Nationale Selbstbespiegelung mit Unterhaltungswert
Wer sagt denn, dass sich "die Deutschen" nicht auch mal "auf die Schippe" nehmen können? Die ARD-Sendung "typisch deutsch" auf dem klassichen Sonnabend-Abend-Hauptprogramm-Platz war ein insgesamt doch gelungener Versuch, das Thema der nationalen Identität mit Frohsinn und Sinnlichkeit, Eigensinn und sinngebungsvoll anzupacken - und so zum Gegenstand eines befreienden öffentlich(-rechtlich)en Diskurses zu machen, jenseits der aktuellen Debatten um "Unterschichtenfernsehen" und Rundfunkgebühren.
Die Sendung hatte jene gute bunte Mischung, die notwendig ist:
– um einerseits ein Stück weit zu überraschen und damit aufzumuntern - etwa, dass die Deutschen am ehesten auf "ihr" Bier verzichten könnten, noch bevor sie alternativ Wein, Kaffee oder Wasser stehen lassen müssten -
– und um andererseits eine Stück weit wieder die Gemüter zu bestätigen und damit einzufangen - etwa mit dem Ergebnis: dass die Beamten die am ehesten typischen Deutschen sind: und das in der Gruppen- wie in der Einzelwertung [1]
und dass die Lindenstrassen-Mutter der Nation die "deutscheste" aller Identifikations-Figur unter den eingeladenen Prominenten ist.
Im übrigen lebte die Sendung:
– von der Kraft der Moderatoren, sich gegenseitig ins Wort zu fallen, wann immer es geboten war: sei es, um die Regeln der Dramaturgie und des Ablaufplans wieder in die Bahn zu bringen [2], sei es, dem Anderen / der Anderen die Möglichkeit zu einem kleinen persönlichen Extempore zu geben [3]
– von einer wohl geplanten und dann doch erstaunlich "privat" wirkenden Mischung von Persönlichkeitskult und illustrierten Vorurteilen einerseits [4] und dem Betonen dieser Privatheit als Voraussetzung für den Erfolg der Sendung andererseits: von der wiederholten "antworten Sie ehrlich"-Aufforderung der Moderatoren bis hin zu den Prommi-WC-Geschichten aus dem ICE oder beim Wasserlassen nach dem Kaffee-Genuss
– von einer wahrscheinlich so nicht gewollten aber dann dennoch real existierenen Inhouse-Transparenz, in der der Produktionsapparat in der Sendung ein Stück weit sichtbar wurde: von der Ankündigung der drohenden Entlassung eines Redakteurs (die es somit schon eben deshalb sicherlich nicht geben wird) bis hin zum Hinweis auf die unzureichende Qualität des WdR-Kantinen-Essens
– von der Bereitschaft, anstatt eines "adjudicators" den modernen "Zwerg Allwissend" in Gestalt eines Mitarbeiters des Goethe Insitutes auf die Bühne zu bringen und in der Rahmenhandlung als Kommentator und durchaus nicht immer bequemen Stichwortgeber einzubringen [5] - und sei es, um den eingeladenen etwas sauertöpfischen Fussballprofi-Promi das Deutschlandlied an Stelle eines Telepromter vorzubuchstabieren [6]
– von der Absicherung dieser Persönlichkeitsbilder und soziologischen Gruppenportraits durch das Matereial der INFAS-Erhebungen, die auch dadurch nicht "unseriös" erschien, dass in eine Reihe von Fällen eine der vier möglichen Antworten als so "gut" wie "unmöglich" einzustufen war, gerade dieses aber den Spass an der Beantwortung der anderen Alternativen eher noch stimulierte [7]
– von den Zuschauerbeteiligungsfragen, etwa danach, was es denn wirklich nur in Deutschlang gäbe [8]
– von der Möglichkeit, die gestellten Fragen auch interaktiv im Netz nachvollziehen und selber beantworten zu können unter:
http://www.daserste.de/typischdeutsch/" target="_blank">
www.daserste.de/typischdeutsch/
– von einer ausgeklügelten Logistik zwischen einem farbenfrohen "klassischen" Bühnenbild mit einem jederzeit möglichen alternierenden Zugriff auf Gruppen- und Individualpräsenz - sowohl für die Kameras als auch die Moderatoren - sowie der Möglichkeit, diese auch im Hintergrund immer mit der EDV aufzufangen, zu protokollieren und die Ergebnisse nach gut-"dünken" der Redaktion in die Sendung einzuspielen [9]
– von der Entscheidung der Redaktion, auch das Absingen des Deutschlandliedes zum Gegenstand der Sendung zu machen [10]
und dieses positive Erlebnis zur unerwarteten Freude Aller - im Studio wie in der Regie - zum Einstieg des "Otto"-Auftritts durch eine interaktive Gesangesteilhabe zu ergänzen, in der das Publikums das Lied von Hensel und Gretel in Eigenregie absang, so dass sich "Otto als Dirigent" nur noch mit seinem sinngebenden gestischen Gezappel stimmlos einzuklinken brauchte.
Die Deutschen als - nicht erst seit "PISA" traumatisiertes - "Volk der Dichter und Denker" gaben sich an diesem Abend alle erdenkliche Mühe, sich nun auch in Sachen der Unterhaltung singend und mit Eigenwitz als ein "Land der Ideen" zu profilieren [11], in dem selbst die Beamten in der Lage und freiwillig bereit sind, Witze über den eigenen Berufsstand öffentlich zu zitieren.
PS. Im öffentlich(-rechtlich)en Inhouse-Diskurs stieg sogar Anne Will von den Tagesthemen mit ihrer Überleitung auf das Trittbrett dieses zeitlich deutlich verlängerten "bandwagon" auf, bevor sie sich dem Thema der vorzeitig gewonnenen 19. Deutschen Fussball-Bundesliga-Meisterschaft im Rahmen einer Livschaltung den Münchnern zuwandte.
Jetzt fehlt nur noch, dass auch das dort ansässige Goethe-Institut die Aufzeichnung dieser Sendung als weiteren "Exportschlager" einer - hoffentlich alsbald interaktiv nutzbaren -
Medienbibliothek
den noch nicht "Zugezogenen" in aller Welt online zur Verfügung stellen wird.
WS.