ALS-Tag an der Charité

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 16. September 2019 um 13 Uhr 22 Minutenzum Post-Scriptum

 

Falls Sie sich für heute noch nicht hier angemeldet haben: https://www.als-charite.de/anmeldung/, gibt es die Möglichkeit, sich auch im Nachherein online zu informieren.

Denn wenige Tage nach dieser Veranstaltung werden alle Vorträge des Programms auch als Streaming-Agebote zur Verfügung gestellt werden.

Daher an dieser Stelle nachfolgend das Programm dieses Tages als PDF sowie einige Aufzeichnungen, die im Verlauf des Tages an dieser Stelle live eingeschrieben wurden.

ALS-Tag Flyer

9:30 Uhr Neues aus Forschung und Entwicklung bei der ALS
(Prof. Dr. Thomas Meyer)

Aus dem kleinen Pflänzchen von vor 10 Jahren ist eine stabile Grösse geworden.

Neu: erstmals auch Gespräche aus der Patientenperspektive aus.

Neu: Forschung auch von Zuhause aus. Mit einem Hands-On-Training von Prof. Münch.

Neu: Danksagung an Alle, die zu diesem grossen Fortschritt beigetragen haben, zu Beginn.

Grundlagen der ALS:

Es geht um den Untergang motorischer Nervenzellen durch Proteinaggregate, der auch genetische Ursachen haben kann und sich dann auf vielfache Weise auswirkt.

Das Ziel der ALS-Ambulanz: Es geht um Lebensqualität und Lebenszeit, die es zu erhalten oder sogar zu verbessern gilt.

Es gibt bislang nur zwei Medikamente. Und nur eines davon ist derzeit seit längerem in Deutschland zu erhalten: Riluzol. [1] Aber: Beide setzen nicht auf der genetischen Ebene an, sondern sie schützen auf eine - wenn auch bislang eher unbekannte Art und Weise - die Neuronen [2]

Spannend der Bericht über neue Medikamente, die derzeit schon in Testung sind.

Hier von besonderem Interesse eine Medikament, das direkt an der Muskelfunktion ansetzen und diese stärken. "Levosimendan" - inzwischen gibt es eine Phase 3 Studie.

"Fasudil" (entwickelt von einer Grundlagenstudie der Uni Göttingen) als Infusionstherapie an 20 Tagen 2 mal am Tag angeboten mit zellschützenden Eigenschaften. "Vom sozialen aufwendig..."

"Mastinib"... entdeckt von einem kleinen französischen Sponsor um Schädigungskaskaden zu unterbrechen. Wir bislang bei Tumorerkrankungen bei Tieren eingesetzt. Und erstmals an Patienten vor allem in Spanien 2017 getestet.

Biogene hat ein genetisches Medikament eingekauft, aber auch hier bedarf es eines grossen organisatorischen Aufwandes. Es trifft zunächst nur für solche Menschen zu, die eine entsprechende Familiengeschichte haben ("FALS"). Oder, für weitere 5%, bei denen es neu auftritt.

Die zentralen Fragen aber lauten: Ist das Medikament verträglich? Und: Ist das Medikament wirksam?

Die Zukunft wird bestimmt werden
 von einer zunehmenden Bedeutung einer Art von personalisierter Medizin
 durch den Einsatz von Biomarkern, die in den letzten 20 Jahren gesucht wurden [3]

NOTA! Es geht um den finanziellen Aufwand für einen Patienten als Team. Was kostet das? 1720,- Euro pro Person und Jahr! Und die Kassen zahlen davon nur 570,- Euro pro Jahr.
Das bedeutet, dass weniger als 30% der gut 8000 ALS-Patienten in Deutschland überhaupt einen Kontakt mit einem spezialisieren ALS-Zentrum haben.
Die These lautet: Die ALS ist nicht unheilbar, sondern ihre Forschung ist unterfinanziert! Das sind gerade mal 212tausend Euro pro Jahr.

Es werden zwei von den vielen "Sponsoren" persönlich vorgestellt, die sich auch finanziell zur Förderung der Forschung engagiert haben. Einer von ihnen, Knut Marthiens hat eine eigene Initiative in Bremen gegründet, ein weiterer, Dr. Jürgen Grossmann, hat eine weitere ALS-Initiative gegründet und fördert inzwischen das gesamte Projekt mit in einer Summe in einer siebenstelligen Grössenordnung.

