Lasst die Bücher sprechen!

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 19. Oktober 2020 um 20 Uhr 34 Minutenzum Post-Scriptum

 

9:00 Uhr:

Nach der Diskussion um die Zukunft der Bücher in einer sich digitalisierenden Welt wird im Internet über die Zukunft der Buchbranche diskutiert.

Der Einstieg in diesen Buchmessen-Tag wurde von diesen Sätzen getriggert:

 Was fehlt bei der Digitalisierung? Das Menscheln!

 Und was fehlt den Menschen? Texte zum Anfassen!

 Und was fehlt den Texten? Die Stimmen!

Heute war für den Online-Beobachter der erste "echte" Buchmessen-Tag, wenn auch ganz ohne Herumgerenne zwischen den Hallen, von einem Stand zum nächsten, nach den Vorgaben des wahrlich dicken und allenthalben verlockenden Veranstaltungsverzeichnisses, das oft schon im Voraus eifrigst studiert wurde, um eine Art Fahrplan für den Ver-Lauf durch das Gelände zu entwerfen.

An diesem Tag ist vieles anders. Anstatt reiflicher Planung wird jeweils on the spot über den Programmablauf aktuell entschieden, nach dem simplen Motto: What’s on? Das hat vor allem damit zu tun, dass es eine Weile gedauert hat, bevor dieses neue Format auch wirklich angekommen ist - und angenommen wurde: Nicht nur technisch, sondern auch im Kopf, am Schreibtisch, in den Sinnen.

Dass es so kommt, schafft aber eine seltsame Konnotation zu all jenen Sätzen, die von vielen MesseBesucherInnen immer wieder in den vergangenen Tagen in den Medien vorgetragen wurden: Wie wichtig für sie gerade jene Begegnungen seien, die der Zufall eingefädelt habe.

Also wird, anstatt das Programm zu studieren, als erstes Zugangsmedium am Morgen nicht der Rechner, sondern das Radio aktiviert. Und damit, ohne dieses wirklich so geplant zu haben, das Thema "Audio" zu d e m L e i t m o t i v dieses Tages.

10:05 Uhr

Die Buchmessen-Sendung im Deutschlandfunk Kultur bezieht sich natürlich auf diese Veränderungen, lädt AutorInnen ins Studio in Berlin anstatt auf den Stand in Frankfurt am Main ein und heisst sie dort willkommen: in Persona oder über die eine oder andere Schalte.

Schon vorproduziert - und dann um ein Gespräch mit dem Preisträger erweitert - ist der Beitrag von Hans von Trotha: "Mops des Jahres": in dem nicht nur der Sieger-Titel verkündet wird, sondern auch eine lange Liste all jener Publikationen, die sich seit Beginn der Corona-Zeit, also seit dem Frühjahr dieses Jahres, auf dem Buchmarkt als besonders auffällig zu erkennen gegeben haben.

11:00 Uhr

Der Zugang zu den Online-Angeboten des Messeveranstalters war bis dahin noch mit einer Reihe von Hürden verstellt:

Konnte aber schliesslich - mit dem telefonischen Support eines Mitarbeiters aus einem Home-Office - behoben werden. Er stellt fest, dass ein bereits in den Jahren zuvor genutzter Online-Zugang noch aktiviert sei und - sollten die entsprechenden Daten noch bekannt sein - auch weiterhin genutzt werden könne.

11:30 Uhr

Socially critical and environmentally aware - the "New Sobriety" Generation

Young people in conversation with representatives from the young adult book field. Best-selling author Cornelia Funke discusses with 14 year old Mirai about environment and about writing and creating new worlds

Von diesem Dialog konnten gerade noch die letzten Fetzen aufgespürt werden. Und von Frau Funke erfahren, dass sie die USA zu verlassen gedenke, sollte der derzeit regierende Präsident bei den Wahlen im November 2020 in seinem Amt bestätigt werden.

12:00 Uhr

THE ARTS +

Licensing & Merchandising im Fokus

Die Gäste diskutieren das Thema "Sharing Is Caring? Digital Dilemmas for the Cultural Sector".

Holger Volland (Vize-Dirktor der Buchmesse und Gründer von ARTS+) eröffnet den Dialog, in dessen Verlauf die folgenden Personen zum Gespräch eingeladen werden:

Leah Dickerman (MoMA): "We did not want to get dark!" The Museum as a place to elevate voices and to share experiences." "We won’t go back to the way it was."
"How do you calibeate time in different Media?" There are weird time-challenges."

