Berliner Kinos mit digitalen Delicatessen

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 2. März 2005 um 16 Uhr 18 Minuten

 

... während am vergangenen Sonntag, den 27. Februar 2005, die Betreibergesellschaft des "Babylon" sich von seinen Zuschauern mit dem Film "Golem" und einem Glas Wein verabschiedet hat
 [1], beginnen nach dem fulminanten
Start im November letzten Jahres heute eine Reihe von Kinos ihre digitale Programmausstrahlung mit dem Film "The Swenkas" von Jeppe Rønde. [2]

Laut der Website "delicatessen" "Kino Kultur digital" sind dies in der Region Berlin-Brandenburg:

Hackesche Höfe Filmtheater
Rosenthaler Str. 40/41
10178 Berlin
Tel.: 030 / 30 87 25 10

Filmkunst 66
 [3]
Bleibtreustr.2
10623 Berlin
Tel.: 030 / 88 67 92 17

Thalia
Rudolf-Breitscheid-Sr. 50
14482 Potsdam
Tel.: 0331 / 74370 - 20

Hofgarten-Kino
Puschkinstr. 1
14806 Belzig
Tel: 033841-38 08 88

Helmut Merschmann hat sich in TELEPOLIS vom 01.03.2005 unter Verwendung des auch hier bereits annoncierten Titels: "Digitale Delikatessen" wie folgt geäussert:

Mit einem anspruchsvollen Filmprogramm startet morgen in 8 Ländern zur selben Stunde ein Prestigeprojekt des digitalen Kinos, die "European DocuZone"
Wirft man einen Blick in die wohl nicht mehr ferne Zukunft des Kinos, dann hat sich vor allem dessen Distribution bald revolutioniert. Statt kilometerlanger Zelluloidstreifen
 [4] fließen Datenströme erst durch den Äther und dann durch einen Digitalprojektor, um als Film auf der Leinwand zu erscheinen. Per Satellit gelangt frische Hollywood-Ware direkt in die Kinos, wird auf Festplatten zwischengelagert und per Knopfdruck abgespielt. Verregnete Filmstreifen sind dann Schnee von gestern.
Eine stets gleich bleibende Qualität, schnelles Reagieren auf den Publikumszuspruch sowie eine bessere Abspielkontrolle durch den Verleiher gelten als Vorzüge des digitalen Kinos. Seit Jahren ist hiervon die Rede, doch das Unterfangen kam so recht nicht voran. Den Vorzügen standen stets hohe Technikkosten und eine anfangs unzureichende Projektionsqualität gegenüber: Auf der einen Seite der Verzicht auf kostspielige Zelluloidkopien in Tausenderauflage sowie deren Versand und spätere Entsorgung; auf der anderen Seite bis zu 150.000 Euro Kosten pro Digitalprojektor samt Server sowie mangelnde Farbreinheit und ein ins Gräuliche tendierendes Schwarz.

Dass nun die European DocuZone [1], ein sich auf Dokumentar- und Arthouse-Filme kaprizierendes Projekt, mit der Realisierung des digitalen Kinos eher am Start ist als die amerikanischen Majors, muss als besondere Volte der Kinogeschichte erscheinen. Seit über zwei Jahren streiten die Amerikaner im Rahmen ihrer "Digital Cinema Initiative" (DCI [2]) über Qualitätsstandards (sowie darüber, wer die teure Kinotechnik bezahlen soll). Doch jetzt wird mit der Eröffnung der DocuZone alternative Kinokost noch vor dem Hauptgang des Mainstream serviert. Dennoch profitieren vom digitalen Kino und den neuen Distributionsstrukturen im großen Maßstab wohl vor allem die Majors. In deren Augen ist die DocuZone ein interessanter Feldversuch, der die Publikumakzeptanz von digitalem Kino auszuloten hilft.

Die Geschichte der DocuZone mutet etwas wunderlich an, so wie die von David und Goliath. Als der niederländische Produzent Kees Ryninks vor Jahren feststellte, dass zu viel Geld für den Transfer von Dokumentarfilmen auf 35-mm-Kopien ausgegeben wird, rüstete er in Holland zwölf Kinos mit hochwertigen Digitalprojektoren aus, um regelmäßig Dokumentarfilme zeigen zu können. Ohnehin waren die häufig auf digitalem Material (DV oder Digi-Beta) gedreht worden.

