Reformunwillig? Der ÖRR nach dem rbb-Skandal.
Eine Bestandsaufnahme / Von Sissi Pitzer
Die aktuellen finanziellen Wünsche, die ARD, ZDF und DLF bei der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) anmelden, werden die Diskussionen über Reform und Leistung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks (ÖRR) erneut anfachen. Eine Reihe von Politiker*innen haben sich schon, mehr oder weniger qualifiziert, zu Wort gemeldet. In den Rundfunkanstalten wird auf allen Ebenen debattiert, diskutiert, auch lamentiert. Die Reformfähigkeit des ÖRR wird über die Zukunft dieser über 70jährigen Institution entscheiden. Zeit für eine Bestandaufnahme mit Blick auf die vergangenen zehn Monate.
Das Medienjahr 2022 wurde ab Sommer geprägt vom rbb-Skandal. Und es rückte Fehlverhalten auch in anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ins Blickfeld, insbesondere beim NDR und BR. Das erschütterte Vertrauen in den ÖRR und das zögerliche Verhalten der Politik bei der Reformdebatte hat massive Auswirkungen auf die Zukunft der Sender und somit auch auf Rundfunkfreiheit und Medienvielfalt.
rbb: Die Affäre Schlesinger-Wolf
Dabei ging es zunächst um dienstliche Abendessen in ihrer Privatwohnung, die nicht korrekt abgerechnet worden sein sollen, um einen überdimensionierten Dienstwagen „mit Massagesitzen“, um den Millionen-teuren Umbau der Chefetage und eine Gehaltserhöhung um 16% auf über 300.000 Euro/Jahr. Schnell wurde klar, dass dahinter nicht nur eine Affäre Schlesinger, sondern eine Affäre Schlesinger-Wolf steckt: Der Vorsitzende des rbb-Verwaltungsrates Wolf-Dieter Wolf, Bauunternehmer und auch Aufsichtsratschef der Messe Berlin, hatte teure Beraterverträge für das geplante Digitale Medienhaus vermittelt und auch Schlesingers Ehemann, Gerhard Spörl, ehemals leitender Redakteur beim Spiegel, mit einem lukrativen Beratervertrag für die Messe versorgt.
Weitere Enthüllungen auch anderer Medien folgten, im rbb recherchiert ein eigens eingesetztes internes Investigativteam in eigener Sache. Ans Licht kamen nicht nur Verfehlungen von Intendantin und Verwaltungsratschef, sondern auch von Direktor*innen und leitenden Angestellten, u.a. undurchsichtige Bonus-Zahlungen. Schlesinger, die die Vorwürfe zunächst als Springer-Kampagne gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgetan hatte, trat am 04. August 2022 als ARD-Vorsitzende und drei Tage später als rbb-Intendantin zurück. Wenig später wurde sie durch den Rundfunkrat abberufen – jetzt kämpft sie um Abfindung und Pensionsansprüche. Auch Wolf musste seine Posten bei rbb und Messe nach längerem Zögern räumen, die Vorsitzende des Rundfunkrates trat ebenfalls zurück. Gegen Schlesinger, Wolf und Spörl ermittelt die Berliner Generalstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue und Vorteilsannahme.
Die Folgen für den rbb: ein harter Sparkurs
Anfang September 2022 wurde WDR-Verwaltungsdirektorin Katrin Vernau als rbb-Interims-Intendantin gewählt. Im Laufes des Herbstes mussten alle Direktoren und Direktorinnen sowie der Chefredakteurgehen. Vernau hat ein striktes Sparprogramm angekündigt: Unter ihrer Vorgängerin Schlesinger waren nicht nur die Kosten für den Digital-Neubau explodiert – er wurde inzwischen gestoppt -, sondern auch Gelder aus einer Rücklage verplant worden; außerdem sind Millionen für Abfindungen und Ruhegelder von ehemaligen leitenden Angestellten notwendig.
Der Sparkurs hat massive Auswirkungen auf das Programm und damit auf die Mitarbeitenden vor allem in Redaktion und Technik. Der Unmut in der Belegschaft, der bereits mehrere Sparrunden zugemutet worden sind, ist groß. Ebenso die publizistischen Auswirkungen: Das Regional-TV für Berlin und Brandenburg soll sich auf die Primetime beschränken, Digital- und Online-Angebote des rbb sollen konzentriert werden. Der Sender wird auch das ARD-ZDF-Mittagsmagazin nicht mehr finanzieren und produzieren, was die Beschäftigten heftig kritisieren, da es das einzige öffentlich-rechtliche Nachrichtenangebot sei, das aus dem Osten Deutschlands komme. Insgesamt stehen hunderte Stellen auf dem Spiel.