11:15 Uhr Neurofilament – ein neuer biologischer Marker bei der ALS
(Dr. Péter Körtvelyessy) [4]

These: Es dauert immer viel zu lange, bis überhaupt per Diagnose diese Krankheit festgestellt werden kann. Wir brauchen stattdessen einen Test, der darüber zuverlässig Auskunft gibt, was Sache ist.

Es folgt die Erklärung des Begriffs und der Funktionsweise von Neurofilament "denken Sie an Bambus". TDP-43 Protein lagert sich an und führt dazu, dass das Axon zerfällt. "Und dann gucken wir uns den Müll in Ihrem Gehirn an." 2012 gib es erstmals die "ELISA"-Diagnostic. Und diese Globalpunktion wirft erstmals klare NfL-Werte aus. [5] Und je höher diese sind, desto schneller ist der Fortschritt der Krankheit. Kann man das auch Blut messen. Ja, aber es ist sehr teuer. Positiv: es gibt eine zunehmend zutreffende Korrelation.
Das Ziel ist, nach der Blutentnahme herauszufinden, ob man betroffen ist (TDP-43) und welcher Typ von Patient man ist.

11:30 Uhr Studien und Behandlungsinnovationen an der Charité
( Dr. Dagmar Kettemann, Prof. Dr. Christoph Münch)
— Dr. André Maier:
Wie kann man ALS - Analyse von hause aus unterstützen?
ALS-Patienten-Selbstbewertungs-Fragebogen-Internet-Abfrage (am besten einmal im Monat, da die Zustände kurzfristig unterschiedlich sein können, auch wenn der Verlauf eher kontinuierlich ist...).
— Physiotherapie-Patienten sind sehr häufig zufrieden "Bringt viel aber ist schwer messbar."
— Frau Birgit Koch
Hustenassistent (caugh assist), gibt es seit langem, ist dennoch bis heute in Deutschland nicht selbstverständlich.
— Susanne Spittel M.Sc.
Therapeutische Bewegungsgeräte (sieht aus wie Hometrainer, kann aber mehr...). Gegen die Nachteile der Immobilisierung, das "Einrosten" wie Muskelsteifigkeit (Spastik) und Muskelschwäche (Parese). "Wir vermuten, dass auch das Vorteile hat." Es wird dazu gerade eine Studie aufgesetzt. (Die Ablehnungsraten durch die Kassen liegen bei knapp 50%).
— Dr. André Maier:
Robotik. Seit 2018 kann man einen Kinova-Roboterarm als Hilfsmittel genehmigt bekommen.

NOTA: Ab dem Sommer 2019 wird es eine ALS-Smartphone-App geben [6]

12:15 Uhr Forscherinterview: Wo stehen wir in der Erforschung und Behandlung der ALS?
(Dr. Christopher Secker, Dr. André Maier, Moderation: Prof. Dr. Thomas Meyer)
Was ist überhaupt bislang über die Ursachen der ALS entdeckt und verstanden worden? Die Proteine die sich in den Zellen ablagern sind inzwischen bekannt. Deren Verklumpung kann nachgewiesen werden. Aber sind sie wirklich dafür als Ursache zuständig? Die Wirkung der toxische Funktion ist nachweisbar. Aber es reicht nicht, sich derer zu entledigen. Denn das gesunde Protein muss weiter ein-wirken können.
Und, neu: Es gibt die Entdeckung von genetischen Veränderungen und deren Einfluss auf die Krankheit.

Wie kann man Grundlagenforschung in therapierelevante Funktionen übersetzen? Testen, testen, testen. Als Modell nachbauen. Klinische Studien durchführen, erst an Gesunden, dann an Erkrankten. Zunächst testen auf Verträglichkeit, dann erst testen auf Wirksamkeit. Und das kann Jahre dauern...

Nach der Mittagspause gab es die Wahl zwischen drei Workshops (siehe oben im Programm). Hier die eigene Wahl:

13:30 Uhr Workshop 3
Kommunikations- und Mobilitätshilfen [7]
Der Vertreter einer grossen Vertriebsfirma erläutert die grosse Palette der neuen Möglichkeiten der elektromobilen Nutzung. So wird aus einem Roboter, der Kamerafahrten ermöglichen sollte, schliesslich ein Rollstuhl, der gerade Treppen rauf- und runterfahren kann. Und es gibt sogar seit kurzem faltbare Elektro-Rollstühle (allerdings dieses alles noch ohne Hilfsmittel-Nummer).