Der sich schnell einstellende Erfolg der holländischen DocuZone inspirierte Björn Koll, Geschäftsführer der Berliner Salzgeber & Co. Medien GmbH, ein ähnliches, jedoch ungleich größeres Projekt zu initiieren: eine "European DocuZone". Inzwischen wollen insgesamt etwa 140 Kinos in acht europäischen Ländern daran teilnehmen. Ausgestattet mit digitalem Equipment werden diese Filmtheater an einem "paneuropäischen Kinotag" - man hat sich auf den Mittwoch geeinigt - etwa zur gleichen Zeit denselben Film zeigen. Europäische Integration qua Kinosessel - das war der deutschen Kulturstaatsministerin den Innovationspreis 2003 [3] der Filmförderung wert.

Auch für Brüssel ist die DocuZone ein Renommierprojekt und wird vom MEDIA-Programm zu 25 Prozent finanziell großzügig unterstützt. Weitere 25 Prozent sind vom Kino aufzubringende Eigenmittel, die im Rahmen eines Leasingvertrags erzielt werden sowie 50 Prozent durch die regionale Filmförderung. In aufwändigen Testläufen [4] haben sich die Teilnehmer im Sommer letzten Jahres auf ein Equipment geeinigt, das einen digitalen DLP-Projektor der jüngsten Generation von Panasonic mit einer Lichtstärke von 7000 ANSI Lumen vorsieht, einen aktualisierbaren Software-Server von GDC Technologies und eine Satellitenempfangseinheit. Das System ist für eine 2k-Auflösung (1920x1080) ausgelegt, was dem hoch auflösenden HDTV-Standard 1080i entspricht und beispielsweise vom bislang einzigen HDTV-Fernsehsender EURO1080 [5] eingesetzt wird.

Zum Vergleich: Die amerikanische DCI fordert eine Mindestauflösung von 4k, doch sind solche Projektoren noch gar nicht verfügbar. Gleichwohl ist die 2k-Technologie qualitativ so hochwertig, dass mit ihr mittlere bis große Kinosäle problemlos bespielt werden können. Dessen kann man sich auf Filmfestivals wie der Berlinale versichern, wo dieses Jahr mehr als fünfzig Filme digital vorgeführt wurden.

In einem Playout-Center werden die Filmdaten nachbearbeitet, encodiert und verschlüsselt. Sowohl die filmischen Digitalformate wie DigiBeta oder HD als auch herkömmliche 35mm-Negative lassen sich verarbeiten. Per Satellit gelangen die Daten dann auf die Festplatten der Kino-Server, von wo aus sie als Filmbild auf die Leinwände gebeamt werden. Auf die Kinos kommen beim gegenwärtigen Leasing-Modell etwa 1.300 Euro Jahreskosten sowie eine Nutzungsgebühr von 50 Euro pro DocuZone-Kinotag zu. Abseits dessen steht ihnen frei, das technische Equipment für eine Lichtgebühr von drei Euro pro Stunde anderweitig zu nutzen. Beispielsweise könnten sie digitale Filme zeigen oder (Pay-TV-)-Fernsehprogramme wie Fußballübertragungen und Live-Konzerte.

Die Programmstruktur der DocuZone, die sich in Deutschland Delicatessen [6], in Frankreich Novociné [7], in Spanien Parallel40 [8] und in Portugal 7th Kult [9] nennt, sieht Spiel- und Dokumentarfilme im Wochenrhythmus vor. Einmal im Monat wird ein Film europaweit zusammen mit den angeschlossenen Partnerhäusern gezeigt. Den Auftakt macht am 2. März der dänische Dokumentarfilm "The Swenkas" von Jeppe Rønde, der südafrikanische Farmer und Arbeiter beim Saturday Night Fever porträtiert. Der Film ist in 90 europäischen und 42 deutschen Kinos [10] quasi zeitgleich zu sehen. An den übrigen Mittwochabenden läuft in den einzelnen Ländern ein anspruchsvolles Programm mit internationalen Filmen. Die Frühjahrssaison, bestehend aus 13 Streifen, ist bereits terminiert [11]. Darunter der unter den Baumwipfeln im Dschungel von Guyana spielende "The White Diamond" von Werner Herzog (9.3.) sowie "Das Goebbels Experiment" von Lutz Hachmeister (13.4.).