In wenigen Sätzen bringt sie die aktuell wichtigsten Phänomene auf den Punkt: dass mit der Digitalisierung und der Netzrepräsentanz der Kunst die Fragen nach (Ausstellungs-)Raum und (Darstellungs-)Zeit neu gestellt werden müssen. Und werden. Ihre These: Die Aufgabe des Museums ist nicht länger ’nur’ CONTENT, sondern COMMENTARY.

Hrag Vartanian (Hyperallergic): "Super engaged in social media since day one." "Communities have their say and institutions have to listen." "To travel with your work has become a necessity."

Künstlerin Maryam Jafri: "Digital or Internet?" "How things are being made has changed! "There is no public research infrastructure in the digital sphere?"

Ihre These: Die KünstlerInnen haben nicht mehr das Privileg des Besonderen. Auch um den Preis, dass es einen Überfluss an Produktionen gibt. Das führt dazu, dass die Aufgaben der KünstlerInnen sich um einen weiteren Parameter erweitern: "REMOVING".

Stein Olav Henrichsen (MUNCH): Wir dürfen das Netz nicht dem Kommerz und der Politik überlassen! Aber auch die digitalen Produktionen kosten Geld und bedürfen der Finanzierung. Auch, wenn die meisten der Angebote an das Publikum diesem nichts kosten. Er sagt weiter: Nach der Produktion von Katalogen haben wir uns heute zu einer "media company" entwickelt. Eine Herausforderung für Kuratoren, die bisher eher traditionell gearbeitet haben.

13:52 Uhr

Kehren wir nochmals zum Radio zurück. Dieses Mal zur Sendung "Wirtschaft am Mittag" im Deutschlandfunk. Dort stellt Wolfram Schrag eine Reihe von Buchtiteln mit Wirtschaftsthemen vor. Es gelingt ihm trotz der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung steht, einen Überblick anzubieten, der über das Aufzählen der einzelnen Titel doch ein gutes Stück hinausgeht: So geht Radio: Bravo!

14:00 Uhr

Noch gar nicht erwähnt wurde das parallel dazu laufende Programm auf der ARD_Buchmessen_Bühne, das unter diesem Link abgerufen werden kann:
https://www.buchmesse.de/digitale-buchmesse/live-programm/ard-buchmessenbuehne
und das ebenfalls mehr als nur einen kurzen Besuch lohnt.

Dort werden gerade zwei Streiter_Innen von Hadija Haruna-Oelker unter dem Themen-Titel: "Leben gegen Diskriminierung?!" vorgestellt. Und da in der Online-Ankündigung die Autorinnen-Namen mit den Titeln ihrer Bücher verwechselt wurden, diese hier nochmals in der richtigen Zuordnung: Melisa Erkurt mit "1000 Serpentinen Angst“ und Olivia Wenzel mit “Generation haram - Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben“

15:05 Uhr

Hier geht es um die Zukunft von Audio im Zusammenhang mit der Zukunft des Buchvertriebs:

Jonas Tellander, CEO, Storytel AB, will be interviewed by Elena Neira, Audiovisual Consultant, about the future of audio.

Die Ausführungen sind ebenso dicht wie interessant, auch in der sich anschliessenden Fragen- und Antworten-Runde.

Daher die Empfehlung, sich diesen gesamten Beitrag nochmals anzuhören und anzusehen, wenn die Mitschnitte auf der Buchmessen-Seite bereitgestellt sein werden.

15:20 Uhr

International panel: "The subscription economy: Looking at consumption behaviour"

How are subscription and streaming services helping audio reach new markets and new audiences? How did the lockdown drive digital consumption? Is audio benefiting from the Netflix and Prime effect whereby people are getting used to paying for digital content? How does streaming help the back catalogue?

Hier ein Screenshot vom nachfolgenden Panel mit den folgenden TeilnehmerInnen:

Magnus Nytell
Head of Global Expansion Nextory

Javier Celaya
CEO and Founder
Dosdoce.com

Mette Hammerich Caserta
Internal Business Consultant
Saga Egmont

Julie MacKay
Director of International Content Acquisition
Scribd

Erstaunlich ist, dass jeder dieser neuen Dienste - jeder auf seiner Art und Weise - eine Erfolgsgeschichte zu erzählen hat. Die sich vielleicht einfach so zusammenfassen lässt: Als die Umsetzung der Idee von einem Buchclub ZweiPunktNull.

