Unerhört?! "BuschFunk" in Berlin (West) und Potsdam

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 15. Dezember 2004 um 07 Uhr 55 Minuten

 

Am Montag, den 13.12 2004 vesammlten sie sich alle wieder - und ausgerechnet im "Theater des Westens": Andreas Bicking, Sonny Thet(Bayon), Uschi Brüning & Luten Petrowsky, Bukowski Waits for You, Veronika Fischer, Matthias Freihof, Eric Fish (Subway to Sally), Jürgen Ehle (Pankow), Engerling, Andre Greiner Pol (Freygang), Lutz Kerschowski, Heiner Kondschak(Die Randgruppencombo), Wolfgang Zwieback Krause, L’art de passage, Aurora Lacasa, Reinhard Lakomy, Norbert Leisegang (Keimzeit), Gisela May, Hermann Naehring, Rakatak, Gerhard Schöne, Thomas Monster Schoppe (Renft), Silly, Volker Schlott (Fun Horns), Stern Combo Meissen, Stoppok, Stefan Trepte (Electra), Bettina Wegner, Hans-Eckardt Wenzel, Pascal von Wroblewsky. Und viele, viele andere genauso wenig namenlose Enthusiaten und Freunde, Künsler und Könner einer mehr als nur "ostalgischen" MusikSzene.

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Alles begann am 13. Dezember 1989 mit einem Antrag an das "Ministerium für Kultur der DDR" zwecks Gründung eines eigenen Musiklabels. Zu mehr als einer Eingangsbestätigung hat es damals wohl nicht mehr gereicht. Und dennoch konnte jetzt, ausgerechnet hier in der Kantstrasse im "The-De-We" gefeiert werden. Und wie!

Da es dem Herausgeber persönlich nicht vergönnt war, an diesem Abend teilzunehmen, werden hier einige Ohren- und Augenzeugen zitiert, die sich heute zu Wort gemeldet haben: als pars pro toto.

 Ulf Teichert in der SUPER illu online, in dessem um 19:53 Uhr zuletzt aktualisierten Text des Tages unter der Überschrift "Der Osten rockt weiter" auf eben diese doppel-deutigen Bezüge eingegangen wird.

Dieser Ort ist Symbol: Als sich am 13. Dezember die Créme de la Créme der ostdeutschen Musikszene ein Stelldichein gab, dann tat sie es ausgerechnet im Herzen des alten West-Berlin. Wo man den Kultsänger Gerhard Schöne wahrscheinlich immer noch mit dem Schauspieler Rainer Schöne verwechselt und bei Engerling eher an eine Raupe denn an die gleichnamige Bluesband denkt.

Das Theater des Westens also

Im jugendstiligen Prachtbau in der Kantstraße feierte »Buschfunk« seinen 15. Geburtstag. Mit einem Konzert der Superlative. Angesagt hatten sich 34 Gruppen und Solisten, allesamt Stars ostdeutscher Unterhaltungskunst und zum großen Teil bis heute aktiv und erfolgreich. Denn wenn Interpreten wie Reinhard Lakomy oder Stefan Trepte (Electra), wenn Gruppen wie Engerling oder L’art de Passage, Sängerinnen wie Aurora Lacasa oder Pascal von Wroblewsky immer noch die Säle füllen und Alben verkaufen, dann auch, weil es »Buschfunk« gibt. Und natürlich den Chef der Ost-Berliner Plattenfirma Dr. Klaus Koch.

Der Geburtsort

Ein ehemaliger REWATEX-Laden in der Rodenbergstraße in Berlin-Prenzlauer Berg war Ende 1989 Geburtsstätte des inzwischen wichtigsten ostdeutschen Musiklabels, das zugleich größter unabhängiger Musikvertrieb und -Versand in den fünf neuen Bundesländern ist. Fünf Mitarbeiter und mehr als 20.000 treue Kunden - vom Einzelbesteller bis hin zu den großen Kaufhausketten - sorgen für einen geschätzten Jahresumsatz von gut 2 Millionen Euro. Angeboten werden nicht nur Alben und DVDs, sondern auch Gesellschaftsspiele wie »Überholen ohne einzuholen«, das sich bislang mehr als 300.000 Mal verkauft hat. „Damit waren wir zum ersten Mal Trendsetter“, freut sich Koch, der ansonsten eher auf Kontinuität setzt. „Mir geht es um die Pflege der kulturellen Identität der Ostdeutschen“, sagt der studierte Kulturwissenschaftler und frühere Leiter des legendären Leipziger Studentenclubs »Moritzbastei«.

Das Wagnis

Es war riskant, Ende 1989 ein Plattenlabel für Ostmusik zu gründen. „Der Bedarf an DDR-Künstlern“, so Koch, „war gleich Null. Doch ich dachte: Es kann nicht sein, dass ein Gerhard Schöne noch bis vor kurzem 500.000 Alben verkauft hat und jetzt gar keine mehr.“ Drei Jahre brauchte der »pessimistische Optimist«, ehe sich seine Hartnäckigkeit in Sachen Ostmusik aus- zahlte. Drei Jahre, „in denen andere mit dicken ABM-Geldern durch die Gegend liefen und ich nicht einmal das Benzin-Geld verdiente.“

Vorbei, aber nicht vergessen

Heute kann der Fan und Musikliebhaber aus einem riesigen Angebot auswählen, sogar per Internet bestellen. Und »Buschfunk« beliefert mehr als 2500 Läden in ganz Deutschland. Dass gestandene ostdeutsche Künstler so gut wie nie im Radio gespielt werden, ringt Dr. Koch höchstens noch ein müdes Lächeln ab. „Damit habe ich mich längst abgefunden. Für mich ist das der Beweis dafür, dass wir vom Zusammenwachsen, vom Aufeinanderhören und Zuhören weit, weit entfernt sind.“

Schwerpunkte

CDs für 3,99 Euro wird es bei »Buschfunk« niemals geben. Das unterscheidet die Firma vom Amiga-Label, das kürzlich vom Medienkonzern BMG abgewickelt wurde. „Während Amiga Ostkünstler wie Silly verramscht und BMG die Gewinne kassiert hat, haben wir immer wieder in einen Pool von Künstlern aus dem Osten investiert. Die sind unser Schwerpunkt und für die arbeiten wir auch zuerst“, sagt Dr. Koch. Denn auch er will, dass der Osten weiter rockt...

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Foto © Handelmann

 Mit einem Tag Verspätung hat sich dann auch die Redaktion des "Tagesspiegel" in ihrer Print-Ausgabe vom 15. Dezember zu einem Rückblick von H.P. Daniels unter der Überschrift: "War das eine herrliche Zeit.
So klingt der Osten: 15 Jahre BuschFunk" entschlossen. Das liest sich dann so:

Am 13. Dezember 1989, dem Tag des letzten „Pioniergeburtstags“, die Grenzen waren schon offen, hatte BuschFunk den Antrag gestellt. Beim Ministerium für Kultur der DDR: Ein Büro wolle man gründen, „Hauptgegenstand“ sei „die Förderung, Produktion und Vermittlung von Kunst aus der DDR“. Die DDR verschwand, BuschFunk fördert, produziert und vermittelt noch heute. Ein Grund zum Feiern, mit den Künstlern der letzten 15 Jahre. Der Ostberliner Musikverlag lud zur Geburtstagsparty, mit 46 Programmpunkten in fünf Stunden.

Fremd kommt sich der Westler vor im ausverkauften Theater des Westens. In der Kulisse von „Les Misérables“, zwischen aufgetürmten Barrikaden, spielt „L’art de passage“, eine angenehme Combo zwischen Klassik, Folk und Jazz. „War das eine herrliche Zeit, jeder war zum Aufruhr bereit“, singen Engerling. Jubel aus dem Auditorium. Die Musiker müssen nicht angesagt werden. Jeder wird sofort erkannt, frenetisch gefeiert. Wer ist das jetzt? Uschi Brüning, sie singt Jazzeliges. Und der mit dem grünen Hemd und der Telecaster? Von harten Zeiten singt er. „Pankow“ flüstert die Nachbarin. Da kommt einer mit Dudelsack: „Amazing Grace“. Als er kurz „Auferstanden aus Ruinen“ dazwischendudelt, ist das Publikum nicht mehr zu halten. Reinhard Lakomy mit wallend weißem Ritterhaar und Schnurrbart gibt den Alleinunterhalter an Keyboard und Rhythmusmaschine: „Wir legten uns ins Moos“. Gelächter.

Spätestens beim Auftritt von Aurora Lacasa fühlt sich der Westler wie auf dem Festival des politischen Liedes. Damals in der „Hauptstadt“. Mit Oktoberklub und Internationalismus. Die 80-jährige Gisela May im schwarzen Hosenanzug zeigt ganz lässig, wie man ohne große Posen mit Kurt Weill und dem „Lied von den alten Liebenden“ sogar ein Westherz bewegen kann. Veronika Fischer ist schlageriger. „Das ist unsere Identität!“, erklärt eine freundliche Dame dem Westler. „Mit diesen Liedern sind wir aufgewachsen. Die kann uns niemand nehmen. Das ist nichts, was aus dem Westen kommt!“

Dieses Pathos. Die vielen klassisch klingenden Klaviere und fein studierten Gitarren, der Hang zu Operettenhaftigkeit und Bombastrock à la Deep Purple mit deutschen Texten: „Meer der Ewigkeit“ oder „Mein Herz soll ein Wasser sein“. Vielleicht ist es mit dieser Musik wie mit dem Palast der Republik: Die einen würden ihn am liebsten sofort abreißen, während die anderen ihn gerne in alle Ewigkeit erhalten würden. Weil sie dort vielleicht ihr erstes Tänzchen gewagt haben. Und alles andere egal ist.

Wie aber soll deutlich werden, dass es sich mit diesem Konzert sogleich um eine einmalige Veranstaltung haldelte und doch sogleich um den Spiegel einer Welt und einer Kultur, die bis dato nicht nur (n)ostalgie feiert, sondern all-täglich weiter lebt?

 Am besten, indem man auf den Erfolg einer Veranstaltung verweist, die - sozusagen einen Tag danach - im Nikolaisaal in Potsdam stattgefunden hat und in der Ulrich Crüwell im Regionalteil der "Märkischen Allgemeinen" über den Auftritt der "Jazz-Dinosaurier" Manfred Krug und Uschi Brüning schreibt:

Manfred Krug und die wunderbare Uschi Brüning. Der frühere Tatort-Kommissar ließ seiner Bewunderung für Uschi Brüning freien Lauf. Sonst ist der Fernseh-, Jazz- und Vorlesestar ja ein klein wenig egomanisch. Diesmal aber degradierte er sich zum "Manne- Maus", der der "Uschi-Maus" beim Singen assistiert. Bevor Manfred Krug aus "Mein schönes Leben" las, machte er klar, dass dieser Abschnitt des Abends mehr Pflicht denn Kür sei. Er freue sich auf das Singen mit der Brüning.

Dass Krug schreiben kann, weiß man seit "Abgehauen". "Mein schönes Leben" ist die literarische Verdichtung seiner Kindheit und beginnt bei seiner Geburt. Während er in Steißlage im Bauch seiner Mutter liegt, kopuliert der Vater mit der besten Freundin seiner Frau. "An was ich mich nicht erinnern kann, habe ich mir ungenau gemerkt", sagte Krug einleitend zum humoristischen Parforceritt durch sein Leben - jeder Satz eine Pointe. Das Publikum kam aus dem Lachen nicht mehr heraus.

Krug ist ein Meister im Vorlesen. Als seine Eieruhr klingelte, las er noch kurz vor aus seinem Buch mit den Postkarten, die ihm Jurek Becker reihenweise schickte mit Sprüchen wie "Ich mache aus dem Nichts etwas Dürftiges, Du aus dem Dürftigen etwas Vorzeigbares".

Dann endlich folgte die Kür mit Uschi Brüning. Bei Krugs deutscher Version des Duetts "Baby, it’s so cold outside" sang und vor allem spielte die einstige Justizsekretärin eine naive Tussi, während Krug den dahin schmelzenden Liebhaber mimte. Im Hintergrund Wolfgang "Zicke" Schneider mit seligem Lächeln am Schlagzeug. Die drei kennen sich aus gemeinsamen Zeiten bei der legendären "Günther Fischer Band".

Durch eine Tournee mit Manfred Krug und der Klaus- Lenz-Band im Jahre 1971 wurde Brüning erstmals einem größeren Publikum bekannt. Der Rest ist Musikgeschichte. Brüning ist unbestritten eine der besten Jazzsängerinnen des Landes, die aber nicht gerade zur Selbstvermarktung neigt. Dass gerade ihre neue Platte bei Buschfunk erschienen ist, verschweigt sie vornehm. Das Label für ostdeutsche Musik feierte gestern in Berlin mit seinen Künstlern wie Brüning und der Band "Engerling" ihr 15-jähriges Bestehen. Krug und Brüning treten als Jazz-Dinos nun schon seit fast fünf Jahren in unregelmäßigen Abständen auf. Meist mit der Band "Jazz’in the Blues", deren Kern aus dem Schlagzeuger Schneider und dem Karat-Bassisten Henning Protzmann besteht. Das Potsdamer Publikum strömte wie immer in Scharen zu Krugs Unterhaltungsabend. Auch das Konzert am Sonntag abend war ausverkauft.

Am Ende nach fast drei Stunden dann endlich das wunderbar eingejazzte Operettenlibretto "Niemand liebt Dich so wie ich" von Franz Lehar. Rythmisches Parteitagsklatschen. Nach vier Zugaben verabschiedeten sich Krug und Brüning, um oben im Foyer Platz zu nehmen. Beide geduldig Bücher und neu erschienene CDs zu signieren. "Vielen Dank fürs Kommen und schöne Weihnachten", wünschte Krug jedem einzelnen seiner Fans.

Uschi Brüning: "Swinging Ballads", Buschfunk Musikverlag, 15,50 Euro / Manfred Krug: Mein schönes Leben, 8 CDs. Hörverlag, 39,90 Euro


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