500 statt 500 Tsd. - ein "Nein" statt 5Mille

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 17. Juli 2004 um 16 Uhr 05 Minuten

 

Dieses Jahr wäre eigentlich das Jahr gewesen, wieder an der Veranstaltung teilzunehmen, die die geplatzte "Love-Parade" ersetzt hat. Stattdesse aber ist das ganze Wochenende Betrieb im Buero: mit dem 14. und 15. Juli sind zwei "Deadlines" gesetzt.

So bleibt nur, aus der von uns auch abonierten Netzeitung zu zitieren, die sich mit Dr. Michael Maier höchst persönlich an diesem Tag im Deutschlandfunk ins Gespräch brachte ob der Vorwürfe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung *), dass hier nur Journalismus der zweiten Güte betrieben werde.

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Laut der NZ waren es also gerade mal 500 Menschen, die aus Anlass des "Music-Day"s zur Siegessäule gekommen waren - und 5000, die sich auf der Abschlußkundgebung an der Gedächstniskirche eingefunden hatten.

Der nachfolgend im Original zitierte mit ("nz)" unterschriebene Artikel findet sich genauso unter dem Kürzel "HB BERLIN" wieder unter der Adresse der ZEIT [ZEIT.DE] und des HANDELSBLATTS [Handelsblatt.com]

HB BERLIN. Trotz der Absage der Berliner «Love Parade» sind am Samstag rund 2000 Musikfans in der Hauptstadt zusammengekommen, um die Ersatzveranstaltungen zu besuchen. Der «Music Day» rund um die Siegessäule war einer von mehreren Events, die am ursprünglich für die Love Parade reservierten Termin für «Ersatz» in der Hauptstadt sorgen sollten.

Zum Großen Stern auf der alten Parade-Strecke waren im letzten Jahr noch mehr als 500.000 Raver gekommen. Diesmal kamen etwa 500 Menschen. Das Fest fiel denn auch wesentlich kleiner aus. Statt wie angekündigt von fünf Bühnen dröhnten am Nachmittag Technoklänge, HipHop und Rock nur von drei Lastwagen.

Zu der offiziellen Love-Parade-Demonstration unter dem Motto «Fight the Power», die sich am Nachmittag auf dem Kurfürstendamm in Gang setzte, kamen rund 1500 Menschen. Party-Gründer Dr. Motte nahm beim Demonstrationszug für den Erhalt der Love Parade teil. Er wolle, dass es 2005 wieder eine Love Parade in Berlin gebe rief er den jubelnden Teilnehmern zu. Zugleich kritisierte er, dass der Parade von der Politik und den Clubs Schwierigkeiten gemacht worden seien. Deshalb könne Berlin in diesem Jahr nicht das «größte Friedenssignal» senden.

Die Love Parade war 2001 der lange Jahre gewährte politische Status aberkannt worden. Das führte unter anderem dazu, dass die Veranstalter Folgekosten wie Straßenreinigung nicht mehr dem Land Berlin auferlegen konnten. Daraufhin brach die Finanzierung zusammen, was zur Absage des Events für 2004 führte.

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*) Nachdem heute in der "Bild" davon die Rede war, das dem Trainer Otto Rehagel für seine Rückkehr nach Deutschland ein Gehalt von 5 Millionen Euro angeboten sei - sowie 1 Million "Schmerzensgeld" für den griechischen Fußballverband, wird dessen Präsident in der FAZ- Sonntagsausgabe mit dem Satz zitiert: "Otto Rehhagel hält sein Wort. Ich wußte es [...] weil wir gemeinsam durch dick und dünn gegangen sind".

PS.: Wie hatte doch Otto Schilly am Ende seiner Pressekonferenz vom 7. Juli in Berlin auf eine Nachfrage zum Trainer-Thema noch hinzugefügt: "Daß der Name Otto für Qualität bürgt, das wissen wir." Und jetzt, nach der Absage nach Ottmar Hitzfeld, können wir nur (mit) dem Lateiner Schilly beipflichten: "Quod erat demonstrandum".