Was hat sich verändert? Die neuen Formate beziehen sich nicht länger nur auf die Menschen, die im Sessel sitzen, um zu lesen. Sie beziehen sich vornehmlich auf eine jüngere Schicht von Konsumenten. Und die - man glaubt es kaum - in der Folge auch ihr Leseverhalten intensivieren. Dabei wird klar, dass der Erfolg der digitalen Buchbranche nicht so sehr von dem ’Erfolg’ der e-books bestimmt wird, sondern von dem der Audio-Dienste. Auch die back-lsts finden hier eine neue Bestimmung. Nein, so die These, eine solche Liste gäbe es für Audio-Distribution nicht.

Posdcast? The New Black! Aber noch kaum integriert in die Hör-Buch-Szene.

16:00 Uhr

Exclusive Presentation of the Report "Listen & Read: The Battle for Attention"

In this session, Videl Bar-Kar will exclusively present key facts from new market research across 1,000 representatively selected e-book, audiobook and podcast consumers in Germany. The study was conducted by an independent market research company from mid-August to mid-September 2020 and thus the white paper provides the most up-to-date and detailed insights into user behavior currently available. The session will answer some of the following questions: Who will win the battle for the attention of readers and listeners – e-books, audiobooks or podcasts? Does listening to digital formats fuel digital reading or does it weaken it? Which formats attract the attention of users of e-books, digital audio books and podcasts? Where do they consume their content? With what intensity – and what motivation?

16:20 Uhr

Audio Rights – The Key to Market Growth

Growth of the audio industry hinges on getting more content into the market. Finding the right balance between direct publishing and sub-licensing or co-publishing is a good way to optimally exploit rights and ensure broad reach for content. A look at the rights market and trends across markets.

Lance Fitzgerald
Vice President, Content and Business Development
Penguin Random House Audio

Aus diesen nachfolgenden Präsentationen wurden zunächst viele der Ergebnisse mitgeschrieben und dann, durch einen Schaltfehler, versehentlich gelöscht: Never mind!

Ein Grund mehr, diese beiden Präsentationen ebenfalls nachzuhören: Denn hier gibt es einen guten Überblick über den Markt in Deutschland - von Bookwire [1] - und den Markt in den USA - von Penguin Random House Audio Publishing.

Ja, man liest in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, aber hören?

Interessant zu hören: Das global wirksame Audio-Erlebnis wird es wohl nicht so schnell geben - im Gegensatz zum Film. Aber es gibt viele regionale Angebote: aus und für Spanien, Portugal, Deutschland, ...

16:45 Uhr

The next audio format for publishers? Podcasts!

The podcasting and audiobook market continue to grow – more than most other segments of the media and entertainment industry. Are publishers leveraging the full potential of podcasting to tell new stories and forge new partnerships? How can podcasts best be monetized and is it time to move from revenue pool models to user-centric compensation models?

Morten Strunge
CEO & Founder
Podimo

Alice Lloyd
Commissioning Editor Audio & Podcasts
Trapeze Books, Orion Publishing Ltd.

Clarissa Pabi
Content Development Manager
Acast

In diesem Podcast-Panel wird das Thema nochmals von einer neuen Seite beleuchtet - und bestätigt, was schon zuvor gesagt wurde:
 Die Fixierung auf das Buch als ausschliessliche Quelle für Inhalte weicht mehr und mehr auf
 Die Bedeutung von Audio nimmt mehr und mehr zu, wobei die potenziellen NutzerInnen eher ’formatagnostisch’ sind
 Der Podcast ist für sich selbst alles andere als ein ’Goldesel’, aber ein notwendiger Partner für den Erfolg eines (Buch-)Titels
 Short-Form-Audio hat eine grosse Zukunft: Die aktuellen Umsatzzahlen werden sich in wenigen Jahren vervielfachen...
 Die Nähe zu Radio-Formaten macht einen Podcast besonders attraktiv
 Die Audio-Rechte sollten als eigene Rechte berücksichtigt werden
 Podcast-Formate können andere (auch auslaufende TV-)Formate verlängern
 Die Podcast-’Gemeinde’ ist die am schnellsten wachsende, aber immer noch eine kleine
 Podcast-NutzerInnen können viel besser analysiert werden als Audio-Book-NutzerInnen
 Podcast-First kann ein gate-opener für andere Formate sein!

Hiermit ist die "Frankfurt Conference 2020" beendet. Wie schon gesagt, all diese Beiträge werden demnächst auf der Book-Fair-Webseite zur Verfügung stehen und bedürfen an dieser Stelle keiner ausführlicheren Kommentierung.

