Die Berlau, Brecht ... und wir

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 27. August 2022 um 14 Uhr 23 Minutenzum Post-Scriptum

 

Von diesem Ereignis am Vorabend erstmals erfahren am 8. April 2022 durch dieses Rundschreiben an die Mitglieder des VRBB:

BERLAU :: KÖNIGREICH DER GEISTER ist eine VR-Installation und Live-Performance von Raum+Zeit (Althoff / Günther / Kittstein / Mikeska). Ausgestattet mit einer VR-Brille begibt sich jeder Zuschauer alleine auf Ruth Berlaus Spur, kommt ihr und Brecht live wie virtuell sehr nah. Das Kollektiv RAUM+ZEIT erforscht Spielräume des neuen digitalen Mediums in der darstellenden Kunst. Wirklichkeit und Identität, das Selbst und das Andere stehen in Frage. Die Uraufführung ist am 05. Mai 2022, Werkraum, Berliner Ensemble, weitere Vorstellungen bis Anfang Juli 2022. Mit Esther Hausmann, Amelie Willberg, Susanne Wolff sowie Martin Rentzsch, Charlie Schrein (in der VR). 360° Video RAUM+ZEIT | INVR.SPACE GmbH

Die in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre im Brecht-Archiv und am Berliner Ensemble verbrachte Zeit hat zu zahlreichen - wenn auch literarischen - Begegnungen mit der Berlau und Brecht geführt, über die in zahlreichen Zeitschriften- und Buch-Publikation in der DDR als auch in der BRD und darüber hinaus Zeugnis abgelegt wurde [2]. Es gibt auch in dieser Onlinepublikation über achtzig Einträge, in denen von Brecht die Rede ist. In einem von diesen Einträgen kommen er und die Berlau gemeinsam vor [3].

Viele LeserInnen wissen aus früheren Einträgen, dass das Thema der Digitalisierung im Zusammenhang mit dem Thema der "Vierten Wand" immer schon eine bedeutende Rolle gespielt hat. Und das schon zu einem Zeitpunkt, als vielen dieses Thema noch nie in diesem Kontext untergekommen war.

Ein Grund mehr, um 2016 den Verein VRBB zu gründen [4] und seitdem dieses Thema auch über die Grenzen der Region hinaus öffentlich zu vertreten [5].

An diesem Abend kamen diese beiden Themenstränge zusammen: Wenn dieses Ereignis auf den Berliner Bühnen also keine - zunächst schon am Vortag eingestellte - Nachricht wert ist!

Am 15. Januar 1974 steht in der Ost-Berliner Charité ein Krankenbett in Flammen. Die Patientin, die bei dem durch eine Zigarette verursachten Brand ums Leben kommt, ist eine alte dänische Kommunistin: Ruth Berlau. Sie war Bertolt Brechts Geliebte seit dem dänischen Exil. In den USA bringt sie sich das Fotografieren bei. Mit 13 wird sie schwanger. Sie treibt ab. Sie inszeniert Brecht in Leipzig. Mit 23 fährt sie nach Paris und wird für ihre Reportagen bekannt. Die Texte – frei erfunden. Sie inszeniert Brecht in Rotterdam. Heiratet jung einen dänischen Arzt. In Los Angeles bekommt und verliert sie einen Sohn von Brecht. Sie gründet mit 24 ein Theater. Fotografiert Brechts Arbeiten. Erfindet die Modellbücher. Arbeitet mit Brecht am „Kaukasischen Kreidekreis“. Sie unterwirft sich Brechts Gesetzen nicht. Sie soll nach Dänemark zurück. Ihr Lebenshunger ist unstillbar. Brecht stirbt. Berlau bleibt.

Hier die weiteren angesagten Live-Performance mit VR - Termine.

Anstatt an Ende des Tages mit dem Kopf voller Gedanken und der Seele voller Empfindungen zurückzufahren, wurde nach der Premiere die Entscheidung getroffen, unmittelbar nach dieser Theatererfahrung darüber ins Mikrofon zu sprechen, das so Gesagte spontan aufzuzeichnen und anstatt eines Textes an dieser Stelle zu veröffentlichen, was hiermit geschieht:

Was nicht geplant war, das war die Einladung, an dem in dieser Aufzeichnung noch in Abrede gestellten Schlussapplaus als Publikum teilzunehmen, nachdem ebendiese Absicht zuvor schon mit diesem Eintrag ins Gästebuch entsprochen worden war:

So kommt es doch zu einer gemeinsamen Begegnung mit dem Ensemble im Bühnen-Werkraum, die mit einem langen Applaus eingeleitet wurde. Und dann, ebenso spontan unmittelbar vor Beginn der Premierenfeier, zu diesem Gespräch mit dem Regisseur Bernhard Mikeska ...

... und zu dieser Abmod vor Ort:

NOTA:

Ein Besuch der Veranstaltung ist nur mit einem tagesaktuellen Covid-19-Testergebnis möglich. Was das bedeutet, ist für einen Newcomer eine echte Herausforderung: Denn dieses Ergebnis muss ein ’offizielles’ sein. Und die Suche nach einer geeigneten Adresse erwies sich als echt aufwendig: Das "Testcenter Berlin Str. 30" schliesst schon um 15 Uhr, das in der "Bundesalle 186" ist unter der Nummer 01590 1156340 nicht erreichbar, das in der "Brandenburgische 23" unter der Nummer 0176 70662115 ebenfalls nicht und das in der "Joachimsthaler Str. 15" unter der Rufnummer (030) 254 690 69 ebenfalls nicht. In allen Fällen wurde eine Nachricht mit der Bitte um Rückruf hinterlassen. Rückrufe erfolgten in keinem der Fälle.
Gefunden wurde schliesslich die "WeCare Services GmbH", in der Zeit von 7 – 22 Uhr, in der Budapester Str. 50 im BIKINI Center in 10787 Berlin–Charlottenburg, mit einer aktiven Auskunft unter der # (030) 285 996 54. Ein Blick auf die Webseite von BIKINI BERLIN macht aber deutlich, dass dort nur bis 20 Uhr geöffnet ist. Der Versuch, dort die 55796455 anzurufen führt - Sie ahnen es schon - zu keinerlei Reaktion.

