Leviten-lesen auf den "Berliner Lektionen"

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 7. November 2004 um 21 Uhr 23 Minuten

 

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Mit seiner
Berliner Lektion liest Roger de Weck seinen Leuten die Leviten

oder:

RdW sucht im Renaissance-Theater nach der Renaissance des Journalismus

Vor dem roten Samtvorhang auf der Vorbühne: ein Pult mit einem Glas Wasser „damit mein Vortrag nicht zu trocken wird“ und einem Mann dahinter. Kurzes dunkles gelichtetes Haar, die durchaus kantige Züge eines offenen Gesichts, im grauen Anzug und mit silbergelb glänzendem Schlips (wer ihm den wohl ausgesucht hat ;-)?

Mit Witz im Detail, geht es bei ihm ums Ganze: Medienschelte und Kulturkritik. Ein „Nestbeschmutzer“ mit dem unwiderstehlichen Drang, nach (s)einer eigenen Zukunft zu suchen - und der seines Gewerbes. Nicht nur bei den mit seinem Meister Sommer gekosteten Gläsern und Flaschen guten Weines, sondern auch in der Öffentlichkeit.

Schliesslich, so RdW, hätten es ja die Weintrinker und -Abfüller auch geschafft, dass ihr Ware sich in der Qualität verbessere - und im Preis. Warum es denn nicht gelänge, dass auch eine Zeitung zumindest zum Preis einer Tasse Kaffee verkauft werden könne?
Recht hat der Mann: der Kaffe ist echt teuer geworden - zu teuer :-( ?

Man habe trotz dieser sich ständig wandelnden Zeiten gar nicht mehr so viel selbst Recherchiertes zur Verfügung, so dass man man den Leuten heute zum Frass vorwerfen würde, was längst keine „Nachricht“ („danach kann man ich auch richten“) mehr sei, oft nicht einmal eine News, sondern nur noch eine Message, die aus sich heraus lebt und belebt zu zum schlichtem Content verkommen sei.

Solches Contentbuilding, das geschehe durch eines jener 5 Verfahren: durch die Dramatisierung, die Wiederverwertung, die Selbstbezogenheit, die Erschliessung ganz neuer Themenfelder und die Erfindung eigener Kunstwelten.

Kein Wunder, dass es heute zu Konglomeraten gekommen sei wie jenem Zusammenschluss der Häuser Time, Warner und AOL - so RdW [dessen griffiges Beispiel aber auch zeigt, dass es nicht geklappt hat mit dieser Konvergenzstrategie] - und dann legt er sich so richtig ins Zeug: aus dem klassischen Verleger sei der Verlagsmanager geworden, aus dem Verlag ein Konzern, aus den Publikationen "Objekte", usw., usw..

Und diese Beschreibung des Wandels wird eingebettet in einer Summe wichtiger Wahrheiten, wie: dass die Medien die Inhalte schaffen und nicht mehr die Inhalte die Medien, dass sie zwar immer allgegenwärtiger werden, aber ihr Horizont immer eingeschränkter sei, dass das Ausland (r)ausfalle zu Gunsten des Regionalen und Lokalen, dass die Eltern heute nicht mehr als die Vermittler von Wissen, sondern allenfalls noch von Werten ins Augenmerk der Kinder gerückt werden, dass es bei den Journalisten mehr Populisten gäbe als bei den Politikern und dass die Weltverbesserer der 68er Generation durch die Zyniker abgelöst worden seien, die nur noch das Eine wollten: verkaufen.

Mit Wahrheiten wie diesen ist ihm der Applaus sicher. Und dank ihrer gekonnten Präsentation mit den von Dr. Sommer so hoch gelobten geschliffenen Sätzen - und den von mir so geliebten Humor - auch zu Recht.

Und doch, eben dadurch, dass er auf so hohem Niveau Recht hat und gute Belege beifügen kann wie schwer das sein kann auf seinem Recht auf Meinungsfreiheit zu bestehen, eben weil wir diesen Mann als einen Leuchtturm in dem Meer des medial verseuchten journalistischen Unrates germe auszumachen bereit sein, eben deshalb kann ich mir nicht helfen etwas anderes zu tun, als zu fragen: "und was nun?"

Es hätte mich gefreut, wenn sein Text früher zu Ende gewesen wäre und sich stattdessen die beiden Kämpen für den guten Journalismus in den ach so schlechten Zeiten auf der Bühnen zusammengesetzt und öffentlich gegenseitig befragt hätte: "was ist nun zu tun?".

Es wäre gerade die richtige Zeit gewesen für eine kleine intime Runde; wie einst bei Höfers Frühschoppen - genau: mit einem feinen Riesling oder einem Grauburgunder aus Baden. Echtes Infotainment für den Zeitleser am späten Sonntagvormittag!

RdW hält nicht viel von solcher Dominanz der Verpackung, zumal, wenn durch sie das Fehlen von guten Inhalten ersetzten werden würde: Sei es durch deren Personalisierung und schlicht und einfach durch ihre Verdrängung durch Showelemente, durch die Reduktion von Komplexität zu Gunsten des Effekts. Er spricht von dem „divertissement“, von der französischen Doppeldeutigkeit eines Wortes, das mit der Unterhaltung auch die Ablenkung verbindet.

Ja, warum denn nicht: Vielleicht ist es an der Zeit, dass unser kritischer wie wohlmeinender Blick notwendig ist, um sich über das Ges(ch)ehene zu unterhalten: Und sich dabei dann ganz bewusst abzulenken vom aktuellen Jammertal um nach vorne zu schauen auf das, was der Journalismus Morgen noch wird leisten können.

Denn hier und heute, lieber Roger, in diesem Renaissance-Theater hatten der Journalist wie sein Publikum die Chance, ohne die ZEIT-Zeitung wirklich auf einander zu hören. Zuzuhören! Respekt zu zeigen vor der Leistung derer, die die Nachricht schon verstanden haben - und nicht nur vernommen.

Richtig: es ist heute nicht mehr nur die Kunst, mit Nachrichten zu informieren, sondern die Abschottungen zu durchbrechen, die von dem „weissen Rauschen“ in der Medienlandschaft aufgebaut worden sind. Nicht Airtime ist angesagt, sondern Aufmerksamkeit. Und die war heute in diesem Theater gegeben: voll und ganz.

Der schönste Satz in dieser insgesamt gelungenen Eskapade von Text und seiner Überhöhung durch das gesprochene Wort war jener Moment, als es hiess: „Das Nicht-Darstellbare ist das Wichtigste“.

Hier, an eben diesem Punkt gilt es, den angestossenen Dialog aufzunehmen, weiterzuführen und nach den Zukünften zu fragen, in denen wir alle, Weintrinker wie Biertrinker und Abstinenzler, an einem gemeinsamen „kathegorischen Imperativ des Journalisten“ arbeiten können: der von denkbaren, erlebbaren, kommunizierbaren und verwertbaren Kathegorien lebt und nicht nur vom „Fimmel für Formen und Formate“.

WS.


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