Links:

[1] http://www.delicatessen.org
[2] http://www.dcimovies.com/
[3] http://www.bundesregierung.de/Politikthemen/Medien/Nachrichten-,822.552924/pressemitteilung/Kulturstaatsministerin-Weiss-v.htm
[4] http://www.docuzone.de/index.php?testbed
[5] http://www.euro1080.tv/
[6] http://www.delicatessen.org
[7] http://www.novocine.com
[8] http://www.parallel40.com
[9] http://www.7th-kult.com
[10] http://www.delicatessen.org/kinos.html
[11] http://www.delicatessen.org/film.html

Anmerkungen

[1Die letzte Vorstellung ...
Vorerst letzte Filmvorführung und Finissage bei Bild, Ton und Wein im „Babylon“ am 27.2.
Mit der Vorführung von Peter Bogdanovichs Filmklassiker „Die letzte Vorstellung“ wird sich am 27. Februar im „Berliner Filmkunsthaus Babylon“ zum vorerst letzten Mal der Vorhang senken. Wie bekannt, sucht der Berliner Kultursenator für das Traditionshaus am Rosa-Luxemburg-Platz einen neuen Betreiber. Nachdem dem Verein "Berliner Filmkunsthaus Babylon" am letzten Donnerstag von der zuständigen Staatssekretärin mitgeteilt wurde, dass er als Betreiber des kommunalen Kinos Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz nicht mehr in
Betracht komme, obwohl er von der eigens vom Kultursenator eingesetzten Findungskommission präferiert wurde, entschloß er sich, die vereinbarte Übergangsbespielung nicht mehr zu verlängern, da das Interessenbekundungsverfahren immer mehr zu einer Farce verkommt. Nach 15 Jahren Bespielung des historischen Kinos durch den Verein ist damit wegen der sachlich nicht nachvollziehbaren Politik des derzeitigen Kultursenators keine weitere Programmierung möglich.

Am 27.2. wird um 19:00 Uhr mit Paul Wegeners „Der Golem, wie er in die Welt kam“ noch einmal der Stummfilmklassiker zu sehen sein, mit der das mit Unterstützung des Landesamtes für Denkmalpflege, der Stiftung Deutsche Klassenlotterie und der Hausverwaltung aufwändig restaurierte Haus im Mai 2001 wiedereröffnet wurde. Die Kulissen für Wegeners Film aus dem Jahre 1920 schuf der Architekt Hans Poelzig, in dessen Stil der „Neuen Sachlichkeit“ auch das 1929 eröffnete Kino „Babylon“ entstand. Die Vorführung des Films wird musikalisch live begleitet von Jürgen Kurz an der hauseigenen Philips-Kinoorgel, der einzigen Kinoorgel, die sich deutschlandweit heute noch am Originalstandort befindet.

In der anschließenden Spätvorstellung um 21:30 läuft Bogdanovichs Thriller „Die letzte Vorstellung“. Gleichzeitig lädt der Berliner Filmkunsthaus Babylon e.V. alle Kooperationspartner und Zuschauer zu einer Finissage bei Bild, Ton und Wein ein, um sich für die Zusammenarbeit und Treue der letzten Jahre zu bedanken.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Kino Babylon; BERLINER FILMKUNSTHAUS

BABYLON; Rosa - Luxemburg - Str. 30; 10178 Berlin; Tel. 24 085 419; Fax 24 24 510; Email office@fkh-babylon.de; http://www.fkh-babylon.de

