Vom Karneval lernen

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 8. Februar 2005 um 18 Uhr 43 Minuten

 

Da es zu diesem Thema sicherlich beredtere Stimmen gibt als die hiesige aus Berlin, zitieren wir ersatzhalber in diesem Jahr als Artikel Nr. 07-02-05-423041 einen Kommentar von Florian Ries aus
prportal.de . Auch auf die Gefahr hin, dass er zumindest in einem Punkt riskiert, sich eine "Gegendarstellung" einzufangen. Geregnet hat es nämlich am besagten Rosenmontag zumindest nach den uns vorliegenden Augenzeugenberichten nicht: ausser Kamellen!

Ach, endlich ist hier zu Lande wieder die fünfte Jahreszeit ausgebrochen - mit der Wucht einer mittelschweren Grippe-Epidemie. Gestern war Rosenmontag. Und weil es mir zu kalt zu regnerisch, zu voll oder zu laut ist, um mich selbst an die Strecke zu stellen, schaue ich mir die Zusammenfassungen der Züge meistens in der Glotze an.

Gestern ist mir dabei was aufgefallen: Wussten Sie schon, dass der Karneval ein "Paradebeispiel" für den Corporate Gedanken ist? Ehrlich: Welches Unternehmen kann schon so viele Menschen zu solch einer Schinderei hinter sich scharen? Stundenlanges Ausharren in der Kälte, laute Musik, ewiges Schritttempo und frenetisch jubelnde Verrückte überall um einen rum? Und das noch ohne Bezahlung, Schichtzulage und Freizeitausgleich? PR-Strategen könnten sich also ruhig mal fragen, ob vom Karneval lernen gegebenenfalls siegen lernen bedeutet.

Nehmen wir das Stichwort Corporate Fashion. Immer wieder gibt es Mitarbeiter, die wollen sich einfach nicht dran halten. Und jetzt schauen Sie sich mal so ein Funkemariechen an. Glauben Sie, dass so eine Uniform bequem ist? Nein. Trotzdem (er)trägt es sie mit stoischer Ruhe und Stolz. Und das gilt vermutlich für alle Aktivisten. Jeder geht und kommt im vorgegebenen Look, vom Stiefel bis zur Feder auf der Kappe. Da gibt es kein Murren über Uniformität, Modediktat oder den Verlust von Individualität!

Oder nehmen Sie mal den Aspekt Corporate Wording. Ob Kölnisch oder Mainzerisch, ob das Düsseldorfer Platt oder das Frankfurter - meine These lautet: Karnevalsnarren sprechen alle die gleiche Sprache. Das erlaubt ihnen, sich untereinander leicht zu verständigen und verschafft ihnen in der närrischen Zeit einen Wettbewerbsvorteil. Von ein paar Fachausdrücken wie Helau, Alaaf usw. mal abgesehen, ist das Vokabular der Zoten und Witze doch sehr einheitlich. So einheitlich wie es sich manches Unternehmen nur wünschen könnte.

Ein letztes Beispiel: die Fahrzeugflotte der Karnevalszüge. Die ist meist nach allen Regeln der Kunst "gebrandet". Alle wichtigen Wahrzeichen spiegeln eine gemeinsame Identität wider. Und dass der Wagen vom Prinzenpaar der größte und schönste ist, ist Grund zum Jubeln, nicht Anlass für Kritik.

In wichtigen Kernbereichen ist der Karneval der PR also weit voraus. Doch er besetzt auch Nischen, die der freie Markt noch nicht entdeckt hat: Mit Corporate Food beweisen die Festkomitees seit Jahrzehnten, dass Menschen für ungesunde, eintönige und kalte Kost auch mal gerne Schlange stehen. Das sollen die Kantinen des Landes erst mal nachmachen. Aber Vorsicht: Mit Kamelle, Berlinern und Promille klappt das nur bis Aschermittwoch. Danach mutieren die lebensbejahendsten Karnevalisten oft wieder zu nörgelnden Arbeitnehmern. Wolle mer se reinlasse?


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