P.S.

I.
Im elektronischen Programmankündiger ist - einmal mehr - dieses Brecht-Foto aus den Sitzreihen von Helene Weigels Theater zu sehen. Die herausragende Frage an diesem Abend wird sein, inwieweit es gelingt, dieses Leben mit Brecht aus der Perspektive der Frau Ruth Berlau zu sehen. Hier verkörpert von Monika Bienert:

II.
Am Tag dieser Veröffentlichung wurde in der Sendung "Kultur heute" im Deutschlandfunk diese Besprechung von Eberhard Spreng gesendet: „Berlau – Königreich der Geister“ – Virtual Reality Theater von Raum+Zeit am BE.

III.
Am 23. Mai 2022 wurde der Pressestelle diese Anfrage per Mail zugestellt, aber bis zum Zeitpunkt des nachfolgend zitierten Gesprächs nicht beantwortet:

Hallo und einen guten Tag, „liebe Alle“!
Mein Beitrag (s.u.) hat viel und viel und viel positives Echo ausgelöst.
Und so ist die Idee entstanden, im Nachgang nochmals drei Interviews zu führen.
Unabhängig voneinander mit den drei BERLAU-Protagonistinnen.
Der Fragekanon wäre in etwa derselbe, auch wenn das Ganze eher in eine Gesprächsform eingebettet wäre.
Ist das machbar?
Besten Gruss!
Wolf Siegert

IV.
Am 18. Juli 2022 heisst es: Friedrich-Luft-Preis. Jury gibt Nominierungen für die Spielzeit 2021/22 bekannt.

V.
Am Abend des 24. August 2022 kommt es dann in der Sendung "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur zu diesem Gespräch zwischen Vladimir Balzer und Hans Dieter Heimendahl in: Friedrich-Luft-Preis an das interaktive Stück „Berlau“ [6]:

Anmerkungen

[1Es kommt immer wieder die Frage auf, ob es legitim sei, in dieser nicht-kommerziellen Publikation die Beiträge von MitarbeiterInnen der öffentlich-rechtlichen Sender nicht nur als Link-Verweis zu benennen, sondern auch als Soundfile zu zitieren. Als pars pro toto dieser ad hoc gesetzte Link auf die Webseite des Senders, der nach einer nochmaligen Kontrolle dieses Eintages Ende August 2022 nicht mehr gültig war, sondern nunmehr auf diese URL umgezogen ist: Friedrich-Luft-Preis für „Berlau“. Theater wie noch nie.

[2Bertolt Brecht.
Praxis und Theorie des epischen Theaters.
3 Vorträge in deutscher und chinesischer Sprache im Rahmen des "Tamkang Chair 1983": Brecht, China und das epische Theater; Brecht und Sezuan; Brecht und Deutschland - zweigeteilt.
Taipei: Tamkang University 1984
(Tamkang Lecture Series 52)

Brecht, China und das epische Theater.
in: Deutsche Studien, 18, Tamsui (1984), 38-43 (chinesisch)

Brecht und Sezuan. Der "Gute Mensch" als west-östliche Herausforderung.
in: Deutsche Studien, 18 Tamsui (1984), 44-55 (chinesisch)

Brechts "Tage der Commune".
Herausgegeben von Wolf Siegert.
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983
(suhrkamp taschenbuch materialien Band 2031)

Die Furcht vor der Kommune.
Frankfurt a.M./Bern/Nancy/New York: Peter Lang 1983
(Europäische Hochschulschriften Reihe 1, Band 590)

Die Tage der Kommune - ein Exildrama.
in: W. Siegert (Hrsg.): Brechts Tage der Commune.
Frankfurt a.M.: Suhrkamp (stm 2031) 1983, 312-334

"Die Tage der Commune" in Japan.
Ein Gespräch (mit Tatsuji Iwabuchi).
in: notate, 4 (1982), 9-11.

"Die heilige Johanna vom Fleischmarkt" - aber von Brecht.
(Ein Gespräch mit Tatsuji Iwabuchi und Koreya Senda)
in: notate, 6 (1982), 14-15

How We Digested Bertolt Brecht.
in: A. Tatlow, T.-W. Wong (Editor): Brecht and East Asian Theatre.
Hong Kong University Press, H.K. 1982, 175-185

Welcome to Mahagony!
Brecht in Ost-Asien. Theorie und Praxis.
In: notate, 5 (1981), 6-7
( = notate-Studie Vol. 5).

Der Freiheit wegen, von der man nichts versteht.
(Programmbuch des Schauspielhauses Frankfurt, herausgegeben mit J. Johannsen)
Frankfurt a.M., 1977

[5

[6Es kommt immer wieder die Frage auf, ob es legitim sei, in dieser nicht-kommerziellen Publikation die Beiträge von MitarbeiterInnen der öffentlich-rechtlichen Sender nicht nur als Link-Verweis zu benennen, sondern auch als Soundfile zu zitieren. Als pars pro toto dieser ad hoc gesetzte Link auf die Webseite des Senders, der nach einer nochmaligen Kontrolle dieses Eintages Ende August 2022 nicht mehr gültig war, sondern nunmehr auf diese URL umgezogen ist: Friedrich-Luft-Preis für „Berlau“. Theater wie noch nie.


6816 Zeichen