A.
Die Literaturhandlung lädt in Zusammenarbeit mit der IKG, dem Literaturhaus und dem Böhlau Verlag herzlich ein zur Buchpräsentation von
am Sonntag, den 17. März 2019
um 11:30 Uhrim Literaturhaus München | Saal
Salvatorplatz 1
80333 MünchenEintritt: Euro 12.- / 8.-
Viele Holocaust-Überlebende können erst, wenn sich ihr Lebensende nähert, über die damaligen Erlebnisse sprechen. Sie haben Pogrome erlebt, häufig auch Konzentrationslager. Die Erfahrungen von Flucht und Vertreibung haben sie geprägt, viele Traumata gehen nie vorüber. Ihre Überlieferungen sind wichtiger denn je. Die noch Lebenden sind Zeitzeugen, ihre Lebensgeschichten sind einzigartig. In diesem Buch kommen Holocaust-Überlebende zu Wort, die über Erlebtes und über ihre Sicht auf Gegenwart und Zukunft sprechen. Gerade in Zeiten des aufflackernden Antisemitismus ist ihre Stimme umso wichtiger. Ob sie in Deutschland und Österreich oder in Israel leben, das prägt ihre Perspektive, deren Gegenüberstellung ist das Besondere dieses Buches: Wer nach Israel gelangt ist, hat häufig nie wieder einen Fuß nach Deutschland oder Österreich gesetzt. Diejenigen, die geblieben oder zurückgekehrt sind, müssen sich Fragen stellen, warum sie im Land der Täter geblieben sind. Die Fotografien von Konrad Rufus Müller bilden die zweite Säule des Buchs: Porträtaufnahmen, die eindrücklich die Spuren der Zeit dokumentieren. Bilder, die die Menschen und ihre Erinnerung ein Stück weit vor dem Vergessen bewahren.
Programm
Begrüßung
Ariella Chmiel, LiteraturhandlungPräsentation Buch und Gespräch
Vorstellung des Buches »Unfassbare Wunder« und Dr. Alexandra Föderl-Schmid im Gespräch mit den Holocaust-Überlebenden Charlotte Knobloch, Eva Umlauf und Marianna BergidaAnschließend Austausch mit der Autorin sowie den Zeitzeugen
Um Anmeldung wird gebeten unter veranstaltungen@boehlau-verlag.com
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Herzlich,
Viktoria v. Wickede
VeranstaltungenPS: Besuchen Sie auch unsere Website! www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/
*Mit der Teilnahme an dieser Veranstaltung stimmen Sie der Veröffentlichung von Fotos, Video- und Audioaufzeichnungen, die im Rahmen der Veranstaltung entstehen, zu.*
B.
Ganz offen gesagt: Bei der Anreise nach München gab es im Zug ein lautes Geschrei, ein Singen aus heiseren Kehlen und neben dem vielen unverständlichen Zeug ein lautes Grölen gegen die Juden.
Am nächsten Morgen gab es die Einladung ins Münchner Literaturhaus. Dort eingetroffen gab es trotz des wunderbar sonnigen Wetters eine volles Haus. Aber nicht im Saal, wie angekündigt, sondern in der Bibliothek.
Dort war es alles andere als einfach, den Beruf auszuüben, da angeblich die Anwesenden erst gefragt werden müssten, ob sie mit einer Aufzeichnung des öffentlichen Gesprächs einverstanden seien... (sic!).
C.
Charlotte Knobloch Jahrgang 1932, macht klar, dass sie bis heute niemals das Wort "Jude" in den Mund nehmen würde. Damals habe sie es nicht gekannt, nicht gewusst, dass sie Jüdin sei. Und heute würde sie diese Zuschreibung wieder an all das erinnern, was ihre Jugend bestimmt hat.
"Die jüdischen Häuser waren Freiwild", sagt sie. Und beschreibt diese Zustände aus der eigenen Erfahrung. Ihrem Vater, einem Rechtsanwalt, wurde seine Berufsbezeichnung aberkannt. Stattdessen übte er seinen Beruf weiter als "Konsulent" aus. Jetzt war er DER Ansprechpartner für all die Juden, die von den Deportationen betroffen sein würden, nachdem sie eine entsprechende Vorladung erhalten hatten.
