In Memoriam Micky Kwella: gestorben am 7. Februar 2003 [1]

Es ist jetzt 60 Jahre her, dass die bis dahin im Krieg weitgehend unversehrt in Dresden lebende Bevölkerung mit Tod und unendlichem Leid den Preis dafür zu zahlen hatte in einem Staate zu leben, dessen wohlgewählte Führer und Helfershelfer sich über Andere erhoben hatten, ums ihrer Unterwerfung und Vernichtung willen.

Während dieses Ereignis - gerade mit dem aktuellen Blick auf den Landtag in Dresden - doppelt deutlich in das Scheinwerferlicht der Presse gerät, werden zur gleichen Zeit an dem Award-Abend der "Transmediale 05" drei Preisträger ausgelobt: Camille Utterback aus den USA, Thomas Köner aus Deutschland und "5voltcore", das sind Emanuel Andel & Christian Gützer aus Österreich.
Jede(r) von ihnen, der (die) auf die Bühne gerufen und dann an das Mikrophon gedrängt wird, ist glücklich überrascht - und gehemmt zugleich: "Warum gerade wir" fragt jede(r) von ihnen auf seine Weise in das Publikum und sie alle verweisen auf die vielen anderen guten Arbeiten, die sie in den vergangenen Tagen in Berlin während der transmediale gesehen haben.
Dass diese beiden Ereignisse in einem inneren Zusammenhang stehen, soll hier nicht behauptet werden. Hier in Berlin geht es um eine Preisverleihung, die Zeichen setzen will für die Zukunft "der digitalen Medien in Deutschland" und dort in Dresden um eine öffentliche Diskussion um die Bedeutung der Geschichte als Mahnmal der Vergangenheit und Warnung vor der Zukunft. Und doch ist im Spiegelbild dieses anscheinend zufälligen Zusammenhangs deutlich die Stärkte und Schwäche beider Ereignisse besser erkennbar.
Die transmediale.05 "BASICS" sucht nach künstlerischen Arbeiten mit digitalen Technologien. Sie untersuche "die ästhetischen und ethischen Grundlagen einer überdrehten, hyper-potentiellen Kultur" und stelle Modelle der künstlerischen Praxis vor, "deren Ethik nicht auf vergangenen Wertsystemen, sondern auf der Aneignung der extremen und widersprüchlichen Gegenwart basiert".
Zwei Dinge, die beim Lesen dieses Textes auffallen:
Erstens: der diesen Zeilen nachgeschaltete und in dickem rot gehaltene Link mit der Aufforderung nach "MORE" lässt sich nicht aktivieren. Erst nach so manchem Herumsuchen führt ein "work-around" über die rot unterlegte Überschrift auf die ankündigte Themenseite weiter, die alsdann auf "Deutsch" fragt: "globalisation is making societies hyper-potential, open, fractured - what is fundamental, what’s essential, what’s vital?"
Und zweitens ist der hier postulierte Aktualitätsbezug von recht vordergründiger Attraktivität. Er ist hilfreich, den transkategrialen Dialog im Hier und Jetzt zu beflügeln aber zugeleich ein Hemmschuh für die Begreifen des eigenen Diskurses als Zeichen (s)einer Zeit - im Sinne einer Epoche.
"Unsere Erfahrungswelt", so der elektronische Klappentext dieser Veranstaltung, werde "maßgeblich von Technologien geprägt: Internet und Mobiltelefonie verändern soziale Beziehungen, Robotik revolutioniert die Industrieproduktion, während Biotechnologie ein neues Verhältnis zu Natur und Körper erzeugt." Und dennoch: "Obwohl technische Apparate zunehmende Einflussmöglichkeiten und Sicherheit versprechen, erleben wir wachsende Orientierungslosigkeit: Die ethische Frage, was man tun soll und wofür man Verantwortung übernehmen kann, wird überlagert von einer immensen Vielfalt an Optionen".
Und so weiter und so fort: vielleicht ist es systembedingt, sich mit solchen Binsenweisheiten profilieren zu müssen als "das größte und bedeutendste Festival für Kunst und die kreative Anwendung der digitalen Medien in Deutschland". Das sei hier ohne Häme gesagt. Allein, wenn man sich sogleich als Mahner und Ermunterer im Umgang mit den neuen Medien verstehen will, warum wird dann alles, was in diesem mentalen Durcheinander Orientierung geben könnte, aussen vor gelassen. Warum wird der Preis in drei Drittel geteilt aber zugleich die in den letzten Jahren noch bestehende kategoriale Bezüglichkeit aufgegeben? [2]
Um hier Missverständnisse zu vermeiden: es mag gute Gründe geben, selbst diese Bezüglichkeiten über den Haufen werfen zu müssen, dann aber sollte "man" den Mut haben, sich auf eine Arbeit und einen Preis zu einigen oder es ganz sein lassen.
WS.
PS. Inzwischen ist auch der "lux ziffer"-Award nach mehreren Anläufen über die Klinge der Geschichte des Vergessens gesprungen [3] Hätte es ihn noch gegeben, "5voltcore" wären die idealen Kandiaten dafür gewesen.

Aber hätte es ihnen wirklich recht sein können, von einem anonymen Spender 666,- Euro in Empfang zu nehmen für Bilder, die die bizarre Schönheit vor dem Tod extrem belebter Hardware zur Sinngebung ihrer Arbeit machen? Nein, diese jungen Leute haben nichts mit dem vielfachen Sterben in Dresden zu tun. Aber sie zelebrieren mit Erfolg im Hier und Jetzt, was den kriegsführenden Nationen bis heute nicht gelungen ist: einen klinischen Krieg gegen das durch sie aktivierte, abstrahlende und endzündbare Material des Gegeners zu führen - und nicht gegen Menschen. [4]
Summa Summarum: Ein Drittel vom Hauptpreis in Höhe von 8 [andere sagen 9] tausend Euro ist immer noch mehr als ein ungeteilter Betrag in Höhe von 666;-)
Fiat lux!