Der rbb recherchiert nicht nur bis heute intern weiter, er hat auf seiner Website auch eine eigene Rubrik zur Krise im rbb angelegt. „Wir finden nicht, dass man sämtliche Managementfehler und die gesamte Misswirtschaft im RBB an einer einzigen Person festmachen kann,“ resümiert rbb-Investigativreporter Jo Goll in der Süddeutschen Zeitung. Die Auswirkungen der rbb-Skandale auf den gesamten ÖRR sind immens und dauerhaft.
NDR: Schlechtes Klima und Vetternwirtschaft
Es blieb nicht bei Skandalen beim rbb. Beim NDR ging es nicht um Korruption oder Veruntreuung von Geldern, sondern um journalistische Unabhängigkeit und damit das Herzstück von glaubhafter und ausgewogener Berichterstattung, für die der ÖRR stehen soll. Im Landesfunkhaus Kiel herrschte, wie Medien im August 2022 berichteten, „ein Klima der Angst“ vor allem unter den freien Autor*innen. Die Redaktionsleitung habe bereits seit längerem massiv Einfluss auf die Berichterstattung genommen, und zwar zugunsten der CDU innerhalb der in Schleswig-Holstein regierenden Jamaika-Koalition. Duzfreundschaften mit Ministerpräsident und einigen Ministern seien der notwendigen Distanz zwischen Politik und Medien nicht gerade zuträglich.
Zwei leitende Politik-Redakteur*innen wurden daraufhin freigestellt, der Funkhaus-Direktor ging in unbezahlten Urlaub. Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein sowie NDR-Intendant Joachim Knuth leiteten umfassende Prüfungen ein. Das Ergebnis der internen Untersuchung: Es habe in der Kieler Redaktion zwar einzelne redaktionelle Fehlentscheidungen, aber keinen „politischen Filter“ gegeben, Vertrauen nach innen und außen sei zerstört worden. Der Landesrundfunkrat empfiehlt aufgrund eines Gutachtens der Consultingfirma Deloitte einen transparenten Umgang mit Beschwerden, eine besser Führungskultur sowie verbesserte Compliance-Regelungen. Sogar die taz bescheinigte dem NDR in dieser Sache einen vorbildlichen Umgang mit den Vorwürfen und konsequente Aufklärung.
Doch der NDR geriet 2022 nicht nur in Kiel, sondern auch im Landesfunkhaus Hamburg in die Kritik. Deren Direktorin Sabine Rossbach wird Vetternwirtschaft vorgeworfen: Auffällig häufig soll im Regionalprogramm über Themen und Personen berichtet worden sein, die die PR-Firma von Rossbachs Tochter betreut hat. Das Problem soll der Senderspitze seit Jahren bekannt gewesen sein; der Umgangston wird als „ruppig“ und wenig wertschätzend beschrieben. Auch der Ehemann und die zweite Tochter von Rossbach sind im Sender beschäftigt. Die interne Untersuchung brachte keine Belege für Korruption hervor, kritisierte aber wie in Kiel das redaktionelle Klima und mangelndes Vertrauen. Rossbach verlässt ihre Position im NDR vorzeitig im Frühjahr2023.
BR: Kritik an finanziellen Auswüchsen
Im BR sorgten vor allem zwei Themen für negatives Aufsehen: Die Ausstattung von Technikdirektorin Birgit Spanner-Ulmer mit Dienstwagen und Fahrern – und zwar jeweils zwei, auch zur privaten Nutzung. Sowie eine hohe Abfindung für den vorzeitig ausscheidenden Programmdirektor Kultur, Reinhard Scolik, über deren Höhe und Bedingungen sich Sender und der zuständige Verwaltungsrat eisern ausschweigen – denn es sei vertraglich Stillschweigen vereinbart worden.
