Reise nach "Digitalien" (2)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 23 Uhr 11 Minuten

 

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Auch dieser erste Bericht von dern Anreise und der "Ansiedlung" im Hotel ist ein "nitty-gritty-report" und mag von der-/demjenigen überschlagen werden, die/der fragt: "where is the meat".

Vor allem mag es nun mehr als überflüssig erscheinen, wenn erneut von dem Versage der Dienstleistungen der Firma AVIS die Rede sein mag oder den Leuten an der Hotelrezeption, denen das Geldzählen wichtiger ist als die Betreueung des Gastes.

Aber wer diesen Text dennoch lesen mag, wird vielleicht die Erkenntnis mögen, dass einem mitgeteilt wird, dass auch hinter diesen Erfahrungen immer noch andere Dimensionen liegen, die es erst - und immer wieder neu - zu entdecken gilt.

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Ein Kleinigkeit. Wohl war. Und doch symptomatisch. Wenn schon die Servicekraft am AVIS-Schalter morgens um drei Uhr erklärt, hier in Israel sei es nicht so wie in den USA, auch wenn man gerne so tun würde als ob. Nein, es ginge nicht, dass das angeblich weltweite Versprechen ohne einen neuen Vertrag in drei Minuten den Wagenschlüssel in der Hand zu halten, eingehalten werden könne. Israel sei eben anders. Und was hier zählen würde, das sei das Geld.

 Nur so viel zum Thema AVIS. Das - mit einem Entschuldigungs-Upgrade-Voucher - bereitgestellte Auto war zwar auch klein, aber recht neu. Allein: schon auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt fing das kleine Ding an, total zu nerven. Es ertönte das fortwährende Piepen eines Warnsignals, das behauptet, dass der Fahrer seinen Sitzgurt nicht angeschlossen habe. Was für ein Irrtum! Und vor allem einer, dem man nicht so einfach widersprechen kann.

 Auch die Aussagen, die bei den Anrufen aus Berlin vom Hotel gemacht wurden, stellten sich als - sagen wir mal - "so nicht zutreffend" heraus.
In der Lobby würde es einen kostenfreien W-LAN-Zugang geben, von wo man sich aus seine E-Mails abrufen könne.
Dort angekommen, stellt sich aber dieser Ort als ungeeignet heraus. In der Lobbe auf der Empfangsebene ist die Nutzung nur gegen eine Tagesgebühr möglich.
Und in der Executive Lounge ím 18. Stock gibt es zwar einen Zugang für den Gast, aber keinen Gastzugang für das W-LAN. Da aber keiner der Service-Kräfte wirklich versteht, was das eigene Anliegen ist. wird schliesslich ein eigenes mitgebrachtes LAN-Kabel an eine der im Computer-Corner [1] befindlichen Buchsen angeschlossen. Wenn auch - auch nach nachhaltigen Konfigurationsversuchen - ohne Erfolg.
Schliesslich wird das Kabel mit dem für den Recher vor Ort installierten DHCP-Zugangskabel ausgetausch. Und jetzt wird sofort eine Verbindung hergestellt und die Arbeit kann beginnen.

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Was zu lernen ist in diesem Land ist letztendlich eine einfache Lektion, die doch so schwer ist umzusetzen: "sich regen bringt segen". Und: sich nicht aufzuregen hilft zu siegen. Und Vorteile nutzen und verteidigen ist besser als sich mit dem Hinweis auf seine Vorteile verteidigen zu müssen.

Der uns an diesem Punkt weitaus geläufigere Satz: "Angriff ist besser als Verteidigung" will einem hier nicht so richtig über die Lippen - respektive in die Finger - kommen. Denn man kann wirklich nicht sagen, dass die Leute hier direkt agressiv wirken. Es ist vielmehr eine Art von hoher Kunst des Beobachtens und beobachtet werdens. Und sobald festgestellt wird, dass ein wichtiges Leitmotiv des eigenen Alltags oder gar der kollektiven Existenz bedroht werden könnte, ist bereits - wie aus dem Nichts - eine beeindruckende Drohkulisse aufgebaut.

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Da das Auto nicht gefahren und erst am Freitag gegen ein anderes ausgetausch werden kann, und da es gelungen ist, sich mit einem stabilen Bitstrom in das Hotelnetz einzuschalten, steht fest, dass diese ersten Tag hier einen weitaus anderen Verlauf nehmen werden, als zunächst in Aussicht genommen. Nicht das Auto und nicht die damit angefahrenen Zeil-Orte geraten in den Mittelpunkt der eigenen Aufmerksameit, sondern die Arbeit selber, die hier im Hotel verrichtet werden kann.

