365 Tagen". Aber was, bitteschön, bedeutet der Bahn schon ein Blog, wenn man die BILD auf seiner Seite hat?!

Im Nachklapp zu dieser Reportage kommen auch nach und nach Berichte aus den "grossen Häusern", so wie hier vom Bayerischen Rundfunk mit Verweis auf den ICE 801: "Technische Probleme und Verspätungen. Startschwierigkeiten auf der neuen ICE-Strecke"

Und der Tagesspiegel hat zu dieser Fahrt sogar einen eigenen twitter-Kanal aufgemacht...

... bevor dann am Morgen dieses Tage gleich eine weitere Meldung folgte: "Schnellfahrstrecke Berlin-München. Erneute Panne: Am Morgen fällt ein ICE aus

Am 13. Dezember 2017 gibt es bei in den Nachrichten von BR 24 aus Mittelfranken diese Meldung: Ticketpreis zurück plus Gutschein. Bahn entschuldigt sich für Pannen auf ICE-Strecke München-Berlin.

Hier wurde uns dieser Link auf dieses Video zugespielt, der erklärt, warum in Zukunft - Dank Augmented Reality, AR - ein Zug nicht mehr ausser Betrieb genommen werden muss, weil die Kaffeemaschine wieder in Stand gesetzt werden muss.

Nach einem längeren Mail-Dialog traf am Dienstag, den 2. Januar 2018, folgende Mail ein, aus der hier im Auszug zitiert wird:

Ihre Nachricht vom: 30. Dezember 2017
Unser Zeichen: 1-99000361830

Sehr geehrter Herr Dr. Siegert,
vielen Dank für Ihr Schreiben.
Wir bitten Sie ausdrücklich um Entschuldigung für die Beeinträchtigungen auf Ihrer Fahrt.
Für die daraus entstandenen Unannehmlichkeiten erstatten wir Ihnen, wie angekündigt, aus Kulanz 4,50 Euro zurück. Den Betrag überweisen wir auf das von Ihnen genannte Konto. Bitte haben Sie bis dahin noch etwas Geduld.
Zusätzlich erhalten Sie von uns mit dieser E-Mail einen Gutschein im Wert von 50,00 Euro, den Sie für eine künftige Reise nutzen können.

Anmerkungen

[1Aktuell sind diese Verbindungen schon zu grossen Teilen vollständig ausgebucht.

[2

Der ICE 4 ermöglicht mit seiner neuen ressourcensparenden Antriebstechnik und seinem aerodynamischen Design einen noch ökologischeren Transport als seine Vorgänger. Zudem sorgen viele neue Ausstattungsmerkmale für einen hohen Kundenkomfort. Dazu gehört ein modernes Fahrgastinformationssystem, das die Reisenden auf insgesamt sechs Monitoren pro Wagen in Echtzeit über ihre Reise informiert. Auch ist der ICE 4 der erste ICE, der über Fahrradstellplätze, ein innovatives tageszeitabhängiges Beleuchtungssystem sowie über die neueste WLAN und Telefonie-Technologie verfügt.

[3Hallo: Der Zug ist maximal seit einem Jahr im Einsatz.

[4Noch aus dem Zug wurde an diese Adresse der Link zu dieser Seite übermittelt:

Sehr geehrte Damen und Herren,
in der Anlage erhalten Sie als Link einen heute an diesem Abend verfassten Live-Reisebericht,
MUC Hbf -> BER Hbf
den ich jetzt mit der Bekanntgabe Ihrer Mail-Adresse abschließe.
Mit freundlichen Grüßen und den besten Empfehlungen
Ihr
[gez.] Siegert

und der Eingang mit der Vorgangsnummer: 1-97335465760 bestätigt.

[5An dieser Stelle auch ein Lob sowohl an die Sprecherin als auch die Kommunikationsbereitschaft, die jeweiligen Ursachen - im Rahmen aller Diskretion wie im Falles des "Notarzteinsatzes" - auch zu benennen. WS.


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