I.
Am Montag, den 27. März 2017, trifft um 12:35 die Meldung auf dem Dektop ein, dass die CeBIT 2018 immer noch ein "Global Event for Digital Business" sei, aber nunmehr auch eine "Expo", ein "New-Tech-Festival" und eine "Kreativkonferenz" sein werde. Das Motto des Ganzen: "Leadmaschine trifft Entertainment".
Originalton: "Vergessen Sie alles, was Sie über die CeBIT wissen. Am 11. Juni 2018 startet eine neue Ära: aus Messe wird Innovationsevent." [1].
Mit völlig neuen Formaten wie "d!conomy Business"," d!tec Innovation", d!talk Inspiration" und "d!campus Festival" werde die CeBIT 2018 Geschäft, Wissensvermittlung und Inszenierung erfolgreich zusammenbringen.
Also nochmals, im Originalton eines Beitrages auf dem zuvor geschalteten und schon im April 2018 wieder abgeschalteten Link https://www.cebit.de/en/exhibition/preview-cebit-2018/: "nicht mehr als klassische Messe, sondern als Innovationsfestival für Digitalfans".
Und weiter:
Mehr Mut zum Ausprobieren, provokante Themen, emotionales Ambiente: Von 2018 an werden Sie die CeBIT völlig neu erleben. Aus der Messe wird eine B2B-Eventplattform – und ein Innovationsfestival der Digitalisierung mit Open-Air-Charakter.
[2]
II.
Die Anti-These, auch wenn viele sie nicht hören mögen, zumal sie sich nicht gerne an den Eintrag vom letzten Jahr erinnern werden: Dieser Versuch sei der des Ertränken der nun 33 Jahre alten CeBIT in dem Jungbrunnen einer digitalen Welt [3]. [4]
Die US-amerikanische Computer Dealers’ Exhibition COMDEX - einst die Blaupause für die deutsche CeBIT - wurde seit Ende 1979 in Las Vegas abgehalten und 2003 an dieser Stelle zum letzten Male durchgeführt. Später folgten noch Ableger wie die COMDEX/Spring in New York und - bis heute - die Comdex HongKong [5].
Die Comdex entwickelte sich einst aus einer Gemengelage von Interessen, die sich wohl am besten unter dem Begriff der Geek Week zusammenfassen liesse. Die CeBIT ist dagegen nunmehr versucht, genau diesen Weg in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, gemäss dem Motto: "Back to the Geeks".
Es ist klar, dass man auch in Hannover eine so wertvolle Marke nicht einfach sang- und klanglos aufzugeben bereit ist. Aber ob es dann letztendlich mehr und besser sein wird als ein junger Wein in alten Schläuchen, diesen Beweis gilt es ab heute erst noch anzutreten.
III.
Auf Anfrage wird uns am 9. Mai 2018 eine noch vorläufige LISTE DER ANGEKÜNIGTEN PRESSEKONFERENZEN übermittelt [6]
Am Mittwoch, dem 23. Mai 2018 trifft dann die Meldung per Mail ein, dass für die Teilnahme an der sogenannten d!talk-Veranstaltung an diesem Montag eine eigene, weitere Anmeldung notwendig sei. Diese wird daraufhin postwendend beantragt, bestätigt
aber letztendlich vor Ort im Verlauf des gesamten Tages kein einziges Mal abgefragt.
IV.
Als eine der frühesten CeBIT-News, noch aus dem Jahr 2017, wird erklärt:
Am 11. Juni 2018 kommt Lanier nach Hannover und spricht beim "Take-off-Monday" der CEBIT um 10 Uhr im Convention Center (CC).
In seinem Buch "Wem gehört die Zukunft?" beschreibt Lanier eine Netzwerkökonomie, die auf die Totalüberwachung der Menschen zusteuert. Er plädiert für ein Ende der Umsonst-Mentalität und fordert, dass jeder Nutzer für seine Daten auch Geld bekommen solle. Das Werk wurde zum internationalen Bestseller und von der New York Times zum bedeutendsten Buch des Jahres 2013 gekürt. 2014 erhielt Lanier dafür den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, eine der höchsten literarischen Ehren der Welt.
Lanier ist nicht nur Kritiker, sondern auch Entwickler. Er prägte den Begriff Virtual Reality. Anfang der 1980er-Jahre entwickelte er im Atari-Forschungslabor unter anderem den Datenhandschuh, der durch Handbewegungen Steuersignale in den Computer überträgt und so Orientierung im virtuellen Raum ermöglicht. Später gründete er das erste Unternehmen, das VR-Produkte verkaufte, unter anderem für Medizin und Design. Das Time Magazine kürte ihn im Jahr 2010 zu einer der einhundert einflussreichsten Personen der Welt.
