Ursula v.d. Leyen: "lechts und rinks"

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 31. Juli 2019 um 21 Uhr 44 Minutenzum Post-Scriptum

 

Lichtung

von Ernst Jandl:

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein llltum

Das nun bis 2024 gewählte Europäische Parlament kann mit den Christdemokraten der EVP-Fraktion und den Sozialdemokraten der S&D-Fraktion keine gemeinsame Mehrheit mehr bilden. Das ist das, was man wohl "eine neue Qualität" zu nennen pflegt und viele weitere Veränderungen mit sich bringen wird [1].

Am Abend der Entscheidung spricht um kurz nach 7 Uhr Bettina Klein, Korrespondentin des Deutschlandradio im Studio Brüssel, diesen Kommentar: Rede von Ursula von der Leyen. Eine sehr persönliche Vision von Europa:

Straßburger Krimi - Von der Leyen kämpft vor dem EU-Parlament für ihre Wahl
Es gelten die Regeln des Urheberrechts Deutschlandfunk/KOMMENTAR (2019)

Und von der Leyen wird gewählt, einen Tag vor dem 65. Geburtstag der Kanzlerin, die sich derweil um eine Nachfolge für die Ministerin für Verteidigung bemüht [2].

Bundespräsident Steinmeier, gleichwohl im Urlaub, gratuliert. Und die polnische Regierungspartei PiS erklärt, sie habe "mit ihren Abgeordneten als Zünglein an der Waage für eine Mehrheit" gesorgt

Delia Thomas und das ZDF-Grafik-Team brauchen gerade mal eine Minute Fünfundvierzig, um eine Antwort auf die Frage zusammenzustellen: "Ursula von der Leyen wird neue EU-Kommissionspräsidentin. Was kommt jetzt auf sie zu? "

Und das schreiben die Zeitungen aus anderen Ländern am Abend dieses Tages:

DELO, Ljubljana.:

„Unter schwierigen Umständen gewann die deutsche Kandidatin von der Leyen genügend Stimmen, um den einflussreichsten Posten in Brüssel zu übernehmen. Sie hatte vor dem Europäischen Parlament zuvor die Rede ihres Lebens gehalten, um mit dieser politischen Werbung die Stimmen von Liberalen, Grünen und Sozialisten für sich zu gewinnen. Und es hat sich gelohnt, obwohl sie nur sehr knapp gewonnen hat“

JIEFANG RIBAO, Schanghai:

„Man kann der Europäischen Union nur gratulieren, dass Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin gewählt wurde. Mit ihrem Wahlsieg kann das besorgniserregende Treiben der Europa-Skeptiker in den vergangenen Jahren eingedämmt werden. Als leidenschaftliche Pro-Europäerin wird von der Leyen die Einheit Europas entschieden vorantreiben. Ihr gutes Verhältnis und ihre Verbundenheit zu Bundeskanzlerin Merkel werden von der Leyen von Nutzen sein. Sie wird sich durchzusetzen wissen.“

NEPSZAVA, Budapest:

„Ursula von der Leyen hat fast jedem etwas versprochen, und das war für die Mehrheit der Parlamentarier wohl ausreichend. Schon die Reaktionen der Abgeordneten nach ihrer Rede zeigten, dass viele aus den drei größten Fraktionen Frau von der Leyen mehr oder weniger unterstützen würden.“

NOVAYA GAZETA, Moskau:

„Die neue Präsidentin der EU-Kommission wird mit vielen Herausforderungen konfrontiert werden [...] Sie wird zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Europäischen Integration vermitteln müssen. Aber Ursula von der Leyen hat als Verteidigungsministerin bereits einen starken Charakter und eine große Willenskraft gezeigt. Für die Populisten einiger Länder könnte sie allerdings zum roten Tuch werden – einfach, weil sie als deutsche Politikerin das Amt bekleidet“

RZECZPOSPOLITA, Warschau:

„Die Unterstützung durch die polnische Regierungspartei PiS war entscheidend für den Erfolg Ursula von der Leyens. Sie erhielt gerade einmal neun Stimmen mehr als notwendig, das Lager der Gegner war gewaltig. Die polnische Regierungspartei reichte von der Leyen in dieser Situation eine helfende Hand und lieferte ganze 26 Stimmen. Die PiS setzt darauf, dass sich von der Leyen ihr gegenüber dankbar zeigen wird. Und das zurecht“

DE STANDAARD, Bruxelles:

„Ursula von der Leyen hat dann doch noch eine Mehrheit der Europaabgeordneten überzeugt, ihrer von den EU-Staats- und Regierungschefs eingefädelten Nominierung zuzustimmen. Von Herzen kam das nicht. Der Schatten der Hinterzimmerpolitik wird noch lange über ihrer Präsidentschaft liegen.“

TIMES, London:

„Die Tatsache, dass die Kandidatur von der Leyens von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Macron forciert wurde, dürfte kaum ein Quell der Stärke sein, sondern eher das Gegenteil. Es gibt große Zweifel, ob sie genügend politischen Charakter und Mut hat, europäische Politik zu gestalten.“

LA VANGUARDIA, Barcelona: „500 Millionen europäische Bürger erwarten Fortschritte, keine Rückschläge oder Stagnation. Denn außerhalb der Europäischen Union gibt es nur noch mächtige Blöcke, die eine europäische Schwächung begrüßen würden. Es ist notwendig, die innere Einheit Europas wiederherzustellen und wieder zu überzeugen: die EU oder die Sintflut.“

DE VOLKSKRANT, Amsterdam:

„... Rückschlag für von der Leyen. Es schwächt ihre Ausgangsposition. Wäre von der Leyen abgelehnt worden, wäre es zu einem ‚Krieg der Institutionen‘ zwischen den Regierungschefs und dem Parlament gekommen. Der Druck der Hauptstädte auf die Parlamentarier und die Versprechungen von der Leyens an das Parlament haben diese politische Zeitbombe entschärft“

PRAVDA, Bratislava:

„Ursula von der Leyen ist keine schlechte Wahl [...] Sie hat zwar keine Erfahrung in der Regierungsführung, aber sie kennt sich in den internationalen Beziehungen aus – und, was entscheidend ist: Sie ist eine überzeugte Europäerin. Die konkretesten Vorschläge hat von der Leyen in ihrer Rede im Bereich der Klimapolitik gemacht, was manch einer als Zugeständnis an die Grünen wahrnimmt. Aber das ist ein Irrtum, denn es ist in Deutschland längst kein Widerspruch mehr, christdemokratisch zu sein und zugleich ökologisch zu denken“