Mit dem heutigen Tag steht fest, dass eine Teilnahme an der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt am Main nicht erfolgen wird. Neben anderen Gründen ist dies der Tatsache geschuldet, dass bis zu diesem Zeitpunkt ein abschließendes Skript für das in Arbeit befindliche Buch noch nicht vorgelegt werden konnte.
Dennoch kann nicht gesagt werden, dass damit ein wesentliches selbst gestecktes Ziel nicht erreicht wurde, da in dem vergangenen Jahr der Vorbereitung sich außerordentlich viele Veränderungen eingestellt haben, die zu einer deutlichen Veränderung des ursprünglichen Konzeptes führten.
Dazu gehört vorrangig die Erfahrung, dass bei der zwischenzeitlich erfolgten Herstellung anderer Texte immer mehr darauf zu achten war, dass diese in möglichst kleinen Schritten und leicht verständlichen Abschnitten verfasst wurden. Die alltägliche Praxis beim Verfassen der Einträge auf diesem Onlineportal hat ebenfalls mit dazu beigetragen. Selbst hier war zu erfahren, dass selbst in diesem Format allzu lange Texte einen deutlichen Aufmerksamkeitsschwund zu verzeichnen hatten.
Nun haben wir es als Journalisten gelernt, Texte im Format "1:30", d.h. von 1 Minute 30 Sekunden aufzusagen. Und bei der Ankündigung der letzten eigenen Veranstaltung ging es sogar darum, Texte von maximal 20 oder 40 Sekunden zu präsentieren, die dann auf Facebook oder Instagram veröffentlicht wurden.
Im Verlauf der Veranstaltung selbst, war dann zwar möglich, auch längere Gesprächsformate erfolgreich zu inszenieren und nach guter Vorbereitung daraus auch den einen oder anderen Erkenntnisgewinn ableiten zu können. Aber auch hier spielten neben der Präsenz einzelner Protagonisten die der audiovisuellen Medien eine große Rolle.
Das vergangene Jahr war also gar nicht so sehr von Hemmnissen geprägt, die die inhaltliche Bewältigung des Stoffes hätten signalisieren können, es ging vielmehr darum herauszufinden, wie es gelingen kann, solche Themen von großer Tragweite in einem Format unterzubringen, das zwar in einer langen Tradition wissenschaftlich qualifizierter Texte steht, aber auf der anderen Seite neuen Nutzergewohnheiten gegenübersteht, die das Thema der Lesemotivation neu bestimmen.
In dieser Zeit wurden eine Reihe von verschiedenen Versuchen gestartet, um diesen Herausforderungen auf einem produktiven Weg entsprechen zu können. Nicht nur auf dieser Online-Plattform, sondern auch mit anderen kürzeren Publikationen, aber auch mit eigenen Video und Radiobeiträgen. Die dabei gemachten Erfahrungen waren ermutigend und haben unter Beweis gestellt, wie wichtig und bedeutsam das hier zu behandelnde Thema ist. Zugleich aber wurde auch deutlich, dass es sehr viel leichter ist, unter Verwendung von audiovisuellen Mitteln und einer inspirierenden interpersonellen Kommunikation diese Themen auch wirkmächtig entfalten zu können.
Und so klafften in der nun vergangenen Zeit die mit hohem wissenschaftlichem Anspruch erstellten Texte immer mehr auseinander mit diesen anderen zwischenzeitlich gewählten Ausdrucksformen.
Was also tun?
Folgendes zeichnet sich ab:
– Ein Buch ist und bleibt ein Buch und die durch seine Produktion und Rezeption gegebenen Gesetzmäßigkeiten können nicht einfach per se aufgrund der aktuellen Herausforderungen aufgehoben werden.
– Da die audiovisuellen Möglichkeiten heute noch ungleich wichtiger geworden sind, sind sie auch in diesem Kontext nicht wegzudenken und bedürfen einer eigenen zusätzlichen Plattform, die in dem Buch selbst nicht zu realisieren ist.
– Das ist deshalb von besonderer Bedeutung, da die Grundlage dieser Arbeit eine Sammlung von mehr als 100 Interviews ist, in dem die Beteiligten immer wieder aufs Neue danach befragt wurden, was für sie die möglicherweise größte Herausforderung nach der Digitalisierung sein könnten.
– Die Funktion des Buches ist ja, aus diesen vielen einzelnen Aussagen ein kohärentes Kompendium zu entwickeln, indem auf die mehr als ein Jahrzehnt andauernden Interviews zurückgeblickt werden kann und zugleich gewagt wird, auf zumindest zehn weitere Jahre vorauszublicken.