[2Dänemark 2004, 72’, Farbe, OmU.
Sie sind Farmer oder Arbeiter im heutigen Südafrika. Am Wochenende, wenn sie das Saturday Night Fever packt, streifen sie ihre schmutzigen Overalls ab und schlüpfen in die feinsten Klamotten. In gestylten Outfits präsentieren sie sich in Johannesburg auf einer Modenschau für Männer. Die SWENKAS, so nennen sich diese Verwandlungskünstler, zelebrieren stolz diesen Kult. Mit edlen Designer-Anzügen von Pierre Cardin oder Carducci, schicken Seidenhemden und Krawatten, blank geputzten Lackschuhen und eleganten Hüten posieren sie vor einer Jury, die nicht nur ihre Garderobe, sondern auch die Performance bewertet. Swanken bedeutet weitaus mehr, als nur teure Designer-Kleidung zu tragen, sondern ist zugleich eine Lebenshaltung und ein Stil. Untrennbar damit verknüpft ist die Kunst der Freizeit-Dressmen, sich mit tänzerischen Schritten und viel Gespür für Musik und Rhythmus geschmeidig und fließend auf der Bühne bewegen. Dem Gewinner dieser Show winken Geldpreise und zu bestimmten Anlässen wie Weihnachten darf er sogar eine Ziege oder Kuh mit nach Hause nehmen. Woher dieser rituelle Wettbewerb stammt und wie lange er schon existiert, weiß niemand so genau. Und wie so viele Traditionen aus der alten Welt, ist nicht vorher zu sehen, wie lange sie noch existieren werden.THE SWENKAS erzählt von dem jüngsten Dressman Sabelo, der vor der ereignisreichsten und wichtigsten Woche seines Lebens steht. Erst vor ein paar Tagen musste er seinen Vater beerdigen, die charismatische Symbol- und Führerfigur der SWENKAS. Und eine Woche später wird Sabelo heiraten. Der junge Bauarbeiter, der nun für den väterlichen Hof und die Familie sorgen muss, weiß nicht, ob er das nicht gerade billige Styling-Vergnügen fortsetzen kann. Für den neuesten Anzug hatte er 200 US-Dollar hingelegt. Auch zu übermächtig scheint das Erbe des Vaters. Doch die Familie wie die Mitglieder der SWENKAS setzen darauf, dass der junge Sabelo diesem Ritual treu bleibt und dazu beiträgt, dass dieser Brauch der Zulus nicht ausstirbt. Sabelo und seine Familie brechen auf in eine Zukunft, in die sie große Hoffnung setzen im Vertrauen auf das Wissen und die Werte, die sie von ihren Vätern übernommen haben.Der dänische Regisseur Jeppe Rønde hat sich den SWENKAS in einem narrativen Dokumentarstil genähert mit einer poetischen, metapernreichen Bildsprache voller Musikalität. Und er zeigt Südafrika in der Post-Apartheids-Ära als ein Land im Umbruch zur Moderne, das sich seiner afrikanischen Wurzeln und Mythen aber bewusst ist und sie pflegt.

[3Nach Sichtung der hier aktivierten Website und telefonischer Nachfrage wurde am Nachmittag des 2. Februar 2005 gegen 16 Uhr die Aufkunft erteilt, dass die Vorführung von "The Swenkas" verschoben worden sei.

[4An dieser Stelle antwortet sogleich am 1. März 2005 um 2:06 Uhr unter dem Titel: "Nichts für ungut, aber..." ein sehr aktiver Mit-Leser Namens "Stullkowski", dass es das
mehrfach erwähnte Zelluloid im Kinobereich wegen
Brandschutz schon seit Mitte der 50er Jahre nicht mehr gäbe.
Es wurde
damals peu à peu durch den nichtbrennbaren Acetatfilm (genauer:
Triacetat) ersetzt. Das ist immerhin schon ein halbes Jahrhundert
her, gell?
Der Acetatfilm seinerseits wurde seit Anfang der 80er nach und nach
durch den ebenfalls nichtbrennbaren Polyesterfilm ersetzt.
Polyesterfilm ist nämlich nahezu unzerreißbar, weswegen der
klassische Filmriß seitdem ein seltenes Ereignis geworden ist. Seit
Mitte der 90er gibts daher im Kino ausschließlich Polyesterfilme.


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