Prolegomena zu Intelligenz, Kunst und Kognition

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 16. Mai 2022 um 16 Uhr 30 Minuten

 

0.

"Plane machen", so schreibt Immanuel Kant in seiner
Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können:

"Plane machen ist mehrmalen eine üppige, prahlerische Geistesbeschäftigung, dadurch man sich ein Ansehen von schöpferischem Genie gibt, indem man fodert, was man selbst nicht leisten, tadelt, was man doch nicht besser machen kann, und vorschlägt, wovon man selbst nicht weiß, wo es zu finden ist, wiewohl auch nur zum tüchtigen Plane einer allgemeinen Kritik der Vernunft schon etwas mehr gehöret hätte, als man wohl vermuten mag, wenn er nicht bloß, wie gewöhnlich, eine Deklamation frommer Wünsche hätte werden sollen."

Nachfolgende Ausführungen sind kein fertig ausformulierter Beitrag zum Thema „Künstliche Intelligenz“. Es geht hier um - aus aktuellem Anlass - formulierte Streiflichter; es geht um Ereignisse, Setzungen und Sätze, die an diesem Tag die Oberfläche des eigenen Verstehens erreicht haben: Und hier zur Darstellung gebracht werden, da sie das eigene Verstehen herausfordern, da jede hiernach zur Darstellung gebrachte Setzung sogleich wieder auf einen Widerspruch treffen könnte.

I.

Beginnen wir mit einer Erfolgsmeldung von vor ziemlich genau zwei Jahren:

Schutzzone in der Antarktis
„Ein absolut historischer Deal“

Und der dazu absolut gegenteiligen Meldung vom heutigen Tag:

Antarktis. Schutz für „Weddell-Meer“ gescheitert
Die internationalen Pläne für ein neues Schutzgebiet im Südpolarmeer sind vom Tisch.

Bei einer Konferenz auf der australischen Insel Tasmanien scheiterte das Vorhaben, im dortigen Weddell-Meer vor der Küste der Antarktis ein mehr als 1,8 Millionen Quadratkilometer großes Schutzgebiet einzurichten – fünfmal so groß wie Deutschland. Vor allem Russland und China blockierten die Pläne, aber auch von Norwegen kam Widerstand. Für die Schutzzone hatte sich die Europäische Union starkgemacht, unterstützt wurde sie von Umweltschützern aus der ganzen Welt.

Was sagt uns das: Die „Guten“, die Europäer, haben sich nicht durchsetzen können? Die Ökologie hat den Kampf gegen die Ökonomie verloren? Nationale Partikularinteressen obsiegen einmal mehr im Kampf um ein darüber hinausreichendes Gemeinwohl? Welche Mittel hätten noch eingesetzt werden können, sollen, müssen, um ein anderes Ergebnis zu erzielen?

II.

In einem Vortrag von Dr. William Cooper auf dem 2018 Directed Energy Summit vom 21./22. März 2018 über diskutiert er die "guten" und die "bösen" Seiten des Einsatzes von Drohnen, sogenannten unmanned aerial vehicles UAV’s.

Als Symbol für das "Gute" stehen die fünf ineinander verwobenen olympischen Ringe, die zur Eröffnung der Winterspiele in Korea durch über 1200 am Himmel leuchtende Drohnen repräsentiert wurden:

Dann zeigt er jene Drohnen, die fast zeitgleich im Syrien-Krieg zum Einsatz kamen:

Und er leitet daraus neue Herausforderungen für die bewaffneten Auseinandersetzungen zu Lande und in der Luft ab. Er würde wesentlich lieber gegen Cruise Missiles kämpfen als gegen eine Armada von Drohnen, von denen man nicht ansehen könne, ob sie gerade Amazon-Pakete ausliefern würden oder Sprengstoff verteilen. Es reiche nicht mehr aus, neue Waffen zu entwickeln, sondern es gehe um den Einsatz einer ganz neuen Technologie: von Sensoren!

III.

Dieser Vortrag ist Teil einer Veranstaltung von [Booz | Allen | Hamilton>https://www.boozallen.com/], die ihre Geschichte in einem 100 Sekunden -Video zusammengefasst hat ...

... und sich heute als einer der fortschrittlichsten Partner zur Verbesserung der Welt zu erkennen geben will.

BoozAllen geht so weit zu behaupten, mit welchen 12 Faktoren es möglich sei, politische Veränderungen herbeizuführen: This is what it takes to change government

Und unterlegt das Ganze - unter der Überschrift "Culture" - mit einem Code of Business Ethics & Conduct [1]

Als Fürsprecher für diese Leitlinien wird als Expert in the Field
Horacio D. Rozanski genannt, seines Zeichens President and Chief Executive Officer und mit diesen Worten zitiert:

“To remain a vibrant and profitable enterprise — an organization where people aspire to do their best work and are proud to be part of the team — we must always put ethics first.”

Im Bild gezeigt aber wird als symbolischer Verfasser dieser Richtlinien dieser Mann:

IV.

Wie das "Gute" und das "Böse" in einem in sich inhärenten Beziehungsgefüge stehen, dazu hatte schon Goethe in seinem "Faust" die bekannten Teufels-Zeilen sprechen lassen und sagen, er sei

Ein Theil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. [...]
Ich bin der Geist der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles was entsteht
Ist werth daß es zu Grunde geht;
Drum besser wär’s daß nichts entstünde.
So ist denn alles was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.

Faust.
Du nennst dich einen Theil, und stehst doch ganz vor mir?

Mephistopheles.
Bescheidne Wahrheit sprech’ ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
Ich bin ein Theil des Theils, der Anfangs alles war,
Ein Theil der Finsterniß, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.

Im Gespräch mit Florian Rötzer hat Sara Wagenknecht 2017 dazu gesagt:

und weiter ausgeführt, dass sie über die Lektüre von Goethe und Hegel zu Marx gekommen sei [2] und fährt dann fort:

Das Problem des heutigen Mainstreams in der Volkswirtschaftslehre ist ja gerade, dass es in ihm keine Geschichte und keine Politik gibt und Institutionen kaum behandelt werden. Die schönen eleganten mathematischen Gleichungen, die ewige Zusammenhänge beschreiben sollten, sind vielfach so sinnentleert und wirklichkeitsfremd, dass damit eben auch keine ernsthaften Voraussagen oder Erklärungen von Ereignissen möglich sind.
Auch die Politikwissenschaft oder die Soziologie haben sich so separiert und teilweise ihre eigenen Codes entwickelt, die für Fachfremde kaum noch verständlich sind. In der Ökonomie ist das aber noch schlimmer, weil die Modelle auf Formeln beruhen, für deren Verständnis man höhere Mathematik braucht, sonst weiß man gar nicht, was da überhaupt gesagt wird, und kann natürlich auch nicht merken, auf welch tönernen Füßen die imposanten Modelle stehen.

V.

Ist solche Form der angewandten Mathematik, wirklich sinnentleerte Wissenschaft? Dazu Simon Hegelich von der Hochschule für Politik München an der Technischen Universität München über maschinelles Lernen (ML):

Beim ML finden Algorithmen selbstständig Muster in großen Datenmengen und machen diese so interpretierbar. ML wird auch als „Statistik für das 21. Jahrhundert“ bezeichnet und bildet den Grundstein für viele aktuelle technische Entwicklungen von autonomen Autos bis hin zur künstlichen Intelligenz. Für Political Data Science ist der Einsatz dieser Methode, z. B. bei der Analyse von politischen Reformen, ebenso interessant wie das kritische Hinterfragen von ML: Denn die ML erzeugt eine scheinbare Objektivität, die aber wirkliche Zusammenhänge häufig auch verschleiert.

Wir haben heute in einem hier nicht näher zu erläuternden Zusammenhang viel darüber gesprochen, dass es für den Erfolg eines Unternehmens eben nicht nur darum gehe, welche Menschen dort beschäftigt würden, sondern darum, welche Beziehungen sie miteinander eingehen und an welchen Regeln diese ausgerichtet werden. Und das, ohne dass es darum gegangen wäre, die besonderen Ambitionen des Militärischen erfüllen zu wollen [3]

Vielmehr geht es um die Fragen, dass es nicht länger des Menschen Sache sei, sich der Maschine zu bedienen, um des anderen Menschen Freund oder Feind zu sein [4]. Sondern dass es schlussendlich darum gehen wird, dass der Mensch dazu ausgebildet werden sollte, in Zukunft den Maschinen als Lehrer zu Seite zu stehen, sobald diese in der Lage sind, die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ zu ihrer eigenen zu machen.

VI.

So bleibt die grosse Frage, ob - und, wenn ja, wann - es Maschinen mit einem eigenen "Bewusstsein" geben wird. Eine Frage, auf die ja schon in unzähligen Romanen und Filmen viele Antworten gegeben und un-mögliche Szenarien entworfen wurden.

Und an diesem Punkt kommen sich die Welt des Militärs und die der Künstlichen Intelligenz wieder sehr nahe:

Die Militärs sind zunehmend seltener damit beschäftigt, feindliches von Menschen bewegtes Material aufzuspüren, sondern das neue, von Menschen unabhängig agierende Material, sie sind immer häufiger dabei, nicht nur bedrohliches Material, sondern auch Menschen aufzuspüren... um sie anzugreifen, oder auch, um sie zu schützen?

Kann die Künstliche Intelligenz, vor der Stephen Hawking schon 2014 gewarnt hat:

"The development of full artificial intelligence could spell the end of the human race."

mehr sein als ein Mittel der Vollendung einer Industriepolitik 4.0 - oder etwas / jemand Anderes?

VII.

In Miriam Meckels Buch "Mein Kopf gehört mir", das dem Autor dieser Zeilen samt Widmung vorliegt, wird auf der Seite 249 diese Antwort versucht:

Es mag sein, dass der Computer handelt, ohne zu verstehen, und daher kein Bewusstsein hat. Aber wenn er dabei so gut ist, dass wir Bewusstsein in ihn hineinprojizieren, hat er für uns eben doch eins. Wir gestehen ihm etwas zu, was er eigentlich nicht haben kann.

Was für eine Antwort, auf die auf Seite 202 gestellte Frage:

Was machen wir, wenn die Maschinen mit ihren enormen, immer weiterwachsenden Rechenleistungen, ihren immer komplexeren Algorithmen irgendwann so gut, so leistungsfähig werden, dass der Mensch den Unterschied zwischen sich selbst und der Maschine nicht mehr ausmachen kann?

Zunächst zitierte sie in diesem Zusammenhang Ludwig Wittgenstein mit dem Satz: "Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Und deutet ihn / das so, dass

... alles, worüber wir sprechen können, innerhalb der Grenzen unserer Erfahrung liegt. Unsere Sprache ist durch die Welt begrenzt, in der wir leben. Und unsere Welt ist durch das bestimmt, worüber wir sprechen können."

Was aber, wenn sich die Potenziale der sogenannten "künstlichen" Intelligenz jenseits "unserer bereits existierenden Erfahrungswelt" entfalten werden?

VIII.

Laut Hawkins sei Intelligenz die Fähigkeit, sich dem Wandel anzupassen. Und er misst Maschinen ebenfalls diese Fähigkeit zu [5]. Aber, so Meckel, würde man einer Maschine den Spiegel vorhalten, würde sie sich darin nicht erkennen.

"Kennen"? Ja. "Erkennen"? Ja. Aber sich selbst erkennen? Nein.

Die Frage, ob eine Maschine ein Bewusstsein von sich haben könne, kann nur der oder diejenige erkennen, die die Sprache des Rechners verstehen kann. Die, die er oder sie ihm nach und nach einprogrammiert hat. Bis zu dem Zeit-Punkt, dass die Maschine in der Lage ist, aus diese Vorgaben selbst eigene Lernschritte ableiten und ausführen zu können. Entscheidend ist daher zunächst nicht so sehr, was eine Maschine kann, sondern was sie noch lernen kann.

IX.

Sich selbst den Spiegel vorhalten zu können - und zu wollen. Ist das wirklich eine spezifische Qualität des Menschen? Das Exempel, der uns allen noch bekannten Spiele von der Art der „Stillen Post“ zeigt, dass Menschen nicht in der Lage sind, die ihnen zur Weiterleitung auferlegte Information eins zu eins weiterzuleiten. Was wiederum bedeutet, dass auch unser Blick auf uns selbst nicht wirklich eins zu eins unser Selbst vermitteln würde.

Trotz dieser Einschränkung wird es also als etwas Gutes gesehen, dass man die Chance hat, sich in einer spiegelnden Oberfläche ’objektiv’ zu entdecken - und sich damit auf eine neue Art einer bildgebenden Darstellung selbst zu erfahren. Wenn jetzt aber ein Rechner diese Spiegel-Funktion übernimmt, die wir ihm zunächst als Quelle des eigenen Verhaltens "nur" aus ver s e h e n zugewiesen haben?

Wenn das geschieht, geschieht dies .. ganz ohne Sprache [6] und wenn wir das Resultat dieser Reflexion - hier im doppelten Sinne gemeint - erleben, sind wir sprachlos. Und suchen nach Bildern, in denen wir diese Selbst-Erfahrung verarbeiten können.

X.

Aber auch der Spiegel kann zu einer Waffe werden, das Licht bündeln, damit andere Menschen blenden, Feuer entfachen (was auch sein Gutes bedeuten mag) oder feindliche Verbände in die Flucht schlagen:

 [7]

Wenn uns also die Sprache nicht mehr weiterhilft zu bestimmen, was künstliche Intelligenz in Zukunft für uns bedeuten mag, dann beziehen wir aus dem Wort "künstlich" doch das Wort Kunst und schauen nach, wie sie mit diesem Phänomen umgeht und zitieren an dieser Stelle als pars pro toto dieses Exponat von Nam June Paik, seinen 1974 erstmals ausgestellten TV-Buddah:

© Nam June Paik

In eben diesem hier aufgeführten Wikipedia-Beitrag findet sich dieses Zitat von Philip Kennicott aus der Washington Post vom 14. Dezember 2012:

„This isn’t a mirror, but something else, a phantasmagorical double of the image, with a strange and uncanny power. You have the sense that if the Buddha’s spectral TV image ever went off, the statue itself might disappear. Certainly it would lose the appearance of consciousness which Paik’s clever arrangement has imputed to it.“

Mit diesem Hinweis endet diese Sammlungen mit den Prolegomena, den Vorbemerkungen zu diesem Thema, um zugleich einen ganz neuen Horizont zu all jenen Erkenntnissen zu er-öffnen, die jenseits des Unsagbaren liegen. Und dennoch von "sagenhafter" Bedeutung sein können.

Und sei es hier die Vermutung, dass in dieser Installation zugleich ein Sinnbild für jene Beziehungen aufgestellt wurde, die bei Hegel zwischen in den Begriffen des Besonderen, des Einzelnen und des Allgemeinen zur Darstellung gebracht wurden.

WS.

Anmerkungen

[1

At Booz Allen, our Code of Business Ethics and Conduct guides everything we do, from how we relate to our clients to how we treat one another. This commitment to our Values and ethical practices has been the foundation of our firm for more than 100 years, and it is central to our identity as the leader in our industry.

To remain a vibrant and profitable enterprise—an organization where people aspire to do their best work and are proud to be part of the team—we must always put ethics first. This “Green Book” serves as a resource for all staff, explaining clearly the reasons for our focus on ethics and offering practical guidance on many topics, including interacting with clients, protecting information, avoiding conflicts of interest, and fostering a workplace where every staff member can thrive.

[2

Von Hegel habe ich zuerst die Ästhetik gelesen. Weil ich von der Literatur kam, war die Ästhetik für mich erst einmal das Interessanteste. Danach nahm ich mir die Logik und vor allem die Geschichte der Philosophie vor. Viele Philosophen habe ich danach erst einmal im Licht der Hegelschen Interpretation gelesen.
Wie Goethe war Hegel auch noch, zumindest dem Anspruch nach, ein Universalgelehrter. Goethe wollte neben Literatur oder Theater auch Naturwissenschaft betreiben, Hegel hatte hingegen den Anspruch, ein allumfassendes philosophisches System zu errichten.

[3... oder zu reflektieren, was Hegel zu dieser Frage zu sagen gehabt hätte, oder sein Denken gar mit dem False-Flag-Problem in Verbindung zu bringen...

[4... wobei wir hier mal die DIY-Beziehung des Menschen zur Maschine ausschliessen wollen :-)

[5

Manche meinen, daß Rechner niemals "wahre" Intelligenz besitzen werden, was immer das auch sein mag. Doch ich denke, wenn sehr komplizierte chemische Moleküle im Menschen auf eine Weise funktionieren können, die sie intelligent macht, dann können gleichermaßen komplizierte elektronische Stromkreise auch Computer veranlassen, sich intelligent zu verhalten.

[6Es sei denn, wir gehen in die Berge und rufen nach einem Echo aus... oder wir könnten den Spiegel fragen, wer denn die / der Schönste im ganzen Land sei...

[7

Die Sonne wirft jhre Stralen in einem außgehölten glaß/ vnd solche schlagen gantz fewrig wider zurück […] welches dan bedeutet/ daß auß der guten oder bosen zuneigung der bedienten fridd oder krieg entstehe; sehr gefählich ist das widerhallen der geboht/ welche sie empfangen. Wan sie ein gantz ebenes/ klares/ reines Christallenes gemüth hetten/ so würden sie eben mit solcher reinigkeit die befehl von sich geben/ wie sie solche empfangen/ ja auch wol reiner; wo aber solches von Staal ist/ so werden sie die gantze Weldt in kriegsbrandt stecken


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