Coy presents: Cybernetics deciphered by Kittler

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 7. Februar 2007 um 12 Uhr 45 Minuten

 

Unter diesem "DaybyDay"-Titel [1] wurde als PREVIEW die sogenannte Transmediale-Keynote 3 angekündigt. Die im Programmheft unter der Überschrift "Die Endlichkeit der Algorithmen" ausgewiesen war.

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Moderator: Wolfgang Coy [de] [2]
Teilnehmer: Friedrich Kittler [de]

Kittler ist Inhaber des Lehrstuhls für Ästhetik und Geschichte der Medien der Humboldt Universität Berlin. In seinem Votrag stellt er seine aktuellen Forschungen zu Maschinen-, Medien- und Musiktheorie vor und fragt nach der Bedeutung von Reversibilität und Endlosschleife - eine Schleife, die nach jeder Abarbeitung erneut prozessiert wird, sofern äußere Einflüsse dies nicht unterbinden. Welche Macht verbirgt sich in dem Wissen, das in Computern und ihren Algorithmen steckt?

Im Verlauf des Wochenendes entstand der folgende Text.

I.

Ein Philosoph und ein Mathematiker sitzen beisammen.
Der Mathematiker sagt: „Die Zahl „Pi“ ist unendlich.“
Und der Philosoph antwortet und sagt: „Und Du bist endlich.“

II.

Die „transmediale“ ist dort angekommen, wo wir, die wir sie einst ins Leben gerufen haben uns immer zu seien gewünscht haben. Im Mittelpunkt des Lebens. Und am Scheitelpunkt jenre Fragen, die sogar noch über das Leben und Tod hinausgehen wollen.

Was für ein weiter Weg, um dort angekommen zu sein.

Aber „man“ ist angekommen, weil „es“ angekommen ist: Das, was keiner erklären und doch jeder will. Das, wovon jeder wissen will, wie es erklärt werden könne und was dann doch keinem zu gelingen scheint. Obwohl „es“ im Raum steht: Das Geheimnis der Kunst.

Also werden sie eingeladen. Als Ultima Ratio. Zwei Denk-Künstler, die sich dieses Geheimnisses soweit angenähert haben, dass sie - nach mannigfachen Kämpfen und Konflikten - zu Staatsdienern und Beamten auserkoren worden sind, die sich die Freiheit des Denkens ein Leben lang leisten können sollen. Ihr ganzes Leben entlang.

Was für eine Freiheit. Und was für eine Verpflichtung.

III.

Jetzt sitzen diese beiden Herren Professoren vor einem Saal von zumeist eher jüngeren Leuten. Vor ihnen sitzen sie und hinter sitzen sie - ihnen auch im Rücken.

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Welche Neugier, welche Wissbegier schlägt den beiden in einer zunächst vor Neugier stummen - und nach dem Vortrag fast verstummten - Erwartungshaltung entgegen. Dort, auf dem Podium, dort wo vor mehr als einem ¼ Jahrhundert eine der ersten Veranstaltungen zum Thema Kunst und Medien mit Mark Boyle in eigener Regie inszeniert worden war, dort sitzen sie nun, die Auguren des letzten Jahrhunderts, die all das Besagte aus eigenem Erleben und in eigener - ja: Programmier - Praxis mit-erlebt haben.

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Sie sind brilliant. Ihre Gedankensplitter sind frisch angeschliffen und doch zugleich über die Erfahrung der Jahre blank poliert. Ihre Bilder sind so gross und artig, dass sie jeweils nur als Teile eines Puzzles vorgeführt werden brauchen und doch diese Teile, jedes einzelne Stück schon für sich selbst als eigenständige Wahrheit wahr-genommen wird.

Das ist genial: Und doch tödlich für die Kommunikation mit dem Saal. Es kommt nämlich dazu, dass das Publikum jedes dieser einzelnen Splitter, dieser Puzzlestücke, als pars pro toto lesen und verstehen will. Und in diesem kollektiven Bemühen ist man sogleich dabei, sich die Sicht auf das Ganze, das nur durch die Summe der Teile dargestellt werden könnte, zu versperren.

