"Performersion" (II)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 9. Mai 2016 um 12 Uhr 51 Minutenzum Post-Scriptum

 

Aus dem Angebot der Workshops für diesen Tag ausgewählt:

Workshop: May 6, 10:00 – 13:00
Transmedia Staging
Marc Nikoleit
20 Participants

Who is addressed:
Theater people with no or little experience in the field of digital communication who want to think in new ways of using the web.

What you’ll learn:
How I can use digital media to tell stories with or about my piece.

Description:
The web isn´t just a marketing tool, it´s much more! How to stage your piece in and with digital channels and tools.We will explore different ways of using the web for a performance or theatre production. The workshop will show which networks and tools do exist, how to use them and why and all that for no or low costs. On practical examples you will understand how digital media can be used to tell stories with or about your piece.

Marc Nikoleit is an artist, expert in digital communications and media educator. In his own theatre company »Chapeau Club« he is part of the leading board and performing on stage. His last stops in digital communications were the »Staatsoper Berlin« and the »Drama festival FAVORITEN 2014«. He was teaching amongst others at the »University of Cologne« and the »Eberswalde University for Sustainable Development« in the field of Social Web.

www.nikoleit.net

0.

Was für ein verlockendes Angebot: zwei Tagen über die Beziehungen der Darstellenden Künste zu der Kunst, das Internet zu nutzen zu sprechen und dieses auch möglichst „hands on“ zu erkunden: Auch mit der VR-Brille auf dem Kopf. Aber eben auch nicht nur damit und nicht darauf begrenzt.
Als wir uns heute alle um 1O Uhr versammeln, werden wir zunächst persönlich von Tim Renner on stage begrüsst, die Veranstalter werden von ihm ob ihrer Initiative gelobt und er unterlässt es auch nicht auf sein eigenes Zutun an dem Zustandekommen dieser zwei PERFORMATION – Tage ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit zu stellen. [2]
Die Entscheidung für die heutige Teilnahme war in dem Titel des Workshops begründet, der für diesen Vormittag angekündigt war. Die Einschreibung über eventbrite generierte ein eigenes ticket und mit dem in der Tasche war dann auch die eigene Teilnahme ohne weitere grosse Formalitäten möglich.

1.

Die Gruppe fand sich auf einer Seite der „Stage L“ zusammen. Es standen Stühle im rund im Raum, an der Wand war eine kleine Projektionswand – mit Lautsprechern – auf der der Referent seine Texte, Bilder und Videos platzieren konnten. Er war gut vorbereitet und projizierte die jeweiligen Punkte seines Vorgehens von seinem Rechner mit den jeweiligen Titeln auf diese Fläche.

Die Begrüssung bestand aus (s)einer langen Selbstdarstellung von all dem, was er schon gemacht habe und wer er sei. Auf der Projektionsfläche waren das mehrere Seiten voller Stichworte. Es war fast so, als müsse vor uns um einen neuen Job pitchen. Wer weiss, was wir alles so drauf haben würden, wenn wir erst mit unseren Darstellungen zur Sprache kommen würden…

Nachdem er alle seine Punkte abgearbeitet hatte gab er auch uns die Möglichkeit sich vorzustellen. Das war nicht ganz einfach, nicht nur wegen der langen Vorrede, sondern vor allem wegen der sehr ungünstigen Akustik. Teilweise wurden Stellwände weggetragen, die dann wieder zurückgebracht werden mussten oder die Gespräche an der benachbarten Bar mussten durch die Intervention des Referenten unterbunden werden. Alles nicht wirklich dramatisch. Aber sollte es nicht um das Arrangieren von Auftritten gehen, um das sogenannte staging? Wäre es da nicht sinnvoll gewesen, die Bedeutung dessen, was man dabei tun oder auch lieber lassen sollte, gleich am Ort auszuprobieren… und positiv unter Beweis zu stellen?

2.

Die Vorstellungsrunde war spannend und die nachfolgende Antwortrunde auf die Frage, welche Bedeutung für einen das Internet habe, setzte da noch einen drauf: Die Gruppe setzte sich fast ausschliesslich aus jungen Frauen zusammen. Der einzige männliche Teilnehmer, der noch neben dem Autor dieser Zeilen zu den Teilnehmern zählte, brach im Verlauf des Workshops seine Teilnahme ab, nachdem er sich eigentlich nur noch mit allen möglichen Texten, Bildern und Seiten auf seinem Rechner beschäftigt hatte [3]

Wir werden gleich auf diese Beiträge aus dem Kreis der Teilnehmerinnen nochmals zu sprechen kommen, denn sie waren – leider – das Interessanteste an diesem Workshop. Dieser war – eben durch die Teilnehmerinnen - stark, wann immer sie die Chance hatten, sich auch zu Wort zu melden. Und ohne hier eine Kollegenschelte oder ein Refentenbashing vom Zaun zu brechen, so reicht es letztendlich eben nicht aus, das Einmaleins des Internets, des Social Webs und des Transmedialen Mainfestes durch das zu erklären, was auch schon das Internet selber erklärt. Die einzige Referenz – ausser dem Kommunikationsmodell von von Thun – waren Zitate aus der Wikipedia [4].