Lanier schrieb an seinem neuen Buch mit dem Titel „Dawn of the New Everything: Encounters with Reality and Virtual Reality“, das im November 2017 erschien.
V.
Mit diesem Buch "Dawn of the New Everything" in der Hand, gelingt es tatsächlich, um kurz nach 10 Uhr im Saal 2 des Konferenzzentrums der Messe Hannover, dem Convention Center (CC), angekommen zu sein. Und das, obwohl der Zugang zu diesem Ort sich in diesem Jahr alles andere als einfach gestaltete.
Schon am Eingang Nord wird erklärt, dass es an diesem Tag noch keine Shuttle-Fahrzeuge, auch nicht für die Presse, gäbe. Und doch, durch das Empfangsgebäude hindurch, findet sich dann ein ganz normaler Linienbus mit der Richtungsanzeige: "Take-off-Monday." Dieser fährt auch bis zur Mitte des Tagungszentrums und erlaubt dort auch das Aussteigen, so wie in der englischen Programmankündigung angezeigt [7]. Aber der Zugang zum Gebäude wird vom Personal untersagt. Mehr noch: "Wir haben die Ansage bekommen, sie alle zum Eingang Nord 1 zu senden."

Also wird stattdessen der Zugang zum Pressezentrum gesucht. Aber dieser ist verschlossen. An der Tür findet sich stattdessen ein Verweis auf die Halle 11. Unglaublich, aber wahr: Kein Pressezentrum mehr am gewohnten Ort...
Aber noch beunruhigender ist die ganz und gar ungewohnte Ruhe auf dem Gelände. Einen Tag vor Messebeginn herrscht zumindest auf dem Weg bis zum (ehemaligen) Presse- und Konferenzzentrum eine geradezu gespenstische Ruhe. [8]. Einen Tag vor Beginn der Messe, an dem es sonst vor Lastern nur so gebrummt und Gabelstaplern gesurrt hat. Im letzten Jahr waren wir sogar dazu angehalten worden, aus Sicherheitsgründen blaue reflektierende Westen mit der Aufschrift "PRESS" überzustreifen, um mit den Fahrern und Bautrupps nicht in Kollision zu geraten...
Wir brechen die Schilderung dieser Erlebnisse hier ab, denn des Gelände ist dem Reporter aus zu vielen Jahren gut genug bekannt, als dass es nicht letztendlich doch eine Lösung gegeben hätte, wenngleich diese auch nicht ganz ohne Druck zustande gekommen ist. Aber selbst dann, am Südeingang des CC Tagungszentrums angekommen, wurde die Absicht, zusammen mit einem Rollstuhlfahrer im Aufzug auf die Ebene 3 zu gelangen, vereitelt, da die Auffahrt bis dahin versperrt war...
V.
Dieser Vormittag ist gespickt mit Vorträgen. Vorträgen von all jenen Menschen, die auch in den Jahren zuvor auf einer "normalen" CeBIT hätte auftreten können:
Und hier nochmals als PDF-File der Einblick in das gesamte Tagesprogramm:
In der Tat: Die Veranstaltung ist internationaler geworden, weiblicher - und hat sich vor allem von der traditionellen Welt der Technik immer weiter entfernt. Aber jünger? Oder gar dialogorientierter? Nach wie vor werden die Keynoter nacheinander auf die Bühne gestellt und von dort wieder abberufen, ohne dass es zu irgendeinem Dialog hätte kommen können. Einen solchen Auftrieb von qualifizierter Prominenz hätte man sich auch genauso gut in einem Video-Streaming ansehen können [9].
Dieses gesagt, ist es durchaus möglich gewesen, zumindest im Rahmen seiner Buch-Signatur-Sitzung mit Lanier einige Sätze zu wechseln, an seinen ersten Besuch auf der CeBIT in den 80er Jahren ebenso anknüpfend wie an die Geschichte unserer beider Mütter oder unsere Aufenthalte in Berkeley und Stanford. Aber auch diese Begegnung wird nicht die erwünschte Langzeitwirkung haben. "Ich bekomme zur Zeit um die fünftausend Mails... sieh zu, wie Du da irgendwie durchkommst... ich weiss schon gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht."
VI.
Und dann ist es doch gut, vor Ort zu sein. Nicht nur, weil es nun zumindest eine persönliche Lanier-Signatur gibt auf dem eigenen Buchexemplar von "Dawn of the New Everything: Encounters with Reality and Virtual Reality". Sondern weil es zu einer Einladung zu einer weiteren Buchvorstellung im engsten Kreis der Autoren kommt:
Digitalisierung im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Recht.