Der Durchblick, der von der Bühne anhand vieler Facetten exemplarisch aus immer wieder neuen Perspektiven demonstriert wird, wird durch die Kraft der Abbilder, die zu diesem Zwecke zitiert werden, gleichsam wieder verstellt.

All die auf dem Podium vorgetragenen Referenzen sind Teil eines Ganzen, von Entitäten, die vielen im Publikum weder als gedankliche noch als gelebte Referenz zur eigenen Disposition stehen. Vorbewusst vielleicht, aber nicht schon soweit aus dem eigenen Er-Leben heraus verfremdet, dass es selbst schon als eigenes Puzzlestückchen zur Diskussion gestellt werden könnte.

Während das Publikum nach Tools sucht, die geeignet sein könnten, einen Zugang zu dem aufzuschliessen, was jede(r) von ihnen als Schlüssel zu seiner (ihrer) ganz persönlichen ganzheitlichen Erfahrung verwenden könnte, gehen die Professoren auf dem Podium bereits von solchen im Publikum verankerten Konglomeraten einer gesamtheitlichen Weltschau aus, nehmen diese unausgesprochen zum Mass der Dinge und sind damit „un-angemessen“.

Ohne es zu ahnen, verweigern sie sich damit der Projektionen, derer sie sich auf diesem Podium ausgesetzt haben. Und ohne es zu wollen, entfernen sie sich damit von ihrem Publikum. Und demonstrieren doch zugleich, dass sie aus gutem Grund auf diesem Podium sitzen.

IV.

Wir wissen, sagt der Philosoph, dass wir endlich sind. Und von dem Universum wissen wir nicht einmal, ob es unendlich ist oder nicht.
Und weiter: Wir wissen nicht, was „embedded controller“ machen. Im Auto bekommen wir von ihnen nichts mit. Und im Irak-Krieg bekommen sie nichts mit.
Und weiter: dass in Zukunft aus jedem GI seinen eigener Laptop gemacht werden wird, liegt in der Logik dieser Entwicklung.

Wer solche Sätze sagt, redet in Formeln die sie wie ein Delta-Tangens-Zeichen inkubiert sind: sie entfalten in ihrem Zusammenhang eine geradezu abstrakte Kette von Beispielen, die in sich logisch und nachvollziehbar sind, und die doch in ihrer Abfolge einen Grad von Abstraktion erreichen, der nur noch für den oder diejenige zu verstehen ist, der oder die die Rätsel dieser Welt zwar nicht als gelöst betrachtet, aber sich persönlich davon entfernt hat, sie als eine Beunruhigung der eigenen Existenz be-fürchten zu müssen.

Nach Aussage des Referenten habe man ihm die Aufgabe zur Beantwortung vorgelegt, eine Aussage zu der Frage zu verfertigen, ob es für die Mathematik und die „Algorythmik“ eines Gottes bedarf oder nicht.

Wie vermessen, eine solche Frage zu stellen und wie mutig, sie beantworten zu wollen.

Die „trans-mediale“ ist im wahrsten Sinne des Wortes nach 20 Jahren an die Grenzen der Medien-Kunst gestoßen. Sie sucht nach solchen Grenzerfahrungen, die jenseits all der in den vorgeführten und ausgestellten Medien allgegenwärtig vorgeführten Grenz-Erfahrungen schon verinnerlicht sind und als solche augestellt werden. Die Vermittler der Macher sind sich selbst nicht mehr genug. Sie suchen nach einer Referenzierung all dieser durch die Auswahl angeeigneten exemplarischen Beispiele und führt den Referenten in die Versuchung, diese anbieten zu wollen. Sie haben ihr Latein gelernt und stehen sind jetzt am Ende desselben.

