Berlin 1968, Ku-damm 142

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 16. April 2018 um 00 Uhr 00 Minutenzum Post-Scriptum

 

Am 11. April 1968 wurde vor dem Haus Kurfürstendamm 142, wo sich das Büro des Berliner SDS (Sozialistischer Studentenbund) befand, ein Attentat auf Rudi Dutschke verübt. Die drei Schüsse auf Dutschke waren Anlass für die sogenannten Osterunruhen in West-Berlin und vielen Städten Westdeutschlands. Elf Jahre später, am 24.12.1979 starb Dutschke an den Spätfolgen der Schussverletzungen.

So schreiben die Autoren der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. und von Bündnis 90/Die Grünen Charlottenburg-Wilmersdorf in ihrer Einladung, sich heute erneut an diesem Ort zu einer Gedenkveranstaltung am Kurfürstendamm/Ecke Joachim-Friedrich-Straße um 16.30 Uhr zu versammeln:

Wir wollen nicht nur an den Studentenführer Rudi Dutschke, sondern an die politische Bewegung von 1967/68 in Ost und West erinnern. Westdeutschland und Westeuropa waren im Aufbruch. In der Tschechoslowakei gab es den „Prager Frühling“, dem sowjetische Panzer im August 1968 ein Ende bereiteten.

Es werden sprechen:

 Gretchen Klotz-Dutschke

 Milan Horacek, Gründungsmitglied der Grünen

 Michael Schneider, Schriftsteller

 Hajo Funke, Politikwissenschaftler

 Jana Brix, Sprecherin der Grünen Jugend Berlin

Die Einladung der Veranstalter schliesst mit dem Satz:

Wir laden alle Freundinnen und Freunde Rudi Dutschkes sowie alle Interessierten ein.

Und dann, vor Ort, wird nach alle Beiträgen der hier genannten RednerInnen das Mikrophon freigegeben für jede(n), die (der) sich auf 2 Minuten beschränken kann, um noch etwas aus diesem Anlass zu sagen. Und dieses Angebot wird dann von zwei Zeitzeugen wahrgenommen, einer Frau:

und einem Mann:

Was bleibt, das sind diese Bilder: Das Plakat und die "Wanne"

Die Schuhe des Opfers im Nachrichtenbild

Und: Diese Schuhe, die die TeilnehmerInnen an dieser Versammlung zum Gedenken hinterliessen:

Über die nachfolgend hier im Post-Scriptum vermerkten Beiträge zu diesem Ereignis hinaus, sei an dieser Stelle auf jene Beiträge hingewiesen, die heute und in den nachfolgenden Tage zur Ausstrahlung kommen:


 DUTSCHKE. Gesicht einer deutschen Revolte. Zweiteilige Dokumentation. Ein Film von Christoph Weinert

DUTSCHKE von Christoph Weinert

Heute auf 3sat ab 20:15 Uhr (Teil 1) und 21:00 Uhr (Teil 2) [3]

 Deutsche Lebensläufe. Rudi Dutschke. Film von Frank Hertweck und Simone Reuter [4]. Eine SWR-Produktion aus dem Jahr 2002 "Zum 70. Geburtstag (07.03)", die in der Nacht vom 14./15. April 2018 ab 00:05 Uhr auf tagesschau 24 wiederholt wird.

 "Im Gespräch" mit Gretchen Dutschke Stolz auf die 68er
Beitrag im Deutschlandfunk Kultur vom 19. März 2018. Moderation: Susanne Führer

 Vom Mythos zum Ereignis. Was aus dem Mai 1968 für heute folgt Daniel Cohn-Bendit im Gespräch mit Claus Leggewie in der Deutschlandfunk-Reihe Essay und Diskurs vom 15. April (Teil 1) und 22. April (Teil 2).

© Radio Bremen | Staatsarchiv Bremen

 Deutschland ’68 – (K)ein Jahr wie jedes andere! Film von Caroline Pellmann und János Kereszti. "Eine Bremedia Produktion im Auftrag von Radio Bremenund dem NDR für Das Erste © 2018." Gesendet am 8. April 2018 ab 9:15 Uhr auf tagesschau 24.

P.S.

Der Deutschlandfunk-Kalenderblatt-Beitrag von Monika Köpcke wird an diesem Tag so angekündigt:

Attentat vor 50 Jahren - Zwei Kugeln trafen Rudi Dutschke in den Kopf

"Du dreckiges Kommunistenschwein" rief Josef Bachmann, bevor er auf Rudi Dutschke zielte. Zwei Kugeln trafen den Studentenführer in den Kopf. Das Attentat ereignete sich am 11. April vor 50 Jahren. Für Berliner Studenten trugen auch Hetzkampagnen der Boulevard-Zeitungen eine große Mitverantwortung an den Schüssen.

Und diese Aussage wird in ihrem Beitrag nochmals deutlich belegt:

Es wird spannend sein zu verfolgen, ob und wie die Publikationen aus diesem (ehemaligen Zeitungs-) Haus heute auf diesen Termin reagieren werden.

Dazu hier zur Aufklärung und zur Erinnerung dieser BILDblog-Bericht von Sefan Niggemeier vom 18. Jänner 2010, 23:07, der mit der Überschrift aufmacht: "Der Staatsfeind, der kein „Staatsfeind“ war" [5] [6].
Und, aktuell, der Beitrag von Christian Schröder im Tagesspiegel, der ab 16:40 Uhr unter dem Titel erscheint: "Welche Rolle spielte die Presse bei dem Attentat auf Rudi Dutschke?"