Ein zweibändiges Werk mit insgesamt 109 Autoren, die von Christian Bär, Thomas Grädler und Robert Mayr als Herausgeber zu Beiträgen eingeladen wurden [10].
Am Ende dieses Empfangs war es möglich, mit dem Initiator dieses Projektes ein Interview zu führen, das mehr sagt, als die tausende von Worten dieses zweibändigen Konvolutes. Und das hört sich so an:
VII
CEBIT EXECUTIVE TALK
"Thema: Digitale Transformation" [11]
VIII
CEBIT Welcome Night
"Richtungsweisende Impulse aus internationaler Politik und Wirtschaft bilden den offiziellen Teil des Abends, an den sich die Networking-Party der CEBIT Welcome Night anschließt." [12]
Hier das VIDEO u.a. mit Stephan Weil, Niedersächsischer Ministerpräsident | Achim Berg, Präsident Bitkom | CEBIT Innovation Award | Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung | Deb Dugan | Mariya Gabriel, EU-Kommissarin für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft | Ginni Rometty, CEO und Präsidentin, IBM.
Aus den vielen Beiträgen hier dieser eine Satz als pars pro toto von Achim Berg vom Bitkom, der sich an ein grosses Lob für das Messe-Team anschliesst und mit dem er feststellt: "Es ist eigentlich eine Epoche, in der das Machbare das Denkbare mit Riesenschritten überholt". [13]
IX.
In einem ersten, alles andere als abschliessenden Kommentar, bleibt festzuhalten:
– auch die neue CEBIT ist nicht anderes als die alte CeBIT in neuem Gewand.
Zumindest an diesem ersten Tag, an dem es zwar gelang, in der Abendveranstaltung den Anspruch mit viel Eloquenz, Kompetenz und Empathie und Können zu untermauern. An dem aber der gesamte Ablauf von den Themen wie von der Besetzung her den Ritualen der vorangegangenen Jahre folgte.
– die neue CEBIT ist eine auch finanziell deutlich abgespeckte CeBIT.
— Einen Vorgeschmack darauf gab es schon - wahrscheinlich unfreiwillige und nicht abgesprochen, als in der Strassenbahn vom Hauptbahnhof zum Messegelände alle Mitreisenden ihre extra gelösten Fahrscheine vorzeigen mussten.
— Zugänge zum freien WLAN... wurden zumindest nicht öffentlich angezeigt
— Die Gäste an der hier dargestellten Veranstaltung hatten zwar noch freien Zugang zu Trinkwasser, das Essen aber musste an dafür eingerichteten Tresen käuflich erworben werden.
— Selbst die Ehren- oder VIP-Gäste wurden nach der Veranstaltung nicht mehr als Gäste der Messe begrüsst, sondern in der Vodafone-Lounge [14]
– die neue CEBIT ist im Kern weder jünger noch dialogbereiter als die alte.
Zumindest an diesem ersten Tag. Und zumindest bei den persönlich besuchten Veranstaltungen. Ja. Es gab viele Aufrufe zu einem Wandel in der Wahrnehmung der Arbeitswelt, der anstehenden Aufgaben und Herausforderungen. Aber ein Wandel im Verhalten der an diesen Deklarationen Beteiligten war nicht zu erkennen. Und dass sich einige der renommierten männlichen Sprecher dafür rühmen, besonders viel Körperfülle mit auf die Bühne zu bringen oder ein "alte Sack" zu sein, macht das Ganze vielleicht ein wenig lockerer - aber damit im Sinne des deklarierten Ziels noch lange nicht besser.
X.
Ach ja, die Strassenbahn in Hannover: Dass dort die Fahrgäste auf dem Weg zur Messe nach ihren Fahrtausweisen überprüft wurden, ist ja bereits berichtet worden. Dann sei hier zu guter Letzt noch davon Kunde getan, dass die Überprüfung der eigenen Dienstleistungen alles andere als effizient ist. Am Abend gegen 21:15 Uhr auf dem unterirdischen Bahnsteig am Hauptbahnhof zurückgekehrt, musste der Weg mit dem vollen Reporter-Gepäck samt aller zusätzlichen Bücher über die Treppen aufwärts zu Fuss zurückgelegt werden: Weder die Rolltreppe noch der Fahrstuhl waren funktionsbereit. Ein Grund mehr, die neue CEBIT nur noch für junge Leute zu veranstalten...