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Er, der Philosoph versucht sich als PI-losph. Er bemüht sich um Antworten auf Fragen, die - so gesehen - nicht die des Publikums sondern die der Kurtoren sind. Er bezieht sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf seinen eigenen Erfahrungskontext. So wie es sich anhört, war ihm keine Gelegenheit gegeben worden, sich wirklich anschauen und erleben zu können, was ihm durch das Brennglas der „transmediale“ in konzentrierter Form heute an brennenden Fragen hätte vorgelegt werden können.

Anstatt in einem klassischen Dialog mit vielleicht 15 Personen im gedanklichen Frage- Antwortspiel Axiome und Theoreme zu entwickeln und wieder verwerfen zu können wir er der Mann hier als Meisterdenker, als zweiter Michel Foucault vorgeführt. In dem Format eines solchen Auto-Dialoges verhaftet kann dieser unter diesen Voraussetzungen nur in Schönheit scheitern.

Aber wer will da angesichts dieser Malaise den ersten Stein werfen [3] Sitzt doch jeder in seinem eigenen Glashaus [4]. Und so bleibt das deutsch sprechende Publikum weitgehend stumm bis schliesslich ein Teilnehmer zu einer mitfühlenden und zugleich das Gespräch abschliessenden Sentenz über das Hören von Bachsentenzen beim Fahrradfahren ansetzt.

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Auch Kittlers Auto-Pilot, der Mathematiker, kann ihm da nicht wirklich helfen. Er ist wie der Bordfunker, der sich von der Bühne aus dem Inneren der Zahl PI mit immer wieder mit neuen „Wasserstandsmeldungen“ in die Präsentation einbringt und eben doch nur umso deutlicher werden lässt, dass es für die Abfolge der von ihn genannten Zeichenfolgen keine einzige Regel gibt, nichts, an dem „man“ sich festhalten könnte, nichts, das das „es“ veranlassen könnte, seinen Schleier auch nur einen Stück weit zu lüften.

Und so bleibt es bei Sätzen die „nichts“ sagen als die Wahrheit:
 Der Mathematiker: „Die Kreiszahl „Pi“ (π) beschreibt als konstante Grösse das Verhältnis des Umfangs eines Kreises zu seinem Durchmesser. Sie ist unendlich lang und kann daher nur durch eine nicht absehbare beschreibende Zahl dargestellt werden. Doch ist sie mittels einer Summenformel berechenbar.
 Der Philosoph: „Die Aufgabe der Kunst ist es, das Ewige im Endlichen zu zeigen.“

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PS.

A.
Der hier jetzt vorgelegte Text hat eine mehrfache Metamorphose durchgemacht.
 Die erste Version entstand mehr oder weniger unmittelbar nach der Veranstaltung und stand vor allem unter dem Eindruck einer gewaltigen An-Spannung zwischen dem Saal und dem Podium, die trotz allfälligen Bemühens auf beiden Seiten, nicht wirklich hatte gelöst werden können.
 Die zweite Version war die schönste. Sie entstand nach einem längeren Gespräch mit dem Referenten das so sehr auch ins Persönliche ging - „Pistole oder Professur“ - dass es eine besonders schwere wie reizvolle Aufgabe war, die so gewonnen Einsichten hier vorzutragen, ohne damit die grundsätzlich Parameter sowohl dieser Publikationsreihe als auch des Rechtes auf die Unantastbarkeit der eigenen Persönlichkeit zu verletzten.
 Die dritte, jetzt publizierte Version ist aus der Not geboren worden, dass nach einem Rechnerabsturz die zweite und schwierigste Hälfte der zuvor verfassten zweiten Version dieses Textes nicht mehr zur Verfügung stand.
Die Entscheidung, diese dennoch zu veröffentlichen war nach dieser Enttäuschung ebenso kräftezehrend wie die Willenskraft, derer es bedurfte, noch einmal mal mit dem Schreiben dieser dritten Version zu beginnen.
Denn es wurde alsbald erschreckend deutlich, dass ein Text von der Qualität der zuvor zerstörten zweiten Version nur auf einem Terrain jenseits des reinen Intellekts hatte verfasst werden können und dass die daraus erwachsene meta-schriftliche Gestalt nicht noch einmal wiederhergestellt werden kann.