Wie schwierig, aber auch wichtig diese Frage nach der Legitimität von Gewalt im poltischen Umfeld ist, hat zuletzt die langjährige Diskussion um die Erreichtung des Denkzeichens für den Hitler-Attentäger Johann Georg Elser aus Heidenheim gezeigt, das jetzt wieder auch in der Nacht im Lichte seines Profils zu sehen ist.

Nachhörenswert auch das "Studio 9" - Gespräch von Stephan Karkowsky mit Hajo Funke im Deutschlandfunk Kultur: 1968 ist auch heute möglich:

Funke weist in diesem Gespräch aus gutem Grunde ebenfalls auf die Rolle der Zeitungen aus dem Haus Springer hin. Und auf den Vietnam-Krieg und das Massaker von Mỹ Lai, auf das hier bereits an anderer Stelle schon verwiesen wurde: † Mỹ Lai: 16. März 1968.

Am Abend dieses Tages ist er dann auch in den 19 Uhr "heute" - Nachrichten zu hören und zu sehen, eben so wie Gretchen Klotz-Dutschke:

In der "Abendschau" des rbb kommt der Ankündigungstext auch nicht ganz ohne Druckfehler aus: "Wir besuchen mit Wolfgang Wieland, der Dutschke gut kannte, den Tatort am Kurfürstendamm. Eine Spurensuche in unserer Wocheserie über die 68er." Unter diesem Text ist zu lesen: "Beitrag von Heike Boldt-Schüler". In der Anmod und im Abspann des Beitrags Das Attentat auf Rudi Dutschke wird dann aber - zu Recht - Christian Walther als Berichterstatter vermerkt.

Auch die 20 Uhr-Ausgabe der tagesschau geht auf dieses Thema ein:

Anmerkungen

[1Hier eine BILD-Karrikatur:

unterlegt mit einem Spruch, der aus Hitlers "Mein Kampf" hätte kommen können: "Als ich vor Jahren als unbekannter Student..."

[2Und hier der Link zum Worlaut der Erklärung des Berliner Bürgermeisters Müller aus Anlass dieses Tages.

[3Hier finden sich auch Antworten vom Springer-Chef Mathias Döpfner wie diese:

[4

Für seine Anhänger war er "unser Rudi", Idol und Hoffnungsträger, für seine Hasser die "verlauste Kreatur". Nach seinem Tod spricht der einstige Regierende Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, von einem "typisch deutschen Schicksal".
Die drei Schüsse auf Rudi Dutschke waren ein Attentat auf seinen Traum: den Traum von einem gesamtdeutschen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. "Bei uns zu Hause gab es nie einen Gegensatz von Christentum und Sozialismus", hat er einmal geschrieben. Zum real existierenden Sozialismus der DDR und der Sowjetunion geht Dutschke (1940-1979) früh auf Distanz: Er wächst in Luckenwalde auf, einem kleinen Ort in der Märkischen Heide. Seine Mutter ist strenggläubige Protestantin. Schüler Rudi engagiert sich in der Jungen Gemeinde. Obwohl in der FDJ verweigert er den Eintritt in die Nationale Volksarmee, bekennt sich zur Wiedervereinigung und darf deshalb nicht Sportjournalistik studieren. Als er 1960 in Westberlin ein Soziologie-Studium beginnt, ahnt er nicht, dass er lange nicht nach Hause zurückkehren wird. Der Bau der Mauer sperrt ihn aus. Der junge Dutschke ist "Republik-Flüchtling".
In strenger Disziplin eignet er sich die gesamte sozialistische Theorie an. Er will zurück zu deren Wurzeln, liest Marx, Lenin, Rosa Luxemburg.
Die Diskrepanz zwischen sozialistischer Theorie und Praxis - der in der DDR Erlebten - lässt ihn nicht los. Rudi Dutschke beschließt, "Berufs-Revolutionär" zu werden. Fortan sieht er seine Aufgabe darin, die benachteiligten gesellschaftlichen Minderheiten zu aktivieren - jene in der "Dritten Welt", jene in der kapitalistischen Bundesrepublik. "Aufklärung als Aktion" ist seine Parole. Er wird zum Politrebell, zum Sprecher des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, zum Medienstar und "Volksfeind Nr. 1". Nach dem Attentat ist sein Sprachzentrum schwer beschädigt, der größte Redner der Studentenbewegung ist zum Verstummen gebracht worden. Drei Jahre dauert es, bis Rudi Dutschke wieder sprechen gelernt hat. Mit seiner Familie verlässt er Deutschland, auf der Flucht vor der Sensationspresse, auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Aus mehreren Ländern wird er ausgewiesen. Schließlich kehrt der doch in "seine" Stadt, nach Berlin, zurück. Die neue Ökologie-Bewegung der Grünen lässt die alte Hoffnung auf Verbesserung der Verhältnisse wieder wach werden. Rudi Dutschke ertrinkt während eines epileptischen Anfalls in der Badewanne. Er ist 39 Jahre alt.

[5Hier eine BILD-Karrikatur:

unterlegt mit einem Spruch, der aus Hitlers "Mein Kampf" hätte kommen können: "Als ich vor Jahren als unbekannter Student..."

[6Und hier der Link zum Worlaut der Erklärung des Berliner Bürgermeisters Müller aus Anlass dieses Tages.


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