Diese Beobachtung wurde auch zu fortgeschrittener Stunde des Workshops auch von anderen offen ausgesprochen. All das, was hier vorgetragen würde, könne man doch auch später noch im Netz nachlesen, hiess es da: Er möge doch jetzt endlich mal „zum Thema“ kommen, zur Praxis, die uns alle hier – jede(n) auf seine Weise – beschäftigen würde.

3.

Das Ergebnis ist die Vorstellung von drei Highlighst – aus der Sicht des Referenten:

  Das Zentrum für politische Schönheit
„The Best Practice Stuff … so fucking creative” ... Gezeigt wird der Promo-Film zur (Be-)Förderung des Events vom 21. Juni 2015: „Untersützt unser Crowdfunding damit die Toten nach Deutschland kommen können“

  Das Peng Kollektiv mit deren Aktion gegen die Werbekampagne der Bundeswehr.
Interessant war hier vor allem ein Beitrag aus dem Publikum: danach habe sich diese Gruppe zunächst gar nicht als künstlerisches Kollektiv verstanden, sondern eher als politische Aktivisten, dann aber die Erfahrung gemacht, als Künstler mehr Freiheiten zu haben.

  Jan Bömermann, der schlicht und einfach die Leute an der Nase herumgeführt haben und damit das Beste sei, was es bisher von dieser Art in Deutschland gegeben habe: Zitat: „This guy is totally brilliant

4.

Noch inmitten dieser Ausführungen ist es 1 Uhr geworden. Von der Bühne wird der Schluss des Workshops verkündet und angekündigt, dass für die Teilnehmer ein Mittagessen vorbereitet sei.

Das führt dazu, dass der Referent seine Lobreden über diese drei Beispiel des stagings abbricht, sich nochmals bei allen für die Aufmerksamkeit bedankt, die ihm zuteil wurde. Und damit das Ganze dann auch beendet ist.

Es schliesst sich die Möglichkeit eines informellen Dialoges mit einigen der Teilnehmerinnen an, die bestätigt, dass die hier Anwesenden selber zu diesem Thema viel aus der eigenen Praxis hätten beitragen können.

Als wir uns dann einem der Veranstalter anschliessen um zwei Etagen höher die angebotenen Speisen zu uns zu nehmen, wird dies auch auf Nachfrage von einer der Verantwortlichen verweigert.

5.

Mit solchem Ärger im Bauch steht der Enschluss fest, das "Kühlhaus" zu verlassen und die weiteren Gespräche auf einen anderen Zeitpunkt zu verlegen. Denn - und jetzt kommen wir nochmals auf die oben schon erwähnte Vorstellungsrunde - was die Teilnehmerinnen da zu berichten hatten, wäre es allemal Wert gewesen, im Dialog mit dem Refenten als auch untereinander weiter zur Diskussion zu stellen.

Hier nochmals einige Stichworte von dem setting dieser zufälligen Runde:

Der Refertent: "Ich mache das hier seid 6 Jahren. *Digital’, das sind für mich nicht nur für e-Mails, ’Digital’, das ist für mich eine neue Dimension, eine neue Welt. Das ist nicht nur was für’s MARKETING. Und nicht nur das, was früher mal AOL war, das ist heute für mich alles zusammen: die Smartphone und die Social Neworks, die messenger Services, Twitter, Instagram, Whats-app – Snapchat.. das ist für mich heute meine Arbeit" „Für mich gibt es keinen Gegensatz mehr zwischen dem Analogen und dem Digitalen“ – „I go digital“ besteht nicht. Das Internet ist kein Tool, keine Gadget. Würden diese Dienste nicht mehr funktionieren, wäre er in kurzer Zeit weg vom Fenster. Aber das sei auch seine Freizeit, und selbst beim Sex würde das Digitale eine Rolle spielen...

L. Für sie ist das Internet ein "Tool for research". Für sie gibt es vor allem ein Problem mit der Repräsentation im Netz. Denn dort sei sie nirgenwo mit dem „richtigen Namen“ vertreten.

N. Sie arbeitet als Regisseuring und sei dabei, eine eigene Truppe aufzubauen. Für sie ist das Internet vor allem ein Kommunikationsmittel, ein Marketing-Tool, eine Informationsquelle, ein Arbeitsmittel.

