Welch ein Anblick. Welch ein Augenblick. Und: Welch ein Geschenk! Jetzt steht die Chanukkia der einstigen Kieler Rabbinerfamilie Posner hier im Fenster des Langhanssaales von Schloss Bellevue – und gleich werden Sie, lieber Yehuda Mansbach, als Enkel von Rabbiner Arthur Posner die ersten beiden Kerzen entzünden. Das Licht dieser Kerzen wird nach draußen leuchten und für alle sichtbar das Wunder von Chanukka bezeugen. Dass wir diesen Augenblick hier und heute gemeinsam feiern können, erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit und Demut und auch mit Glück.
Chanukka wird ja ""Fest der Wunder"" genannt. Auch wenn ich mit diesem Wort jenseits der Religion eher vorsichtig bin: Für mich stecken in diesem gemeinsamen Moment heute gleich mehrere Wunder. Denn wie hätten wir uns erträumen können, dass nach dem Menschheitsverbrechen der Shoah, der geplanten Auslöschung jüdischer Existenz jemals wieder jüdisches Leben hier bei uns blühen würde? Aber es ist, zu unserem großen Glück, so gekommen.
Wir erleben das wunderbare Geschenk der Versöhnung. Und wir erleben, dass heute, neunzig Jahre nachdem dieser Leuchter zum letzten Mal in Deutschland genutzt worden ist, hierzulande wieder jüdischer Alltag gelebt wird in Kitas und Schulen, in Synagogen, Rabbinerseminaren, Gemeindesälen. In zehntausenden Fenstern steht in diesen Tagen in Deutschland eine Chanukkia und wird entzündet. Das ist nicht weniger als ein leuchtendes Wunder.
Es wäre niemals möglich geworden ohne den Glauben, die Kraft und die starke Zuversicht der jüdischen Gemeinschaft. Es ist dieselbe Zuversicht, die auch Ihre Großmutter, die Rebbetzin Rahel Posner, damals in Kiel hatte, als sie 1931 den Chanukkaleuchter der Familie mutig weithin sichtbar ins Fenster stellte und ihn fotografierte .
Das Bild von damals zeigt die unmittelbar drohende Gefahr, den wachsenden Hass auf Juden. Denn links neben dem Leuchter ist durch das Fenster hindurch eine Hakenkreuzflagge zu sehen, die draußen auf der Straße, vor der Kreisleitung der NSDAP schräg gegenüber, gehisst war. Es gab aber noch eine andere Botschaft, die Ihre Großmutter mit dem Foto verband, ein Signal der Widerstandskraft und der Hoffnung: ""Juda verrecke, die Fahne spricht – Juda lebt ewig, erwidert das Licht"", notierte Rahel Posner auf der Rückseite des Bildes.
Wenig später blieb der Familie keine Wahl, als aus ihrer Heimat zu fliehen, um dem mörderischen Wahn der Nationalsozialisten zu entkommen. Aber ihre Hoffnung, die nahmen die Posners mit ins heutige Israel – und ihre Chanukkia auch. Wie recht sie damit hatten, auf das Licht zu setzen!
Heute sind der Leuchter und das weltberühmte Bild in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ausgestellt. Und zu Beginn dieses Jahres kam die Chanukkia durch eine wunderbare Idee von Ruth Ur und des Freundeskreises Yad Vashem schon einmal nach Deutschland – in Gestalt eines Aufklebers für die Aktion ""Licht zeigen"". Am Holocaust-Gedenktag war er an zehntausenden Fenstern zu sehen. Auch hier in Schloss Bellevue.
Überall sandte dieses Licht ein starkes gesellschaftliches Zeichen gegen den Hass. Solche Zeichen sind bitter nötig, leider. Denn auch hier bei uns erleben wir, dass der Antisemitismus wächst und sich wieder offener zeigt, dass judenfeindliche Verschwörungsmythen sich mitunter bis in die Mitte der Gesellschaft verbreiten, dass Jüdinnen und Juden beleidigt und angegriffen werden.
Deswegen müssen wir alle, jede Einzelne und jeder Einzelne, immer wieder Haltung zeigen gegen jede Form von Antisemitismus. Niemand darf wegschauen! Und auch unser Staat, unsere Behörden müssen wachsam sein – und unerbittlich in der Verfolgung von Straftaten.
Auch im Erinnern an die Shoah dürfen wir niemals nachlassen. Wir brauchen kraftvolle, klare Formen des Gedenkens, um zu verstehen und verständlich zu machen, was damals geschah. Ich bin sehr froh darüber, dass der Freundeskreis Yad Vashem immer wieder nach neuen, greifbaren Formen des Nichtvergessens sucht.
Ich blicke mit Ehrfurcht auf das innere Leuchten, das Rahel Posner dem Hass entgegensetzte. Sie möge uns allen ein Vorbild sein. Ihnen, ihrer Familie, bin ich unendlich dankbar, dass Sie so großzügig und freundlich sind, uns an Ihrer Geschichte – und an den mutigen Gedanken Ihrer Großeltern – teilhaben zu lassen.
Es ehrt unser Land, dass Sie als Nachfahren von Holocaust-Überlebenden die Mühe und auch den Schmerz auf sich genommen haben, zum ersten Mal nach der Shoah nach Deutschland zu kommen. Für solche Offenheit, für solche Gesten können wir gar nicht genug danken. Dass Sie Ihre Chanukkia hierhergebracht haben, und dass Sie mich auf diese Weise einladen, gemeinsam mit Ihnen das Fest der Wunder zu feiern, erfüllt mich mit großer Freude.
Ich danke Ihnen von Herzen!