Die Menschen, die zum Abtransport einberufen wurden, wussten, dass die Deportation der direkte Weg in den Tod sein würde. Als Kind habe sie von diesen Gesprächen erfahren, die Gesichter der Betroffenen habe sie bis heute in Erinnerung.
Sie war zu diesem Zeitpunkt 10 Jahre alt.
Sie hat als Einzelkind gelernt, dass es angezeigt sei, nicht zu viele Fragen zu stellen. Denn das bedeute, auch nicht wissen zu können, welche Antworten man nicht erhalten habe.
Und dann erzählt sie, und erzählt, und erzählt.... und sie spricht über das Wunder, das ihr widerfahren sei. Und wie sie unter falscher Identität in der Lage ist zu überleben. Und wie sie lernt, auf einem Bauernhof zu überleben und in die Kirche zu gehen ("mir tun heute noch die Knie weh"). Und Freunde zu finden - bei den Tieren, die auf diesem Bauernhof für sie da waren.
Sie berichtet, wie sie am Volksempfänger die Geschichte des Dritten Reiches verfolgt hatte, bis dahin, als die Amerikaner auch das kleine Dorf befreit hatten, in dem sie unter falscher Identität die ganzen Kriegsjahre überlebt hatte.
Der grösste Schock sei es gewesen, den Menschen nach dem Krieg wieder zu begegnen, die plötzlich allesamt so lieb daherkamen, nachdem sie zuvor durch ihr angepasstes Verhalten zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung beigetragen hatten.
Der Wunsch, der Plan, in die USA ausreisen zu können, konnte nicht sogleich ausgeführt werden. Erst nach der Geburt der Kinder, bei bei der Grundsteinlegung der Neuen Synagoge in München, habe sie dann die für Amerika bestimmten Koffer endgültig wieder ausgepackt.
D.
Marianna Bergida, ihr Kindermädchen steht weinend auf einer Brücke mit einem jüdischen Baby, mit ihr, in einem Korb. Und sie werden aufgenommen von Passanten, die in diesem Moment vorbeikommen.
Als sie nach dem Krieg ihren Vater über den Suchdienst wieder findet, ist dieser Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in der Slowakei. Und als solcher wurde er nach dem Holocaust erneut interniert. Die Schauprozesse wurden mit Lautsprechern auf der Strasse übertragen. Und so hört sie ihren Vater sprechen. Und sich verteidigen. Mit solcher Kraft, dass der Zeuge seine Anschuldigung gegen ihn schliesslich zurückgezogen hat. Weshalb er überlebte.
Erst mit 13 hat sie dann ihren Vater wirklich kennenlernen können.
Und dann wurde sie irgendwann "mit einem kapitalistischen Hintergrund eine sozialistische Lehrerin."
1968 mit zwei Koffern und einem zweijährigen Sohn nach Wien, mit einem Ausreisevisum, um vor den einrückenden sowjetischen Truppen zu fliehen.
Das eigentlich Ziel, Kanada, wurde nie erreicht.
E.
Eva Umlauf, in einem Arbeitslager geboren im Dezember 1942. Ihr Zug nach Auschwitz war 1945 der erste, dessen Insassen nicht sogleich ins Gas geschickt wurden. Es gab zwar dort noch Zyklon-B-Büchsen, aber die Gaskammern waren nicht mehr in Betrieb... da der Zug wegen eines Schadens verspätet eingetroffen war.
Auch sie berichtet davon, dass man als sensibles Kind früh gelernt habe, keine Fragen zu stellen.
Nein, sie habe ihre "Tätowierung" nicht entfernen lassen. Diese Auschwitz-Nummer lässt sich nie wieder entfernen. Das Wort "die Zeit heilt Wunden" gilt nicht für die Zeit in den Konzentrationslagern. Dafür gibt es keine seelischen Abwehrkräfte, keine Resilienz.
