BRAUN 65!

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 9. Mai 2004 um 17 Uhr 17 Minuten

 

Lieber Volker Braun: so nah’ und doch so fern. Nicht einmal zu Deinem 65. Geburtstag Geburtstag wird Dir eine eigene Seite eingeräumt. Dafür aber etwas bisher in diesem Web.Log noch nie Dagewesenes: wir werden Dir einen zweiten Eintrag zum gleichen Tag einrichten und den im titel-forum abgegriffenen Text von Peter Mohr hier stellvertretend zitieren. In leiser, verbleibender Anerkennung! WS.

Hinze, Kunze und die Hanglage des Bewusstseins

"Mein Spott ist Spätlese / aus der Hanglage meines Bewusststeins", heißt es im 1999 erschienenen Gedichtband Tumulus. Volker Braun hat stets die leisen Töne bevorzugt, das klassenkämpferische verbale Gepolter war nie seine Sache: sanfte Ironie, feinsinnige philosophische Sentenzen hat er stets gepaart mit einem untrüglichen Gespür für gesellschaftliche Veränderungen.
Als ihm vor vier Jahren der Georg-Büchner-Preis verliehen wurde, erklärte Braun: "Büchner war für mich bald nach Beginn meines ernsthaften Schreibens die Autorität überhaupt. Er war ein Maß und eine Herausforderung." Den revolutionären Furor Büchners sucht man in Brauns Werken jedoch vergeblich, und dennoch finden sich in seinen Werken Spuren großer Dichtkunst, die von Schiller über Tschechow bis Brecht reichen.

Volker Braun, der am 7. Mai 1939 in Dresden geboren wurde, arbeitete vor seinem Philosophiestudium in einer Druckerei und im Tiefbau. Seine ersten künstlerischen Meriten erwarb er 1965 (auf Empfehlung von Helene Weigel) als Dramaturg am Berliner Ensemble. Unzählige Theaterstücke, Lyrik- und Prosabände hat er zu DDR-Zeiten veröffentlicht und war einer der hochdekorierten Autoren des sozialistischen Staates (Heinrich-Heine Preis, Heinrich-Mann-Preis, Nationalpreis 1. Klasse).
Dabei war Volker Braun weder ein staatstragender Dichter noch gehörte er zu den lautstarken Dissidenten. "Ich glaube, die Schwierigkeiten, die man hatte, hat man sich selbst an den Hals geholt - durch die Wahl der Stoffe und durch die Art, sie zuzuspitzen und zu schärfen", bemerkte Braun im Rückblick auf die DDR-Zeit. Ähnlich wie Stefan Heym glaubte er lange an einen dritten Weg, an einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz.

Zwei Jahrzehnte lang haben Volker Brauns literarische Figuren Hinze und Kunze die DDR-Kulturzensoren beschäftigt. Neun Stasi-Offiziere und 32 Informanten sollen sich um den Schriftsteller "gekümmert" haben, nachdem aus dem 1968 uraufgeführten Stück Hans Faust 1973 die überarbeitete Bühnenfassung Hinze und Kunze erschienen war, in dem sich der Bauarbeiter Hinze auf einen Pakt mit dem Parteisekretär Kunze (eine Art sozialistischer Mephisto) einlässt und Karriere macht. Ein widerwilliges Arrangement, denn Hinze hat die Schwächen des Systems erkannt und durchschaut. Zugespitzt brachte Braun, dem es ähnlich wie seiner Figur Hinze erging, 1983 die Berichte von Hinze und Kunze in Prosaform heraus. Es waren Texte, die stark an Brechts Keuner-Geschichten erinnerten und in denen die Widersprüche zwischen Herr und Knecht, Macht und Ohnmacht und Mann und Frau thematisiert wurden. Zwei Jahre später ließ er die beiden Paradefiguren noch einmal in einem Roman wieder aufleben, und aus der zeitlichen Distanz lässt sich heute konstatieren, dass Volker Braun mit "Hinze" und "Kunze" die Mechanismen des Sozialismus viel präziser und subtiler demaskiert hat als alle stimmgewaltigen Systemkritiker zusammen. Erst vier Jahre nach der Veröffentlichung im Westen konnte das Buch auch in der DDR erscheinen. Auch sein Theaterstück Die Übergangsgesellschaft (1988) präsentiert diese meisterhafte Mischung aus Poesie und Gesellschaftsanalyse.

Auch nach der Wende blieb Volker Braun bei den leisen, bedächtigen Tönen. Zwar mahnte auch er einen langsameren Übergang an, aber seine Stimme war frei von jedweder "Ostalgie": "Wir haben doch nichts verloren, wir haben eine Welt, in der wir uns befinden und in der wir uns immer befanden. Wir haben jetzt vielleicht eine andere Erfahrung, einen anderen Raum von harter und merkwürdiger Bewegung, aber das ist das Element, in dem sich das Denken bewegt", erklärte der Autor vor vier Jahren in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau".

Volker Braun, der sich auch zu DDR-Zeiten stets als "Dichter deutscher Sprache sah", erweist sich mehr und mehr als philosophischer Poet, der seine subjektiven Ansprüche und die gesellschaftliche Realität gegeneinander austariert. Seine letzten Veröffentlichungen, der Gedichtband Totentanz (2000) und die Prosabände Das Wirklichgewollte und Wie es gekommen ist (2002), zeigen uns Braun noch einmal als pointierten, zu Lakonie und mildem Spott neigenden Autor - eben ein großer Dichter, dessen wahre Heimat allein die Sprache ist.

Peter Mohr


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