Berliner Tagebuch

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 29. November 2022 um 13 Uhr 46 Minuten

 

Dieses ist kein journalistischer Beitrag, sondern die Summe von Gedanken, Eindrücken und Reaktionen am ersten Tag nach der Rückkehr nach Berlin, chronologisch geordnet und jenseits vieler Regeln, die normalerweise für diese Publikation Gültigkeit haben.

Dass solche Beiträge verfasst und auch veröffentlicht wurden, in denen der Verlauf eines Betriebs-/Berufsalltags widergespiegelt wurde, ist nicht neu [1]. Hier aber geht es um mehr: Um die Schnittstelle zwischen der Auswanderung aus einem kleinen Teil und Asiens und die Rückkehr in eine westliche Grossstdt.

Die Ruhe: Das Erste, was nach dem Erwachen gegen siebenUhrdreissig auffällt, ist die Ruhe: Kein Meeresrauschen mehr, das bislang vor der Tür permanent zu hören war, kein Schreien der Vögel, keine Motoren mehr der Boote, die aufs Meer fahren oder von dort zurückkommen, keine Dialogfetzen mehr anderer Urlauber oder des Personals, die vor dem Eingang entlanglaufen. Hier herrscht Ruhe. Kaum Verkehr, die Bauarbeiten vor dem Haus sind immer noch nicht abgeschlossen, der Fortschritt dieser Arbeiten bleibt aber unhörbar, nur eine grosse Kehrmaschine wird irgendwann vorbeigefahren, um das letzte noch am Boden liegende Laub aufzusammeln.

Am Boden? Ja, der Boden besteht, abgesehen von der Mitte des Prager Platzes, ausschliesslich aus Steinen und Asphalt. Dort in Sri Lanka war der Boden aus Sand, Erde und Grass und konnte zu Fuss begangen werden. Fleissige Hände hatten ihn am Morgen schon geharkt, gewässert, das Unkraut bearbeitet und Pflanzen neu gesetzt.

Planzen? Überall präsent. Die ganze Natur dort war Teil des ständigen Umgebenseins, ja, des Lebens. Auch wenn hier in den Urlaubsbeiträgen auf die Darstellung der Bilderflut verzichtet wurde, die sich dir ständig beim Durchqueren der täglichen Umgebung offenbart, selbst Orchideen aller Art eingeschlossen. Hier in Berlin wird heute allenfalls zu prüfen sein, ob die Balkon- und die wenigen Zimmerpflanzen die menschenlose Zeit überlebt haben.

Tiere? Ibidem. Von Kakerlaken bis Waranen, von Schildkröten bis zu einer grossen Vielfalt an Vögeln. Die einzigen fliegenden Kreaturen, die sich auch hier bei der Wiederankunft vor dem hellen Bildschirm einfinden, das sind die Mücken, die offensichtlich die Abwesenheit eines Menschen überlebt haben, wenn auch in wahrlich bescheidener Anzahl.

Infrastruktur: Ja, das ist und bleibt hierzulande ein grosser Vorteil. Es gibt nicht nur fliessendes Wasser, wie dort auch, aber es ist trinkbar. Es gibt nicht nur Strom, wie dort auch, aber er ist ohne Unterbrechungen nutzbar, und Du hörst nicht die Generatoren, die bei den alltäglichen Ausfällen immer wieder zum Einsatz gebracht werden mussten. Und: Es gibt einen Internetzugang, und das permanent von ausreichender Güte und Datendichte.

Zeit: Einen geregelten Tagesablauf gab es auch dort, bestimmt durch die Mahlzeiten, die Ayurveda-Anwendungen und die Arzttermine, die in den drei Wochen auch alle eingehalten wurden, bis auf ein einziges Mal, was sofort eine Rüge aus der Nachbarschaft auslöste. Ungestraft dagegen blieb das Ausbleiben bei den täglichen Yoga-Übungen. Nicht, dass es keine eigene Körperertüchtigung gegeben hätte, aber bitte nicht morgens ab sieben Uhr, selbst wenn das vom Klima her gesehen die besten Zeit war.

Ernährung: Dieses wird weit über diesen Eintrag hinaus das wohl nachhaltigste Kapitel werden und bleiben. Bislang konnten davon nur wenige Punkte umgesetzt werden. Bis zu zwei frischen Eiern am Tag essen und mindestens zwei Liter warmen Wassers pro Tag trinken. Das war nicht schwer, zumal dazu noch Zitronen im Kühlschrank lagen und Butter, die auf die Brezen gestrichen wurde, die mir in München am Flughafen geschenkt wurde. Eine zweite, mit Butter bestrichene, wurde dort an Ort und Stelle verzehrt. Der Kostenpunkt für das gute, am Stand von "aichinger-gastro" erworbene Stück: Über drei Euro!!!

Klima: Beim Wiedereintreffen auf den Flughäfen in München und Berlin herrschten Temperaturen von nur wenigen Grad über null, dort am Urlaubsort bis zu dreissig Gras, mal mehr, mal weniger. Die Luft war oft schwül, aber immer noch auszuhalten, im Gegensatz zu anderen Regionen, etwa auf der Insel Taiwan. Aber auch Sri Lanka kennt höhere Bergregionen, die viel kühler und wolkenverhangener sind, als das, was an der Küste zu erleben war, auch nach dem Abklingen der Regenzeit. Wie schön, dass beim Eintreffen in Berlin die Strassen regen- und frostfrei waren.

Rundfunk: Trotz aller technischen Möglichkeiten dort auf all das verzichtet, was hier sonst ständig Eingang in die Ohren und Augen gefunden hätte. Nach der - verspäteten - Rückkehr am Vortag zumindest am Abend im TV ein regionales und zwei nationale Nachrichtenprogramme angeschaltet. Was okay war. Aber allein der Werbeblock im ZDF zwischen den heute-Nachrichten und der rbb-Abendschau: Was für ein Graus! Heute von halb Neun bis Neun im Radio den letzten Nachrichtenblock auf den Kanälen des Deutschlandradios aktiviert. Und danach ein weiteres Interview mit der Journalistin Sonja Mikisch. Auch sie erzählt von Tagen, in denen sie in Griechenland keine Sender aus Deutschland empfangen könne und sich die Welt dennoch weiterdrehe. Um sodann allen Youngsters ins ’Poesieheft’ zu schreiben: "Journalismus ist keine Ich-Reise".

Zahlen und Daten: Es ist zehn Uhr, und der erste Arbeitsalltag beginnt. Der Remailer mit dem Abwesenheitsverweis wird deaktiviert, die Telefonanschlüsse werden neu synchronisiert, die Rechner wieder hochgefahren und mit den aktuellsten Updates versorgt, das NAS reaktiviert. All das konnte noch parallel zu dem Radiointerview vorgenommen werden, jetzt aber ist volle Konzentration angesagt. Und Sri Lanka wird so lange aus dem Kopf geschlagen, bis zu einem späteren Zeitpunkt noch die Berichte von dort [2] aktualisiert und mit Fotos ergänzt werden [3].