Darüber schreiben? Das war für eine berufstätige Mutter eine grosse Herausforderung. Und das ging erst nach einem Herzinfarkt 2014.
Die Mutter verstarb nach dem dritten Herzinfarkt. Im Gegensatz zu ihrem extrem aktiven Arbeitsleben kam es nach der Pensionierung zur Depression. Und keiner konnte ihr mehr helfen. Auch sie als Ärztin konnten es nicht. "Mit Sicherheit: Sie ist an den Spätfolgen von Auschwitz gestorben".
F.
Die Fragen der Moderatorin und Autorin Alexandra Föderl-Schmid:
Wie wichtig es für die betroffenen Menschen sei, sich "das Alles nochmals wegreden zu können"? Für viele "Ja".
"Wir haben uns als Juden in Deutschland viel freier gefühlt als in der CSSR". Aber dann wurde das jüdische Grab des Vaters in Stuttgart geschändet. Von Jugendlichen. Die alsbald gefasst wurden. Und Reue gezeigt haben.
Eine Geschichte aus der U-Bahn. Es war sehr heiss. Sie war nur mit einem T-Shirt bekleidet, ihr arm war zu sehen. Ein junger Mann starrt sie an und entschuldigt sich dafür, was ihr seine Vorfahren angetan haben.
Dennoch lebt der Pessimismus wieder auf. Was ist mit dem Angriff auf Charlotte Knobloch durch die AFD? Was ist mit den Drohungen, die ihr seitdem widerfahren? Hat das jüdische Leben in Deutschland noch eine Zukunft?. Ja, die Juden haben hier in Deutschland ihren Platz. Aber ihre Kinder müssen hinter Panzerglas lernen und unter polizeilichem Schutz.
Das herrliche jüdische Leben, das man einst aufgebaut hatte, das wird es nicht mehr geben. Werden sich die grossen Gruppen dem Thema stellen, die Kirchen, die Gewerkschaften? "Wo ist die Gesellschaft?"
Ja, die AfD ist demokratisch gewählt. Hitler wurde einst auch demokratisch gewählt.
G.
Alles, was nach dem Einladungstext bis hierher zu lesen war, wurde direkt während der Veranstaltung aufgeschrieben und (hoffentlich einigermassen fehlerfrei) fixiert.
Hier ein kurzer Ausschnitt mit den Schlussworten von Frau Charlotte Knobloch und Frau Dr. Alexandra Föderl-Schmid:
Hieraus nochmals verschriftlicht: diese Frage von Frau Knobloch:
Ich hoffe sehr, dass nach all diesen Themen, die ja öffentlich sind, die ein Jeder weiss, die jeder in der Schule auch hört, sich doch mal die grossen Gruppierungen dazu aufraffen, sich gegen diesen Antisemitismus zu stellen. Es hat doch keinen Sinn [...] dass die Gewerkschaften, die sicher nicht unsere Gegner sind, auch nicht das tun, was ich eigentlich mir vorgestellt hätte: Dass sie sich, oder jedenfalls die jungen Menschen, dazu anleiten - sich gegen den Antisemitismus auch öffentlich zu stellen.
H.
Im Nachgang zu dieser Veranstaltung kam es zu diesem Gespräch mit Frau Dr. Eva Umlauf [1], wofür ihr auch an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt sei:
I.
Und es kommt - angeregt durch die hier dokumentierten Schlussworte - zu einer erneuten Begegnung mit Frau Knobloch, die sich fast nahtlos an unser Gespräch nach ihrem Vortrag beim Bayerischen Journalisten-Verband vom Juni 2013 anzuschliessen scheint: Leben und Legende
Anstatt eines Interviews kommt es spontan zu einer persönliche Erklärung, die der Autor ihr gegenüber abgegeben hat:
Diese Erklärung wurde, wieder in Berlin, nach und nach auch den anderen Mitgliedern des Vorstands des Deutschen Journallisten-Verbandes Berlin vorgestellt und von diesem in der nachfolgenden hier als PDF dokumentierten Fassung am 9. April 2019 einstimmig angenommen: