Reise Skizze IV

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 27. Juni 2021 um 18 Uhr 10 Minuten

 

I

Dieser Tag ist insofern ein besonderer, da er bis zur Mittagszeit keine Sonnenstrahlen hervorkommen lässt, Während für Deutschland für die nächsten Tage Temperaturen von über 35 Grad in der online-Wetter-Vorschau angekündigt werden.
Auf dem eigenen Rechner steht noch „Sonnig 30 Grad“ – aber nachdem sich das Teil mit dem W-LAN verbunden hat – die Internetverbindung wird an diesem Ort über einen Funkweg realisiert – schaltet die kleine auf der Funktionsleiste eingeblendete Nachricht um auf „Bewölkt 24 Grad.“
Und Du denkst, „fein, aber wollte ich das jetzt wirklich wissen?“ Und Du fragst Dich, ob das wirklich in Ordnung geht, dass nach dem letzten Funktionsupdate plötzlich dieses neue Dienstangebot auf Deiner Task-Leiste erscheint, eines, nach denen Du gar nicht gefragt hast.

II

Gerade erst mit dem Ad-hoc-Schreiben begonnen, und schon haben wir wieder ein Thema: In einem der hier gelesenen Bücher „Ohne Wenn und Abfall“ berichtet laut Mitteilung der Leserin der Autor darüber, dass in der Tat sein MAC zwar schneller startet als ein Windows-Rechner, dass er aber anderseits so viel Lebenszeit mit seinem MAC dadurch verloren habe, da es immer wieder beim Betrieb dieses Rechners an den entsprechenden Adaptern gefehlt habe, zum Beispiel beim Anschliessen an einen Beamer.
Und Du denkst Dir: „Schön und gut, aber gehört sowas wirklich in ein Buch?“ Und Du merkst, wie altertümlich und überkommen Deine Vorstellung vom Buchschreiben ist, davon, dass darin etwas aufgeschrieben wird, was noch über Deine Lebenszeit hinaus eine Bedeutung haben könnte, ja, dessen Bedeutung mit dem Alter des Buches noch wachsen könnte.

III

Dabei fällt ein, dass vor der Abreise es schon eine erstaunliche, wenn nicht bedrückende Erfahrung darin bestand, dass die eigene Autorenschaft für einen der Brecht-Materialienbände bei Suhrkamp dort an keiner Stelle mehr verzeichnet ist, so als habe man niemals für und mit diesem Verlag gearbeitet. Nicht nur, dass das Buch längst vergriffen und daher auch jetzt angesichts der Rückblicke auf den Aufstand der Pariser Kommune von vor 150 Jahren nicht mehr zur Verfügung gestellt werden konnte – und sei es auch nur in wenigen Restexemplaren oder als PDF – sondern, dass selber eine Anfrage beim Verlag ( der ja nun nicht mehr in Frankfurt/Main, sondern in Berlin angesiedelt ist ), dass selbst diese Anfrage ergab, dass der eigene Name in deren interner Registratur (sprich Datenbank) nicht mehr aufgetaucht und auch sonst nirgendwo mehr verzeichnet ist.

IV

Ähnliche Erfahrung gab es schon zuvor bei den Rundfunkanstalten. Auf Nachfrage beim Rundfunk Berlin Brandenburg, rbb, stellt sich heraus, dass im Archiv des zuvor Sender Freies Berlin, SFB, genannten Hauses kein einzige der zuvor dort produzierten Beiträge mehr verzeichnet ist. Geschweige denn, irgendeiner von jenen „Schnürsenkeln“ – wie die Tonbänder früher von uns genannt wurden – auf denen Sie geschnitten und dann festgehalten wurden.
Noch ärger ist es meiner Mutter, Käte van Tricht, ergangen: Viele ihrer einst für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgenommenen Konzerteinspielungen, sei es am Cembalo, seien es vor allem die grossen Orgelaufführungen, sind nicht mehr im Archiv von Radio Bremen zu finden gewesen. Wie gut nur, dass zumindest im eigenen Fall von einer der einstündigen Berliner Radio-Sendungen noch ein Radio-Mitschnitt auf einer Tonkassette gefunden wurde. Und wie gut vor allem, dass es von den Einspielungen meiner Mutter dennoch eine Reihe von Schallplatten und CD-Sammlungen gibt.

V

Wenn Du hier einen Tag lang durch all jene von der Lava überströmten Gebiete auf dieser Insel gefahren bist, denkst du dir, dass all dieses Sammeln und Aufzeichnen eh‘ für die Katz ist. Ein kleiner Feuersturm aus dem Erdinneren, und es ist eh‘ alles vorbei. Im Besucherzentrum auf der Insel wird sogar im Keller des Gebäudes ein solcher Vulkanausbruch mit einer son-et-lumiere-Inszenierung nachempfunden. Sas Ganze ist ebenso gut gemacht, die wie beiden Begleitfilme, die über die Insel selbst sowie über die Fauna und Flora gezeigt werden (wenn man einen Kopfhörer mit dabei haben sollte, kann man ihn statt auf Spanisch auch in einer deutschsprachigen Version mitverfolgen). Und Du bekommst wirklich ein Gefühl dafür, was in jenen Jahren, ja Jahrzehnten ab 1730 abgegangen ist, ais die Erde nicht nur zu grummeln begonnen hatte, sondern sich auf dieser Insel ganze neue feuerspeiende Berge erhoben hatten. Berge, die bis heute noch zu sehen sind und einen ebenso beeindruckenden wie letztendlich doch unwirklichen Eindruck hinterlassen.

