USA: Der Wahlkampf, der "B(e)iden" nützt

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 8. November 2020 um 17 Uhr 41 Minutenzum Post-Scriptum

 

Diese Überschrift greift die twitter-Botschaft der Berliner Verkehrsbetriebe auf, die in deren Auftrag ihre Haus- und Hof-Agentur GUD - angeblich bei einem der allwöchentlichen Mittagessen - kreiert hat.

Hier Zeitungsstimmen vom heutigen Tag:

CHUNICHI SHIMBUN, Nagoya: „Als scheidender Präsident sagte Barack Obama vor vier Jahren, eine friedliche Amtsübergabe sei eine der Qualitätsgarantien der Demokratie. Trumps Verhalten in diesen Tagen zeigt, dass sich die Qualität der Demokratie der Vereinigten Staaten so verschlechtert hat, dass man ihr keine Garantie geben kann. Bei dieser Wahl könnten juristische Auseinandersetzungen ein noch viel größeres Chaos auslösen als im Jahr 2000, als Bush und Gore um die Auszählung in Florida stritten“

LA CRONICA DE HOY, Mexiko: „Es ist enttäuschend, dass ein so polemischer Präsident so viel Rückhalt bei den Bürgern genießt. Vor vier Jahren wussten die Wähler vielleicht noch nicht, was auf sie zukommt. Aber nach seinem katastrophalen Umgang mit der Corona-Pandemie, seiner Politik der weißen Überheblichkeit und der Privilegierung von Reichen ist deutlich geworden, dass er nicht allein das Problem, sondern vielmehr das Ergebnis einer Entwicklung ist: In den USA ist etwas faul. Das Verhalten der Hispanics ist besonders enttäuschend. Es gab die Hoffnung, dass sie dazu beitragen würden, die republikanische Hochburg Texas zu stürmen. Die Exil-Kubaner haben außerdem Trumps Lüge geglaubt, Biden werde in den USA den Kommunismus einführen. Und so ist auch Florida Trump treu geblieben“

DAGSAVISEN, Oslo: „Selbst wenn Biden siegt – was gewinnt er damit? Ein aufgewühltes, instabiles Land mit einem vergifteten politischen Klima und einem Senat, in dem die Republikaner weiterhin die Mehrheit haben. Das würde eine schwere Bürde für den 78-Jährigen. Aber die Welt kann sich vier weitere Jahre mit Trump einfach nicht leisten“

KOMMERSANT, Moskau: „Klar ist, dass der Triumph des Demokraten, den fast alle Umfragen vorausgesagt haben, nicht eingetreten ist. Trotzdem ist sein Sieg durchaus wahrscheinlich. Das einzige garantierte Ergebnis dieser Wahl ist die Spaltung der Gesellschaft, die das Land vor vier Jahren ergriffen hat und sich weiter vertieft. Die Ideologie Trumps bestimmt die Haltung der Hälfte der Amerikaner. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Trump auch nach einer Niederlage weiter versuchen wird, auf die Politik Einfluss zu nehmen“

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: „Wie dieser Graben überwunden werden soll, ist offen [...] Immerhin verlief der Wahltag ruhig. Die von manchen befürchtete Gewalt blieb zum Glück aus. Umso mehr ist zu hoffen, dass die nächsten Tage eindeutige Ergebnisse bringen werden, die beide Lager und auch die Medien vorsichtig interpretieren und schlüssig erklären. Ein Befeuern von Spekulationen könnte gravierende Folgen haben“

NEW YORK TIMES: "Trump hat genau so reagiert, wie man es erwartet hat [...] Er erklärte seinen Sieg und kündigte bereits juristische Schritte an. Die Wahl sei ein Betrug an der amerikanischen Öffentlichkeit; eine Peinlichkeit für das Land, sagt der Mann, der definitiv ein Experte darin ist, betrügerisch und peinlich zu sein. All das wirft zwei Fragen auf: Die eine beschäftigt uns nun schon seit vier Jahren – wie zum Teufel konnten die amerikanischen Wähler Trump zum Präsidenten wählen? Und wie konnten sie ihn auch nach vier Jahren Amtszeit dorthin bringen, wo er jetzt steht – vor einer möglichen Wiederwahl“

POLITIKEN, Kopenhagen: „Die US-Demokratie durchlebt eine kritische Phase, und am Ende könnte alles Mögliche stehen, von einem juristischen Drama bis hin zu sozialen Unruhen und Straßenkämpfen – oder alles zusammen. Seit 1787 hat die Verfassung Bürger- und Weltkriege, Präsidentenmorde und Depressionen überstanden, aber noch nie stand sie unter einem solchen Druck wie jetzt. Die Schuld daran trägt vor allem Trump. Er hat die Spaltung vertieft und von der Konfrontation gelebt. Und Demokraten, Experten und Medien, darunter auch diese Zeitung, haben die Stärke der populistischen Bewegung hinter Trump unterschätzt“