J. Sie will Theater Machen. Das Internet sei für sie ein Raum, den sie nutze, der sie aber dadurch auch beeinflusse. Das Erleben des Internets, das kann bis zu einer körperlichen Erfahrung gehen - "The space, I use, that affects me… I feel it in my body." Aber es kann auch dazu kommen, dass sie rückblickend eigentlich gar nicht mehr wissen, was sie in der letzten Stunde getan habe...

V. ... hat auch Theater gemacht. Sie braucht das WiFi „without google-Maps I’m lost“ . Sie will auf spielende Weise erfahren, wie wir die Welt sehen und damit uns selber.

J. Sie kommt aus dem "Production Management" Das Internet sei gut für sie für professionelle Kontakte. Das Internet sei für sie "Inspiring", auch wenn man darin verloren gehen könne. "Transmitting Information for work", das sei wichtig für sie, nicht so sehr die Nutzung für die persönlichen, privaten Dinge.

S. Beschreibt sich selber als "Blog Journalist": Sie sieht ihre Funktion im Internet vor allem als Kuratorin und nutzt es für das Marketing. Ihre Position: „the digital me is the real me. I can be the source and be myself)". Ja, sie habe sich mit ihrem Tun an den Teufel verkauft, aber sie wisse dennoch, was sie tue: “I sold myself to the devil”. In want to be in this century, I want to be modern."

NN [5]. „I Love the internet

NN. Die sozialen Medien seien für sie wie eine Maske… Sie erkenne ihre Freundinnen / Kolleginnen darin oft nicht wieder, nicht in ihrer „wahren Gestalt“

NN. Sie sehe das Internet wie eine Landschaft. Die Apps sind gut fürs iPhone, aber man kann darin und damit nicht mehr seine eigene Geschichte entwickeln und erzählen. Das Internet gäbe ihr die Möglichkeit, viel zu sehen. Und auch vieles zu gestalten, was so "in Wirklichkeit" nicht gäbe. Ihr AVATAR auf Facebook zum Beispiel, das sei ein Mann und keine Frau. Und ihr sei diese Figur lieb und wichtig. Und wenn man ihr diese Wegnehmen würde, dann könnte es sein, dass aus dem Tod dieser Figur eine eigene Geschichte erwachse...

C. Sie ist Anthropologin und arbeite an Performances. Der Versuch, andere Menschen in andere Welten zu entführen koste viel Zeit und mache viel Stress.

M. Auch sie macht Theater. Ihr Thema ist vor allem der Tanz. Und natürlich nutze sie das Internet als Research Tool, als Communication Tool und als Marketing Tool. Aber, das Internet sei für sie eben nicht ihr richtiges Leben. Und je kommerzieller es werde, desto fremder werde es für sie.

L. ist Künstlerin. Früher habe sie das Internet als einen Zusatz, als eine Ergänzung ihres Lebens gesehen. Heute würde ihr das Internet viel Verwirrung in ihr Leben bringen, aber auch neue Momente des Glücks ("… now it has become part of my life… really confusing but gives you lot of happyness".)

I. hat zuletzt an der UDK eine Mobile Opera geschrieben. Das Internet würde ihm erlauben, Nachrichten zu senden und zu empfangen ... "but it is not my native language". Auch er habe in seiner neuen Inszenierung Facebook-Profile eingesetzt von Personen, die es im wirklichen Leben gar nicht gäbe. Auch wenn die Spielräume im Internet viel grösser seien als in der analogen Welt, auch das Internet habe für ihn seine Grenzen.


Auf dem Flickr-Account finden sich diese beiden Aufnahmen [6]
 von der Gruppe bei der Arbeit:

Gruppe: Transmedia Staging
© Jan Michalko


 von dem Referenten und dem Autor beim Mitschreiben

Transmedia Staging Marc Nikoleit
© Jan Michalko

P.S.

Dieser Text ist erst jetzt zum Ende der Woche und erst in der dritten Version veröffentlicht worden. Erst nachdem der Zorn über den Mangel an Respekt verflogen war, erst nachdem dem noch jungen Referenten das Recht auf eigene Fehlleistungen zu gestanden war, erst nachdem versucht worden war, das Wichtige von den Unwichtigen zu trennen, das an diesem Vormittag Gegenstand der Beobachtung war.

Der Kern der Beobachtung aber bleibt die Einsicht, dass alle die neuen „Kleider“, in denen die Apologeten, die mit der zum eigenen Selbst gewordenen Netz-Welt daherkommen. noch keine Referenz dafür sind, dass sie auch im Inneren ihrer Selbst schon zu einem neuen „Typus Mensch“ geworden sind, für den das Leben in der digitalen Welt auch bedeutet, dass das eigene Er-Leben auf einer neuen Stufe der Erkenntnis, der eigenen Existenz auch reflektieren zu können.