B.

Während des Schreibens - und vor allem beim Lesen der zweiten Version - kam das Gefühl auf, inmitten dieser entstehenden Zeilen ein Spur gelegt zu haben, die einen wie der Faden der Ariadne nicht nur durch das Zahlengewirr von PI führt, sondern zu all den Codices, mittels derere die grossen Werke dieser Welt entdeckbar und vermittelbar gemacht werden können. Das mag objektiv so unglaublich klingen wie es will und hat doch den Anschein in der eigenen Wahr-nehmung auch wirklich wahr zu sein.

Es war, als wenn sich inmitten dieser Sentenzen ein Wirklichkeit gewordenen Traum entfaltet hatte: vermittels und zugleich jenseits der Determinierung durch die Sprache.

C.

Der Einspruch ist unüberhörbar: Den Absturz des Rechners nunmehr als Gottesbeweis in dem Sinne apostrophieren zu wollen, dass sich hier eine höhere Gewalt dem widersetzt habe, dass der von ihr gelüftete Schleier auch anderen einen Einblick hätte gewähren dürfen, grenze an Vermessenheit.

Und doch ist diese ganz und gar persönliche Erfahrung alles andere als eine rein individuelle Referenz. Und wird daher auch an dieser Stelle nicht unter dem Mantel des „Privaten“ verhüllt, sondern in dieser hier gewählten Form so vorgetragen.

Es war, als wenn die eigene Beschäftigung mit der dem Referenten gestellte vermessene Aufgabe nach der Veranstaltung zu einem Ergebnis geführt hat, durch das sich die im Saal verspürte Spannung zumindest subjektiv hat aufheben lassen.

Diese Erfahrung von etwas Aussergwöhnlichem und doch durch das eigene Schaffen Generiertem wurde im Verlauf dieses Prozesse - ganz im Sinne des Vorgetragenen - durch die Mittel der Sprache determiniert und sodann durch die unzureichenden Mittel des Betriebssystems des Aufschreibegerätes sogleich doppelt terminiert.

Dieses erlebt zu haben war eine aufregende Nachlese des Gehörten und des darin verborgenen Unerhörten. Es war ebenso bitter, wie wahr. Aber die Erfahrung solcher Wahrheit verbittert nicht. Sie macht weise.

D.

Gustav Mahler beendet die Strophen des Liedes von der Erde in dem er den vorgegebenen Texten aus „Die chinesische Flöte“ zum Ende die folgenden eigenen Zeilen hinzufügt:

Die liebe Erde allüberall blüht auf im Lenz und grünt
Aufs neu! Allüberall und ewig blauen licht die Fernen!
Ewig... Ewig... Ewig... Ewig...“

Und Bertolt Brecht analysierte, verschriftlichte und dramatisierte die Unmöglichkeit des Menschen gut sein zu können. In seinem Kunst-Werk führt er auf seinem Theater-Podium vor, was ihm selber als Mitbürger und Vordenker nicht gelungen ist. In diesem Sinne ist bleibt der gute Mensch von Sezuan „unfinished“ - aber eben nicht ohne die Aufforderung des Dichters: „do it yourself“!

Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!

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Anmerkungen

[1Def: Cybernetics

[2Einen Rückblick auf Wolfgang Coys Ausführungen im Zusammenhang mit einem ähnlich gelagerten Thema finden sich im Verlauf eines Eintrages vom 19. Juli 2006 NMI_2006 (I)

[3Eine Formulierung mit der angespielt wird auf den fest eingemauerten MICHEL FOUCAULT Stein von Tom Fecht im Eingangsbereich der Bundeskunsthalle in Bonn.

[4Und sei es eines von jener Art, wie es für die nächste Dokumenta errichtet und dann wieder abgebaut werden soll -sic!


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