RZECZPOSPOLITA, Warschau: „Er rief dazu auf, die Stimmauszählung abzubrechen und per Post eingeschickte Stimmzettel abzulehnen. Kein amerikanischer Präsident hat es bisher gewagt, dermaßen dreist die Grundregeln der Demokratie zu untergraben. Trump will den Obersten Gerichtshof entscheiden lassen, wer die Wahl gewonnen hat. Es besteht allerdings das große Risiko, dass seine Anhänger sowie seine Gegner nicht viele Wochen auf das Urteil warten werden, sondern versuchen, die Sache auf der Straße zu entscheiden. Auf solche Kämpfe hatten sich am Wahltag viele amerikanische Städte vorbereitet, Schaufenster und Regierungsgebäude wurden verbarrikadiert. Dies könnte fatale Folgen für den Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft haben, die schon jetzt stark polarisiert ist“

DE STANDAARD, Brüssel: „Ein amtierender Präsident, der damit droht, sich an die Macht zu klammern, und seine Anhänger aufruft, sich dem demokratischen Prozess zu widersetzen: Solche Szenen hat es in der Vergangenheit in den Straßen von Kinshasa, Abidjan und Caracas gegeben. Aber wer hätte gedacht, dass dieses Szenario in Washington DC möglich wäre?“

LA VANGUARDIA, Barcelona: „Dass es bislang kein eindeutiges Ergebnis gibt. Um den Gewinner zu ermitteln, muss auch die letzte per Post abgegebene Stimme gezählt werden. Und es könnte sein, dass wir auch dann noch nicht wissen werden, wer der Sieger ist, wenn Trump vor den Obersten Gerichtshof zieht. Da Trump nicht bereit ist, eine mögliche Niederlage hinzunehmen, scheint er entschlossen zu sein, eine institutionelle Krise durch die gerichtliche Anfechtung der Briefwahl vom Zaun zu brechen. Die nächsten Tage werden schwindelerregend und wir müssen hoffen, dass die Unsicherheit nicht in Gewalt umschlägt“

DE VOLKSKRANT, Amsterdam: „Zwar äußerten die Demokratische Partei und die amerikanischen Mainstream-Medien ihre Wut, und sogar Fox News reagierte empört. Doch wo die Welt gewöhnlich lauthals von Schande spricht, wenn sich einige afrikanische Präsidenten mit Einschüchterungen und unbegründeten Wahlbetrugs-Anschuldigungen an die Macht klammern, herrschte jetzt ohrenbetäubende Stille.“

XINMIN WANBAO, Schanghai: „Damit haben sich die Vereinigten Staaten ein weiteres Stück von der Weltgemeinschaft entfernt. Bislang sind sie das einzige Land, das den Rückzug aus dem völkerrechtlichen Vertrag, der von knapp 200 Staaten unterzeichnet wurde, bis zum Schluss durchgezogen hat. Dabei leiden die USA heute schon an den Folgen des Klimawandels, wie die jüngsten verheerenden Waldbrände in Kalifornien gezeigt haben.“

Bevor am Abend vor und nach der 20 Uhr-Tagesschau über den aktuellen Stand berichtet wird, wird auf der eigens zu den Wahlen eingerichteten Webseite diese Grafik veröffentlicht:

An der deutschen Börse in Frankfurt am Main steigt an diesem Tag die Hoffnung - und damit die Kurve

Das Thomas Mann House veranstaltet in Kooperation mit der American Academy in Berlin und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung eine Diskussionsveranstaltung zum Thema: The US Presidential Election and the Future of Democracy [1]

Der Wahl-Kampf geht weiter, auf allen Ebenen, mit allen Mitteln, bis hin zur Erklärung des totalen Kriegs, total war, durch Donald Trump jr.:

P.S.

Schon jetzt steht die Überschrift des nächsten - und dann letzten - Beitrages zu diesem Wahl-Kampf-Thema fest:
" This is not a Victory - it’s a Katastrophy "

Hier schon vom Folgetag ein Vorgeschmack über die Folgen dieser Katastrophe in diesem Artikel der New York Times Ikone Thomas L. Friedman mit dem ins Deutsche übersetzen Text: Verloren hat Amerika.

Anmerkungen

[1

Teilnehmer*innen der Gesprächs sind Susan Neiman (Direktorin, Einstein Forum in Potsdam) sowie Thomas Mann Fellows Rainer Forst (Professor für Politische Theorie und Philosophie, Goethe-Universität Frankfurt), Christoph Möllers(Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Humboldt-Universität Berlin) und Michael Zürn (Direktor der Abteilung für Global Governance, WZB). Ohne Pandemie würden die drei Fellows derzeit in Los Angeles residieren, um an ihrem gemeinsamen Projekt „Die Legitimität öffentlicher Gewalten: Zum Zusammenhang von Moral, Recht und Politik“ zu arbeiten. Die Veranstaltung wird von Daniel Benjamin (Präsident der American Academy in Berlin) moderiert.


8689 Zeichen