Vielleicht ist es schon "krank", dass man an seinem Reisezielt nichts besseres zu tun weiss, als seine im Büro aufgenommene Arbeit an anderen Orten fortzusetzen. Ist das wirklich die neue Qualität des "always on"?

Ein interessanter Gedanke schliesst sich hier an: das Netz trägt nicht nur zur Ausweitung des Blicks auf neue Horizonte in und über die Welt bei, sondern auch zu einer zunehmenden Re-regionalisierung, zu einem retrograden Betrachten und Tun, vielleicht sogar zu einer regressiven Haltung mit der man von Ausserhalb umso mehr an das anzuknüpfen bestrebt ist, was einen aus seinem eigenen Umfeld bereits geprägt hat - und jetzt festhält - ja, an dem man sich festhält?

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Ja, Reisen ist immer auch ein Moment, der mit Abfahren und Ankommen zu tun hat. Aber woanders hinzureisen bedeutet immer auch die Chance, ein neues Stück weit bei sich selber anzukommen.

Aber auch diese weiss Gott nicht neue Erfahrung erhält in der Zeit des Internets eine neue Bedeutung - vielleicht sogar eine neue Qualität: Hier im Hotel wird einem vor dem Fenster alles vorgeführt, was einem schon von anderen Reisen wohl bekannt ist: die Wellen des Meeres, ja selbst die Vorbereitungen für eine neue Hochzeit, so wie man sie selber gerade vor einem Monat hat erleben können.

Man ist Zaun-Gast. Aber das eigentliche Denken und Erleben verläuft eben nicht nur durch die Fensterscheiben des in der jetzt anzueignenden Fremde besuchten Hotels, sondern immer auch auf der "Matt-Scheibe" des vor einem aufgebauten Rechners. Im 90 Grad Winkel kommen vor einem die auf den Tasten herumflirrenden Finger zum Einsatz während die Augen mit dem Observieren des Bildschirms beschäftigt sind. Und so kommt es zu einer neuen Einheit von Kopf und Hand.

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Diese Abwesenheit von dem gewohnten Anwesen bei gleichzeitiger zeitlicher Bewohnung eines angemieteten Anwesens ist eine Abenteuer ganz eigener, vielleicht geradezu intimer Art. Hier, wo man die Möglichkeit hätte, vieles zu unternehmen und in eine einem fremde Welt herumzuschweifen, wird einem klar, wie viel Unerledigtes man noch auf dem Weg hierher in die Fremde mitgenommen hat. Und, dass diese hier mögliche Entfremdung dieser noch zu bewältigenden Aufgaben aus dem gewohnten Arbeitsumfeld zur Folge hat, sie aus einem anderen Sichtwinkel zu betrachten und dann auch anzugehen.

So ärgerlich die Erfahrungen mit einem neuen, nicht funktionierenden viertürigen Kleinwagen asiatischer Provenienz auch sind, so ärgerlich zu sehen, dass dem Personal das Geld der Gäste wichtiger als der Gast selber, so haben doch all diese damit verbundenen kleinen Elemente der Wahrnehmung auch ihr "Gutes". Da ist der AVIS-Mitarbeiter, der im benachbarten David Interconti die Glastüre nochmals aufschliesst, obwohl die Bürozeit schon abgelaufen ist. [2] Und da ist der Nachtportier, der - nachdem er zunächst hat herbeigerufen werden müssen - einem ganz freundlich sagt, man solle doch morgens um 4 Uhr mal das Denken und Planen einstellen, den Wagen einfach um die Ecke vor der Tür kostenfrei abstellen und sich eine Mütze Schlaf gönnen.

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Vieleicht ist der Mensch nicht gut. Aber man sollte zumindest dazu bereit sein, wahrnehmen zu können, wenn Menschen sich darum bemühen, dem eigenen Selbst als ein guter Mensch begegnen zu wollen. [3]

WS.

Anmerkungen

[1"Dear Guest.
Please allow us to serve all guests, by restricting the use of the computer to 15 minutes
."
So der Wortlaut des am Arbeitstisch aufgestellten - immerhin zweisprachigen - Schildes.

[2Am Folgetag aber war inmitten der Bürozeit eben dieses geschlossen. Das Schild "I’ll be back soon" war da auch nicht wirklich hilfreich. Und als wieder aufgeschlossen wird, kommen die beiden Mitarbeiter gleichzeitig von ihrer Pause zurück, anstatt dass sich nacheinander das Büro verlassen hätten.
Und als der Wagen getauscht und im Parkhaus vorgeführt wird, ist das neue Modell kein Upgrade, sondern ein Downgrade...

[3Musste man erst erneut nach Israel gefahren sein, um einen solchen Satz aufschreiben zu können?


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