Entscheidend an diesen Online-Beiträgen war zu sehen, nicht nur, wer dabei war, sondern auch, wer aus dem Buchmessen-Team an welcher Stelle, an welchem Ort und zu solchen Themen die Fäden gesponnen und jeweils zu einem interessanten Netz zusammengesetzt hat.

17:00 Uhr

Where Publishing and the Pandemic Meet – The Future of Science and the Path to Digital Transformation Starts with Researchers

Das Ganze meisterhaft moderiert von Christopher Kenneally von einem der Hauptsponsoren in einer LiveStreamShow, in der aber auch nichts dem Zufall überlassen worden ist. Ein Panel, das wahrlich seine Berechtigung hat, zumal es nach neuen Wegen der Beschleunigung und ’Demokratisierung’ wissenschaftlicher Publikationen sucht.

Dennoch schweigt an diesem Punkt des Kommentators Höflichkeit, der in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Texten bei SpringerNatur untergebracht und für alle diese mit jeweils einem Belegexemplar ’entgolten’ wurde.

18:30 Uhr

Reaching New Readers: How to Expand Your Audience to New Markets

Publishers are always looking to expand beyond their reader base, whether trying to reach a new, young audience, selling books to new countries or markets, or encouraging interest in stories set in a different country or featuring a different culture. In this panel, we will discuss strategies for promoting books to these audiences, and what publishers can do themselves to help reach new readers.

Maria B. Campbell
President
Maria B. Campbell Associates, Inc. / Maria B. Campbell Associates UK Ltd.

Erin Cox
Head of PR US
Frankfurter Buchmesse

Indira Birnie
Senior Manager Audience Marketing
Penguin Random House UK

Bwesigye Bwa Mwesigire
Author, activist and academic
Centre for African Cultural Excellence

Schade: Warum wurde dieses Gespräch zuvor aufgezeichnet? Der Verlauf des heutigen Tages, die hier und heute präsentierten Aussagen, hätten am Ende des Tages unter diesem Titel wunderbar zusammengefasst werden können. Was aber keine Aussage gegen die Qualität dieses Panels ist.

Interessant an dieser Begegnung, dass schlussendlich dann doch noch die Umsetzung des Themas Book-to-Film eine Rolle spielt. "Nexflix defines the global market locally." Die Nachricht dieser Aufzeichnung lautet:
"All the light we cannot see" von Anthony Doerr wird produziert werden, und zwar in Europa.

Finis

In einer Zusammenfassung dieses Tages gäbe es viel Lob und wenig Tadel: Die ’neuen’ digitalen Formate haben sich etabliert, technisch und interkulturell. Und wenn es immer noch Kandidaten gibt, die ihre Kamera im direkten Gegenlicht zu einem Fenster aufstellen, so ist solch eine audiovisuelle Dummheit inzwischen die Ausnahme von der Regel...

Es gibt Möglichkeiten der Interaktion, auch wenn nach wie vor die Möglichkeit nicht gegeben ist, im Nachgang zu diesen Präsentationen auf die Eine oder den Anderen zuzugehen und ein Gespräch zu vereinbaren. Aber vielleicht ist ja das inzwischen auch schon Online möglich und die entsprechenden Angebote sind nur noch nicht gesichtet und adäquat genutzt worden...

Und, wie gesagt, es war endlich möglich, auch die Macher der Messe als Dialog-Partner erleben [2] und wertschätzen zu können. Gut so!

P.S.

Dass dieser Bericht von heute nur ein kleiner Ausschnitt aus dem ganzen Programm ist, zeigt der Dlf Kultur-"FAZIT" Beitrag von Stephanie von Oppen, Frankfurter Buchmesse virtuell - Bericht vom 2. Messetag, in dem auf viele weitere hier nicht erwähnte Programm-Punkte und -Ereignisse verwiesen wird:

Frankfurter Buchmesse virtuell - Bericht vom 2. Messetag
Es gelten die Regeln des Urheberrechts Deutschlandfunk Kultur/AKTUELLE KULTUR UND POLITIK (2020)

Anmerkungen

[1Das in der Präsentation gemachte Angebot, Einsicht in die Marktstudie nehmen zu können, kann über diese Download-Plattform umgesetzt, oder über hier in diesem ausgewiesenen Press-Link nochmals zusammengefasst, oder auf SoundCloud nachgehört werden: in einer englischen Fassung und in einer deutschsprachigen Fassung.

[2Hier an dieser Stelle auch das EröffnungsGespräch mit Jürgen Boos, das wahrlich Beachtung verdient


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