Scoliks Vertrag war auf Antrag des scheidenden Intendanten, des ehemaligen Regierungssprechers Ulrich Wilhelm, noch vor der Wahl seiner Nachfolgerin verlängert worden. Die neue Intendantin Katja Wildermuth ersetzte ihn Ende 2021 aber wegen unterschiedlicher Programmvorstellungen 33 Monate vor seinem Vertragsende – und sein ausstehendes Gehalt wurde ihm vermutlich mit über 600.000 Euro als Abfindung ausbezahlt. Auch die Technikdirektorin machte nochmals aus finanziellen Gründen Schlagzeilen: Sie hatte – ebenfalls noch von Wilhelm genehmigt – ein Aufsichtsratsmandat bei der Salzgitter AG angenommen, das mit schätzungsweise über 60.000 Euro im Jahr vergütet wird; es läuft 2023 aus.
Vertrauen erschüttert
Hohe finanzielle Ausstattung an der Spitze aller Sender sorgt angesichts der massiven Sparmaßnahmen bei den Öffentlich-Rechtlichen in der journalistischen Belegschaft für viel Unmut. Denn ihre Honorare werden nicht erhöht oder gar gekürzt, Stellen abgebaut oder nicht nachbesetzt. Auch beim Publikum zerstören solche Auswüchse das Vertrauen in den ÖRR – nicht zuletzt die hohen Gehälter der Intendant*innen von teilweise deutlich über 300.000 Euro, also mehr als Bundeskanzler oder Minister*innen verdienen, werden heftig kritisiert. Der Ruf nach einer Deckelung und Orientierung am öffentlichen Dienst wird lauter.
Misswirtschaft und Eingriffe in die Programmgestaltung, wie beim NDR vermutet, sind ebenfalls Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Medien misstrauen, sie diskreditieren oder gar angreifen. Insbesondere Reporter*innen von rbb und BR berichteten im Sommer 2022 davon, dass sie bei Drehs und Interviews draußen von Bürger*innen kritisiert oder gar angepöbelt wurden. Eine zusätzliche Belastung der Pressefreiheit in Deutschland.
Medienpolitik: Was bringt der neue Medienstaatsvertrag?
Und wie reagiert die Politik auf all dieses Skandale? Bereits seit 2016 arbeitet sich die Rundfunkkommission der Länder an einer Strukturreform der Öffentlich-Rechtlichen, insbesondere der ARD, ab. Anfang 2022 lag ein Vorschlag für den 4. Medienänderungsstaatsvertrag (MStV)auf dem Tisch. Als der Skandal beim rbb immer weitere Kreise zog, Ungereimtheiten bei NDR und BR ans Licht kamen – in anderen Sendern wurde vielleicht nicht gründlich genug gesucht –, nahm die medienpolitische Diskussion noch einmal Fahrt auf. Aber am Ende entschieden sich Rundfunkkommission und Ministerpräsident*innen, den Staatsvertrag nicht zur Disposition zu stellen und Missstände nicht mit dem Besen auszukehren, sondern nur an einigen Stellen nachzujustieren, z.B. mit einheitlichen Compliance-Regelungen. Nicht zu vergessen: Mehrere Ministerpräsident*innen und Dutzende Staatssekretär*innen und Minister*innen sitzen selber in den Rundfunk-Gremien.
Im neuem MStV,der am 01. Juli 2023 in Kraft treten soll – so denn alle 16 Landesparlamente zugestimmt haben – wird insbesondere die Rolle der Aufsichtsgremien gestärkt. Allerdings hatten gerade Rundfunk- und Verwaltungsrat in Sachen rbb versagt. Viele Vertreter*innen in Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräten sind zumindest indirekt parteipolitisch gebunden, manche gesellschaftliche Gruppen nutzen ihre Plätze für verdiente, aber nicht mehr aktive Mitglieder. Medienpolitischer Sachverstand ist eher selten, nur Parteien und große Verbände können denjenigen, die sie ehrenamtlich vertreten, fachlich zuarbeiten. Diversität ist kaum verwirklicht, Vertreter der Zivilgesellschaft sind unterrepräsentiert, Publikumsvertreter nicht vorgesehen. Dennoch sollen diese Gremien künftig Qualitätsstandards fürs Programm aufstellen und die Wirtschaftlichkeit der Sender überwachen – viele sehen darin eine Überforderung. Zumal die Nähe zwischen Gremienbüros und Senderleitung in manchen Häusern sehr eng ist – obwohl die einen doch die anderen kontrollieren sollen.
Reformbemühungen: Weniger Geld, mehr public value?
Um die Finanzierung des ÖRR ging es in den medienpolitischen Runden für den neuen MStV übrigens nicht – dazu gibt es das KEF-Verfahren, das gerade startet. Was die neuen Regeln für die Berichterstattung und damit die Redakteure und Reporterinnen, für Sendungen und Online-Angebote bedeuten, diese Frage wird inzwischen jenseits der Medienpolitik in den Sendern intern diskutiert. Denn dass der Rundfunk-Beitrag 2025 angesichts hoher Belastungen der Beitragszahlenden durch die Energiekrise steigt, ist nicht zu erwarten. Da Inflation, gestiegene Energie- und Produktionskosten und höhere Tarifabschlüsse die Sender aber genauso treffen, muss zwangsläufig gespart werden.
Der neue ARD-Vorsitzende Kai Gniffke (SWR) hat angekündigt, dass Hörfunkwellen zusammengelegt werden sollen und ein linearer TV-Kanal ins Digitale überführt wird. Die dritten Programme, die überwiegend aus der Wiederholung von „Tatort“ und anderen Serien bestehen, könnten gemeinsam veranstaltet und mit großzügigen Regionalfenstern versehen werden – ein Vorschlag, der weder neu noch originell ist, bislang aber vehement abgelehnt wurde.
BR-Intendantin Wildermuth hatte anlässlich der Medientage München im Oktober 2022 Poollösungen innerhalb der ARD gefordert: „"Heizungstipps, Hüftgelenksoperationen, Literaturkritik, Royals – all das kann perspektivisch in Kompetenzzentren gebündelt werden." Und die sollen jetzt auch kommen, zunächst für Hörspiel, Klima, Gesundheit und Verbraucher. Mit dem ZDF soll zumindest in der Mediathek stärker zusammengearbeitet werden – auch das eine alte Forderung. Dem Publikum ist die öffentlich-rechtliche Trennung kaum mehr zu vermitteln.
Was wird aus der ARD?
Doch all das wird nicht genügend einsparen. Weitergehende Vorschläge reichen von der Beschränkung der ARD auf regionales und des ZDF auf nationales Programm bis zur Abschaffung kleiner Sender wie Saarländischer Rundfunk und Radio Bremen. Bei all dem aber ist die Politik am Zug, denn die Bundesländer definieren den Auftrag des ÖRR – und müssen dafür sorgen, dass dieser Auftrag auch finanziert wird. Wenn aber aus standort- und parteipolitischen Gründen möglichst nichts gestrichen werden soll, bleibt für die Sender die Quadratur des Kreises.
Zukunftsweisende Ideen, wie mehr public value umgesetzt werden könnten, z.B. durch Interaktion mit dem Publikum oder eine öffentlich-rechtliche Plattform, die über die Angebote der Sender hinausgeht, indem sie Museen oder Universitäten einbezieht, werden noch viel zu zaghaft diskutiert. Man könnte auch auf die Idee kommen, das Knowhow der eigenen Beschäftigten stärker einzubeziehen. ARD-Redakteur Björn Staschen, früher beim NDR für Medien zuständig, wundert sich in einem Gastbeitrag für die SZ, wie man bei all den Diskussion die eigenen Mitarbeitenden und ihre Ideen vergessen könne. Eine davon, so Staschen: „Die Öffentlich-Rechtlichen sollten die versorgen, die sich den Zugang zu Paywalls und bezahlten Newslettern nicht mehr leisten können, und verhindern, dass die informierte Gesellschaft an der Wohlstandslinie zerfällt.“
Noch ein Gremium: Der Zukunftsrat
„Und wenn du nicht mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis“ – nach dieser Devise hat die Rundfunkkommission der Länder im März 2023 einen Zukunftsrat aus der Taufe gehoben. Schon bis Herbst sollen seine acht Mitglieder (besetzt zu je vier von Union und SPD) Vorschläge für eine langfristige Perspektive und mehr Akzeptanz des ÖRR vorlegen. Was soll das bringen? Zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland ist alles schon gesagt, und zwar mehrfach, von vielen Kommissionen und mal mehr, mal weniger klugen Einzelpersonen. Eine qualifizierte Bürgerbeteiligung ist wieder einmal nicht vorgesehen. Im Zukunftsrat finden sich weder Personen unter 30 noch solche mit Migrationsgeschichte oder Mitarbeitende der Sender, moniert Leonhard Dobusch, der – Funfact – als Österreicher erst im Fernseh- und jetzt im Verwaltungsrat des ZDF sitzt und offen und kritisch aus diesen Gremien berichtet. Die Erwartungen an dieses neue Gremium könnten kaum niedriger sein. Keine guten Aussichten für den ÖRR in Deutschland.