NOTA: Ab 6 Km/h gilt jeder Rollstuhl als Kraftfahrzeug...

Markus Joos, Dipl. Psychologe, interactive minds, Dresden berichtet davon, warum ALS-Patienten nicht (mehr) kommunizieren können. Die Behinderungen beginnen zu 70% mit Behinderungen in den Extremitäten. Und damit verbunden ein zunehmender Mangel der Umfeldkontrolle. 30% können nicht mehr richtig schlucken und sprechen. Und schlussendlich haben beide Gruppen Probleme mit der Kommunikation.

Die Hilfen können wie folgt eingesetzt werden: für’s Schreiben wie für’s Sprechen. Bis hin zur www.Augen-steuerung.de/blog. Weil die Augenmuskeln erst sehr spät oder gar nicht von dem Muskelverlust betroffen ist. Wie das funktioniert, wird live am ELVIS-System demonstriert. Das gilt sowohl für das Schreiben als das Internet-Browsen.

Die beiden nachfolgend noch angezeigten Veranstaltungen werden an dieser Stelle nicht mehr besprochen werden. Und es ist zu hoffen, dass gerade diese anschliessend in der Online-Dokumentation nach nachverfolgt werden können. Denn es war entweder zu spät, um sich noch aufsuchen zu können, oder aber sie fanden eher in einem informellen Kreise statt [8]

14:30 Patientenforum – Menschen mit ALS tauschen sich aus.
(Moderation Dr. Ute Oddoy)

15:00 Uhr
„Hands-on-Training“ für Online-Selbstbewertung
(Moderation Prof. Dr. Christoph Münch)

Im Nachgang dieser Veranstaltung kam es noch zu einem sehr spannenden, mit dem Mikrofon aufgezeichneten persönlichen Dialog, der hier nachfolgend in voller Länge zu hören ist [9]:

P.S.

Vielen Dank nochmals an Anne Will, Miriam Meckel und all jene, die sich vor nunmehr fünf Jahren an dem IceBucketChallenge (ALS-IBC) in Deutschland beteiligt hatten:

Am 19. August 2019 erscheint ab 4:53 Uhr in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung unter dem Eintrag: "Home->Gesundheit->Medizin->Neurologie: AlS-Medikament Edavarone" ein Artikel von Astrid Viciano unter der Überschrift: "Im Zweifel für den Patienten"

Anmerkungen

[1Das zweite ist das in den USA schon zugelassene Edaravone.

[2Das ist aber eigentlich nichts Neues. Auch bei Aspirin wusste man lange Zeit zunächst nicht, wie der Wirkungsmechanismus funktioniert.

[3Single Molecul Analysis... wird nunmehr im Erbwasser angezeigt und damit kann einen hochgradigen oder einen weniger starken Untergang des Untergangs der Nervenzellen anzeigen. Sollte letztendlich im Blut angezeigt werden können, ob/wie ein Medikament anspricht, dann wäre das ein Quantensprung in der Forschung.

[4Nach der Pause war der freie Online-Gast-Zugang in das zeitweise Charité-Netz nicht mehr möglich. Aber da dieses eine Universitäts-Klinik ist, gibt es dazu alternativ auch einen "eduroam"-Zugang, der ebenfalls genutzt werden kann.

[5To do: Alte Liquor-Proben können - hier im Labor Berlin - auch nachbestimmt werden. Einwurf von Prof. Meyer: Es gilt auch, dass sich die ALS mit mehr als 90% gut klinisch diagnostizieren lässt.

[6Auf diese Ankündigung hin gab es viel Beifall von den Rängen.

[7Hier sitzen vor allem jene auf den Rängen und vor allem oben auf der Empore beieinander, die echt arg gebeutelt sind. Und die sich trauen, sehr konkrete Fragen zum Handling im Alltag zu stellen. Und das auch dann, wenn ihre Sprach-/Sprechfähigkeit sehr eingeschränkt ist. Oder statt der eigenen Stimme akustische Hilfsmittel eingesetzt werden, um sich über das angereichte Mikro verständlich zu machen.

[8Und wurden daher auch von anderen Ratsuchenden nicht oder nicht gleich gefunden - Schade, dass sich bei gerade diesen teilnehmerzentrierten Angeboten das Ganze so zerfaserte und auch viel der Aussteller ihre Stände schon abgebaut hatten.

[9Seit dem 5. Juni 2019 ist dieses Interview auch Bestandteil der Seite:
10. ALS-Tag an der Charité.


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