VI

In dieser Lava-Gesteins-Wüste hat sich die Natur selbst ein Denk-Zeichen gesetzt, das bis heute nichts an seiner Wirkmächtigkeit und Überzeugungskraft verloren hat. Und dass uns heute durch vielerlei Aufwand an Bildern und Modellen, Bauten und Inszenierungen nochmals in Erinnerung gebracht wird.
Besonders spannend dabei zu erfahren, wie sich nach der Katastrophe zunächst die Flechten und dann nach und nach auch alte – und neue (sic!) – Tiersorten dieser von der Lava übergossenen Landschaft wieder annehmen und nach und nach für ‚das Leben‘ zurückerobern.
Mehr noch, als die Menschen Zug um Zug auf die Insel zurückkehren, machten sie - im wahrsten Sinne des Wortes - diese so existenziell erfahrene Not erfinderisch. Sie entdecken die Qualitäten des, wir nennen es hier der Einfachheit halber, ‚Lavastaubes‘, mit dessen Hilfe es letztendlich sogar gelingt, den Getreide- und nun auch Weinanbau neu zu entwickeln und zu betreiben, wenngleich auch unter ungleich erschwerten Bedingungen.

VII

Heute ist das Ganze eine Riesen Touristenattraktion. Nicht nur mit Wasserdampffontänen, die aus dem heissen Boden schiessen, selbst in dem einladenden wie ausladend gebauten Restaurant auf dem ‚Dach‘ dieses gesamten Vulkanensembles werden die für den Verzehr zugerichteten Fleischstücke auf einem Rost gegrillt, der von unten einzig und allein durch die Erdwärme angeheizt wird.

Und – unglaublich, aber war – in dem Touri-Shop wird auch ein Buch verkauft: Ein kleines Bändchen mit der Überschrift: ALS DIE VULKANE FEUER SPIEN „TAEBUCH LANZAROTE. NOTIZEN ÜBER DIE EREIGNISSE IN DEN JAHREN 1730 BIS 1736“ Geschrieben von dem Pfarrer von Yaiza, Don Andrés Lorenzo Curbelo.
Und nicht nur das: Die ersten Zeilen aus diesem Bericht werden gleich zu Beginn im Soundtrack der im Ticket inkludierten Busrundfahrt kreuz und quer durch die Kraterlandschaft zitiert:
„ Am 17. September 1730, zwischen neun und zehn Uhr abends, brach bei Timanfaya, zwei Wegstrecken von Yuiza entfernt, mit einem Mal die Erda auf. In der ersten Nacht erhob sich ein riesenhafter Berg aus dem Schoss der Erde und aus diesem Gipfel schlugen Flammen hoch, die neunzehn Tage unaufhörlich brannten.“

VIII

Dieser mit einem Begleittext, mit Anmerkungen und mehreren Abbildungen versehene Text hat genau das, was ein Buch ausmacht: Es ist authentisch, verständlich, es wirkt weit über den Tag hinaus. Und es wird darüber hinaus heute noch in vielen Sprachen übersetzt – und genutzt.
Interessant ist weiterhin, dass es sich hier nicht mehr um die inzwischen verschollenen Originaltext handelt, sondern um eine in Auszügen hergestellt Abschrift, die ein deutsche Geologe, Leopld Buch, der 1853 in Berlin verstarb, verfasst hatte.
Womit eigentlich alles gesagt ist: Über die Bedeutung des Schreibens als auch des Kuratierens.
Jetzt geht es ‚nur‘ noch darum, zu prüfen und zu entscheiden, was von den bisherigen eigenen Publikationen einen solchen Status hat bzw. erreichen sollte, welches der derzeit avisierten Projekte noch zu Lebenszeiten unter dieser besonderen Massgabe zu realisieren sich lohnen sollte.

IX

Beim Rückblick auf die eigenen Arbeiten als auch auf die jetzt wieder erlebten Eindrücke der Vergänglichkeit wird sowohl die Dringlichkeit als auch die Endlichkeit dieser Aufgabenstellung klar.
Der Urlaub ist ein guter Moment, um sich nochmals drüber im klaren zu werden und die Prioritäten neu zu bestimmen. Dabei gibt es sicherlich auch Viele, die im Urlaub lieber ihre „Dicken Wälzer“ durchschmökern oder die ganze Staffel einer Filmserie „binchwatchen“ wollen. Im eigenen Fall ist es eher das Gegenteil. Die Tage sind eher mit dem Versuch des ‚Nichtstuns‘ ausgefüllt, die Nächte mit einer nicht abreissenden Serie von Traumereignissen.
Dabei sind nicht die Träume das Problem, nicht einmal jene, die eher ein bedrohlichen Charakter annahmen, sondern es kommt die Frage auf, ob es nicht von grossem Nutzen sein könne, all diese – und sei es auch nur in Stichworten – festzuhalten.
Eine gute Idee, die dennoch verworfen wird. Würde sie umgesetzt werden, wäre der Urlaub kein Urlaub mehr.

X

Dieses ad-hoc-Aufschreiben kann dagegen gerade noch als ‚Freizeitbeschäftigung‘ durchgehen. Hier darf alles gedacht und aufgeschrieben werden, was einem so gerade in den Kopf kommt. Und dazu gehört einmal mehr zum Abschluss dieses Textes die Idee, wie es wäre, wenn es gelänge, dass all diese nächtlichen Träume aufgezeichnet werden könnten. Nicht, um sie dann später wieder wie ein Video abspielen zu können. Sondern so, dass man sie zu einem späteren Zeitpunkt im Kopf wieder herstellen und dann im wachen Zustand nochmals nach-erleben könne.
Es gibt neben den Träumen kaum ein anderes Medium, in dem die Zukunft der Vergangenheiten so sehr präsent ist, in dem die Geschichten und Geschichte so sehr miteinander verwoben, das Ich und das Alter-Ergo so nahe beieinander sind.


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