– Wir werden also dokumentieren, wie auch von anderer Seite solche Ausblicke gewagt wurden und es wird sogleich von Interesse sein zu sehen, wie Ausblicke aus früheren Jahrzehnten in der Auseinandersetzung mit der aktuellen Wirklichkeit Bestand gehabt hatten oder nicht.
– Daraus lassen sich Konsequenzen ableiten, die da bedeuten, dass frühe Scheib-Versuche keine Gültigkeit mehr haben können, in denen etwa versucht wurde, in "zehn Geboten" die wichtigsten Herausforderungen für die zukünftigen Jahrzehnte zu formulieren oder gar vorherzusagen.
– Andererseits wurde klar, dass der Verweis auf die Verantwortung eines jeden einzelnen von uns nicht bedeutet, dass es auch kollektive Herausforderungen gibt, die es zu bewältigen gilt. Daher wurde die Entscheidung getroffen und inzwischen auch erprobt, dieses gesamte Spektrum der für die Zukunft wichtigen Werte in Form eines Alphabets aufzuführen, in dem von A bis Z die für die Zukunft wichtigsten Begriffe zusammengeführt und erläutert werden.
Darüber hinaus gibt es zwei grundsätzliche Positionen, die einen wesentlichen Einfluss auf die immer noch anstehenden Arbeiten hatten. Erstens: um der Versuchung einer zu hohen Verwissenschaftlichung zu entkommen, wurde mehr und mehr die Arbeit an der Tastatur durch den Einsatz der Stimme und eines Mikrofons sowie einer entsprechend qualifizierten Software ersetzt. Zweitens: nach sehr intensiven Versuchen im Umgang mit den neuen Möglichkeiten von generischen Large Language Models wird bei der Genese dieser Texte fast vollständig auf diese Möglichkeiten verzichtet werden.
Zu beiden Punkten jeweils kurze, weitere Hinweise.
Erstens: oftmals wird hier die Möglichkeit, einen Text diktieren zu können als eine Arbeitserleichterung beschrieben. Das mag auch hier insoweit gelten, da die langjährige Tätigkeit mit Mikrofon (und Kamera) eine gewisse Fertigkeit des Sprechens mit sich gebracht hat. Viel entscheidender ist aber, dass mit diesem Mittel versucht wird, sich nicht allzu sehr in Details und einer Überzahl von Anmerkungen und ergänzenden Hinweisen zu verlieren. Von dieser in Fleisch und Blut übergegangenen Praxis Abschied zu nehmen, oder sich zumindest davon diktierend zu distanzieren, hat lange Zeit in Anspruch genommen und bedarf immer noch der weiteren Übung.
Zweitens: im Verlauf dieses Jahres wurden – sowohl kollektiv als auch individuell – eine Reihe von Sendungen zu dem Thema der künstlichen Intelligenz vorbereitet und produziert, es wurden dazu weitere Texte geschrieben und Vorträge gehalten. Am Ende dieser Entwicklung stand die These, dass wir jetzt in einem Zeitalter leben, in dem es darum geht, nach dem Mechanical Turk mit einem neuen Phänomen fertig zu werden, das aus meiner Sicht erstmals als Digital Turk benannt und erläutert wurde. Darüber zu schreiben wird nicht Schwerpunkt dieses Buches werden, wenngleich auch der aktuelle Diskussionsstand danach zu rufen scheint. Aber es war wichtig, spätestens im Verlauf dieses Jahres hier eine eigene Position entwickelt und bezogen zu haben, die auch über die nächsten schnelllebigen Veränderungen hinaus Bestand haben könnte.
In Zeiten, in denen einer meiner früheren Verlage, Suhrkamp, nunmehr von einem Industriellen aufgekauft wurde [1], in dem mein jetziger Verlag, die Springer Nature AG & Co. KGaA, sich am 4. Oktober in eine Aktiengesellschaft ’verwandelt’ hat [2], ist es wichtiger denn je, eine eigene Position gefunden zu haben, die nicht nur auf der inhaltlichen Seite einen Erkenntnisgewinn verspricht, sondern die auch auf der formalen Seite die Chance in sich trägt, sich über den Tag hinaus vermitteln und bemerkbar machen zu können.
In diesem Sinne obliegt es der Arbeit in den noch verbleibenden Monaten, diese sogenannten produktiven Umwege nunmehr zu einem ebenso überzeugenden wie auch gut kommensurablen Ergebnis zu führen.
Danke für das Interesse!
WS