Gerade das, was „im Netz“ eine der grossen Qualitäten bedeutet, das permanente Hin und Her von Rede und Antwort, von Sender und Empfänger, von These und Gegenthese – aber auch von Klugheit und Dummheit , von Eloquenz und Emotions, von Hitze und Kälte, von Hetze und reflektierender Referenz – dass alle diese vielfach verwirrenden aber auch fruchtbaren Gegensatzpaare hier im Verlauf der Veranstaltung dieses „Workshops“ überhaupt nicht in ihrer Potenz genutzt wurden.

Wenn, sagen wir es mal ganz drastisch, das anwesende Publikum nicht mehr hergegeben hätte, als dass man die Anwesenden im Lobo’schen Erklär-Bär-Stil hätte unterhalten müssen, mag das ja vielleicht noch angehen. Aber hier sassen eine ganze Reihe von ebenso jungen wie qualifizierten Menschen beieinander, die sich alle schon mit dem Top-Thema dieses Kongresses und dieser Veranstaltung beschäftigt hatten – jede auf ihre Art und Weise – und dieses Potenzial ist nicht nur nicht gehoben, gefördert, zur Darstellung gebracht worden, sondern wurde eigentlich mit einem ganz klassischen Vortragsstil untergebuttert, um nicht zu sagen, missachtet.

Entweder, man hätte diese Veranstaltung als Vortrag angekündigt – und selbst dann wäre das erneute Verlesen von Web-Standard-Quellen nicht das Gelbe vom Ei gewesen – oder es wäre wirklich der Versuch unternommen worden, zwischen diesen Menschen ein Gespräch, einen Dialog auf den Weg zu bringen.

Das zu tun bedeutet nicht, dass solch eine Begegnung zu einer reinen Quatschbude „verkommt“. Es ist vielmehr die Kunst des Referenten, seinen Part in einem solchen Dialog mit einzubringen und – wenn es angesagt sein sollte - dieses auch als primus inter pares zu tun: Aber eben als echter Dialogpartner, und nicht nur als jemand, der ständig seine Bereitschaft zu einem solchen Dialog verkündet, diesen dann aber in seiner Haltung, seinem Duktus, seiner Dramaturgie so „gut“ wie unmöglich macht.

Insofern – und das sei an dieser Stelle ohne jegliche Häme gesagt – war diese Veranstaltung auch ein gutes Lehrbeispiel, wie weit wir noch in den Kinderschuhen dieser neuen digitalen – besser gesagt, in dieser analog-digital-hybriden – Zeit stecken, wie sehr wir alle noch daran arbeiten müssen, dass die vielen neuen kommunikativen Möglichkeiten, die uns „das Netz“ anbietet, nun auch in unser alltägliches Miteinander rück-übersetzen zu können.

Es ist also dieser Veranstaltung sehr zu wünschen, dass gerade auch an diesem Punkt in den nächsten Jahren weitere Versuche unternommen werden. Der Begriff der „Versuche“ ist nicht ohne Grund gewählt. Geht es doch um die erneuten Anläufe, die anscheinend so einfachen Dinge erlebbare Wirklichkeit werden zu lassen, die so schwer zu machen sind.

Dixit BB: "Woran arbeiten Sie?", wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: "Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor." [7]

Anmerkungen

[1(12/377)

[2In der Pressemitteilung vom 6. Mai 2016 heisst es dazu: "Tim Renner, Berliner Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, eröffnete den zweiten Tag am Freitag (6. Mai) und verschaffte sich vor Ort ein Bild des Performersion-Programms. Er freue sich auf neue Synergien im Kultursektor und sei überzeugt, dass Technologien und darstellende Künste eine sinnvolle Ergänzung seien und Storyteling so nachhaltig gestaltet werden könne, so Renner."

[3Das war sowieso ein selten klares Klischee-Typ-Szenario: Von den Frauen hatten keine einen Rechner dabei, von den drei Männer jeder einen mit dabei und auch im Betrieb: sei es zum Surfen, zum Präsentieren – oder zum Mitschreiben.

[4Und der Hinweis, das diese Texte zum Teil auch schon dringend der Aktualisierung bedürften, macht die Sache dadurch auch nicht attraktiver.

[5Auch mit "NN" bezeichnete Personen hatten ihren Namen genannt, dieser war dann aber "Dank" aller Umgebungsgeräusche nicht zu verstehen, teils ihre Aussagen auch nicht...

[6Für beide gilt der Rechte-Eintrag: "Rights - re:publica/Jan Michalko "

[7(12/377)


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