"SEW, SPD, SAP". Das GRIPS kommt - in die Jahre?!

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 15. März 2004 um 08 Uhr 29 Minuten

 

Die Schauspieler lassen es gut angehen. Egal, ob gute Zeiten oder schlechte Zeiten. Im GRIPS-Theater verleben sie ihre Zeit noch einmal rückwärts. Sie beginnen als die jugendlichen Helden des Jahres 1967 und beginnen - selbst schon älter geworden - sich auf alt aufzuschminken, je näher sie an die Jetzt-Zeit des Jahres 2004 herankommen.

Am 11. März war die Premiere der Neufassung des 1980 uraufgeführten Theaterstückes: "Eine linke Geschichte" von Volker Ludwig und Detlef Michel.
In der ganz und gar ausverkauften zweiten Aufführung vom 13. März - man sagt ja oft, die zweite sei die Schwerste - ist aber schon der Alltag der fröhlichen Ges(ch)ichts-Wissenschaften im Theatergeviert wieder eingekehrt. Man spielt das Stück, mit dem Publikum und sich selber, um sich die Unerträglichkeit des Seins von damals bis heute als Zitat und Zeitzeuge vorführen zu können.

Da der klugen Worte zu dem Stück, seinen Urhebern und Protagonisten schon genug gesagt und geschrieben wurden, hier nur einige wenige Minimalia als Anreiz, selber noch einmal das GRIPS THEATER in Berlin aufzusuchen, immer noch direkt über dem U-Bahn-Bahnsteig am Hansaplatz:

 es gibt Momente, da scheint selbst guter Humor nicht mehr auszureichen, um die Unverträglichkeit der Verhältnisse zu beschreiben. Besonders im neuen Schlussbild - die Jahreszahl "2004" wird im Gegensatz zu allen voran gegangenen in rotem Lichte an die Theaterrückwand projiziert. Dieses ist uns so unendlich nah im Hier und Jetzt, dass zum Zwecke der Verfremdung selbst der Griff in die Klamottenkiste nicht verschmäht wird.
Der zum ordentlichen Professor aufgestiegene Johannes muss von seiner neuen Freundin erfahren, dass sie von ihm nach dem ersten noch drei weitere Kinder von ihm will und davon ausgeht, dass er seine berliner Stadtwohnung nun endgültig zu Gunsten der Neuen Heimat in der Uckermark aufgeben wird. _ Und der alte chinesische Freund aus der Kaderschule kommt im grossen Wagen mit Buttler [Preisfrage: was ist sein Name?] und einer jahrtausende alten Kriegerstatue als Gastgeschenk und erklärt die Uckermark zum neuen Mallorca der Chinesischen Bevölkerung

 und es gibt Augenblicke, in denen auch die Unerträglichkeiten der Welt von heute in die Szenen von "damals" als kleines intimes Aperçu mit eingeblendet werden, so ganz nebenbei und doch unüberhörbar. Da setzt sich der Arbeiter aller Arbeiter mit Namen Willi an den Stammtisch der "Viererbande" vom Reichskabarett und beginnt in seinem den Anwesenden sattsam bekannten Reden die Verhältnisse soweit miteinander zu verdrehen, dass sich schliesslich in seiner Aufzählung der politisch prägenden Parteien neben der SPD und die SED auch die "SAP" als allegorische Alliteration mit einreihen darf

 und es gibt jenen Moment nach dem Bergräbnis eben dieses Arbeiterkumpels im berliner Ku-Damm-Café, in dem sich alle vesammeln. Zuallererste all jene, die nicht am Begräbnis teilgenommen haben. Dann kommt es zum Einzug der wenigen Aufrechten, die auch wirklich bei der Beerdigung teilgenommen haben. Alle in Schwarz im Gänsemarsch und allen voran mit einem einzigen lauten Schluchzer die Pianistin Bettina Koch. Sie legt aber auch alles, was sie hat, in diesen kleinen Moment, chargiert und fällt doch nicht aus der Rolle. Kaum im Café angekommen, muss sie sich aber schon wieder ans Piano setzen und alsbald erneut in die Tasten schlagen, um Konstantin Weckers "Willi" zu intonieren.
Schade nur, dass sie beim Schlussapplaus nicht mehr mit auf die Bühne kam.

Summa Summarum: Wenn das Stück als unendliche Geschichte noch weiter im Spielplan bleibt, könnte ich da nicht in jenem schwarzen Geviert aus Anlaß der eigenen Totenfeier eine "geschlossen Vorstellung" für meine Trauergäste und Freunde arrangieren lassen?!

WS.

PS. Nicht zu vergessen: Albert Einstein hätte am 14. März seinen einhundertfünundzwanzigsten Geburtstag feiern können. Er, der von TIME als die Persönlchkeit des Jahrhunderts ausgerufen wurde:
Person of the Century: Albert Einstein.
He was the pre-eminent scientist in a century dominated by science. The touchstones of the era - the Bomb, the Big Bang, quantum physics and electronics - all bear his imprint
By FREDERIC GOLDEN
http://www.time.com/time/time100/po...


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