Und für alle, die immer noch nicht genug "zugetextet" sind gibt es jetzt noch die Reflektionen von Ulf Lippitz zum Thema:
"Techno essen Seele auf":

Zum ersten Mal seit 1989 findet die Love Parade nicht mehr statt. Die Techno-Gemeinde ging in sich und organisierte eine ganze "Love Week". Heute wird in der Hauptstadt für die Beibehaltung des Berliner Raver-Umzugs demonstriert.

Die Love Parade hat die Retter, die sie verdient. Gotthilf Fischer ist einer von ihnen. Mit Tausenden von Ravern träumte sich der ewig lächelnde Chorleiter und permanente Jugend-Versteher nach der Absage der Parade Anfang April ins liebliche Remstal. Dorthin, nach Stuttgart, sollte die Love Parade umziehen. Fischer faselte von einem Fest für Jung und Alt, einem musikalischen Reigen in Frieden, einer Frischzellenkur unter dem Mercedes-Stern. Die Love Parade blieb abgesagt - und Fischers Hilfsangebot ist ein Grund, warum das auch gut so ist.

Die Techno-Parade steckt in einer fundamentalen Krise. Sie will einen Lifestyle zelebrieren, der in der momentanen Jugendkultur nicht verankert ist. Mehr noch: Sie frönt nostalgisch den Neunzigern, blickt zurück auf eine bessere Zeit. 1989 tuckerten 150 Anhänger der DJ-Kultur auf einem gemieteten Kleinlaster über den Kurfürstendamm, um eine neue Popkultur-Ära einzuläuten - weg von der einzwängenden Formel des Songs hin zur auflösenden Form des Tracks. In verschiedenen Versionen eroberte Techno das kollektive Bewusstsein, versickerte aber zu Beginn des neuen Jahrtausends zugunsten von Rap oder Nu Metal.

Was fehlte, war der menschliche Makel. Die Vereinigung der Massen über den Beat funktionierte nur so lange, bis das Deckenlicht im Club wieder eingeschaltet wurde - oder die Wirkung der Stimulanzien nachließ. Das Gesamterlebnis Techno stellte eine auf Vorhersehbarkeit getrimmte Freizeitgestaltung dar, die jedes Wochenende eine Wiederholung forderte. Irgendwann nutzte sich die Ekstase in der Endlosschleife ab.

Um die Jahrtausendwende fragten sich selbst Künstler aus dem Umfeld der elektronischen Musik: Wo bleibt die Stimme? Hat Paul van Dyk eigentlich Pickel? Die Rückbesinnung auf Musik und Performance vor der Techno-Hochzeit - also auf die Achtziger - setzte ein. Der perfekte Track war nur noch Schall und Rauch.

Heute regiert der Defekt. In der Rapmusik thematisieren Künstler fast nichts Anderes als ihre Abnormalitäten: Seitensprünge, Schusswechsel und Modeexzesse. Im jugendlichen Rock schreien dünne Stimmen gegen gewaltige Gitarrenwände an. Die elektronische Tanzmusik spielt eine geradezu minderwertige Rolle, ihre Präsenz in den Verkaufscharts ist lächerlich. Das muss eine Großveranstaltung wie die Love Parade reflektieren - sei es in einer verschlankten Wiederauflage oder der eigenen Abwicklung. Das bedeutet nicht den Untergang des Abendlandes, sondern einen von Altlasten befreiten Neuanfang.

Dass er erfolgen muss, dafür sprechen viele Faktoren. Zuletzt leisteten sich dubiose Interessenvertreter wie die Soap-Stars von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" einen Wagen, während so manches kleine Label die Kosten für Anmeldung, Anmietung und Security einfach nicht mehr aufbrachte. Das Stammpublikum blieb dem Spektakel im Zeichen der Beliebigkeit fern. Es kamen Karnevalisten, die von der Ursuppe Techno genauso viel verstanden wie der mit Jugendkultur beschlagene Gotthilf Fischer. Techno meint nicht: Grinsen, Bier trinken und verbotene Hüte tragen. Aber ebenso wenig darf Techno zum Synonym für zickige Diskussionen werden, wer denn dieses Mal den Müll raus bringt.

Das Manko der Love Parade war oft die Parade selber. Das Drumherum - die 100 Club-Nächte von Donnerstag bis Montag - funktionierte bestens und gab der Szene mehr Rückhalt als die Wasserduschen auf den Trucks. Das könnte sich dieses Jahr durchaus wiederholen. Obwohl die Parade nicht stattfindet, läuft in Clubs wie "WMF", "Watergate" und "Polar.tv" alles wie sonst im Juli: Eine hochkarätig besetzte DJ-Nacht jagt die nächste. "Love Week" nennt sich die Eigeninitiative der Clubs, die aus der Not eine Tugend macht.

Machen muss: Die bekannten DJs sind seit Monaten für viel Geld gebucht. Einzelne Clubs sind auf die musikalische Ausnahmesituation finanziell angewiesen - so manch einer kompensiert damit sein Jahresrest-Minus. Dementsprechend teuer kann es an einigen Kassen werden. Tickets um die 20 Euro dürften keine Seltenheit sein.

Auch das Umfeld der Love Parade übt sich in Aufbruchstimmung. Unter dem Motto "Fight The Power - Clubculture vs. Ignorance" organisiert die Szene-Zeitschrift "Partysan" am 10. Juli einen Umzug von fünf Wagen durch den Westen Berlins. Das Ziel: die Wiedereinführung der Love Parade. Neben altbekannten Lokalmatadoren wie den DJs Westbam, Paul van Dyk und Ellen Allien sorgt auch Dr. Motte für Spaß: Er hält eine seiner beliebten Reden. Der Tarnmantel der politischen Demonstration verschleiert dabei kaum den wirtschaftlichen Hilferuf. Boris Eichler, Sprecher der Veranstaltung, forderte auf der Pressekonferenz die Politik auf, die Clubszene mit Respekt zu behandeln. Sie sei ein junger Industriezweig, der Arbeitsplätze in Berufen der Zukunft schaffe.

Solch gruselige Ökonomen-Rhetorik verhilft der Techno-Bewegung zu keinem neuen Glamour. Daraus erwächst nur der Eindruck, Techno sei ein subventionsbedürftiges Musikgenre und damit im Reich des Schützenswert-Musealen angekommen. Die Erneuerung kann nur durch Kreativschübe von unten, nicht durch Finanzspritzen von oben kommen. Das haben gut gemeinte Rock-Wettbewerbe und schlecht gemachte Casting-Shows zur Genüge gezeigt: Ist daraus je ein nennenswerter Star hervorgegangen?

Die Parties in Berlin manifestieren Unterschiedlichkeit, Lebendigkeit und das Durchhaltevermögen einer einstigen Jugendkultur. Niemand wird dabei einen von feinen Urinschwaden durchfeuchteten Tiergarten vermissen. Die Parade als Ereignis braucht eine Auszeit, um sich zu regenerieren.

Eine Chance für den Neuanfang haben alle Beteiligten im nächsten Jahr. Dr. Motte bestätigte bereits, dass die Love Parade 2005 dank finanzieller Beteiligung des Elektronik-Konzerns Samsung gerettet sei. Dann gilt es zu sehen, was vom Mythos übrig bleibt.

Ganz frei von Musik ist der Tiergarten an diesem Wochenende dennoch nicht. Die Demonstration "Music Day" will sich gegen die Kommerzialisierung der Musik engagieren und fordert eine Sicherung unabhängiger Musikkultur. Zuerst musste sie allerdings um die Sicherung des Ablaufs fürchten. Offensichtlich vermuteten Behörden und Ämter eine pseudo-politische Event-Kultur à la Love Parade. Erst nach einem schwer durchschaubaren Hickhack zwischen Verwaltungsgericht, Versammlungsbehörde, Polizei und Veranstalter wurde der "Music Day" am Freitagnachmittag als Demonstration genehmigt. Dieser Status wurde der Love Parade 2001 in einem Entschluss des Bundesverfassungsgerichtes aberkannt.

zitiert aus: SPIEGEL ONLINE vom 10. Juli 2004, 11:51
URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,308095,00.html


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