EES-Camp Report (II)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Sonntag Letzte Bearbeitung: 20. April 2025 um 23h51min

 

Im Anschluss an den vorangegangenen Beitrag wird von diesem Ort aus ...

... berichtet werden, nachdem die 48-stündige Enklave beendet sein wird.

Bericht vom Vorabend

Das Ende des vorangegangenen Abends wurde eingeleitet mit einem ersten ‚Tabubruch‘, der Beginn des heutigen Tages mit einem zweiten. Aber der Reihe nach.

Gegen Ende des vorangegangenen Tages, es mag so zwischen neuen und zehn Uhr gewesen sein, kam mir das ganze Szenario zunehmend unpersönlich, ja steril vor. Da hast Du schon auf der Arbeit zumindest drei Monitore fortlaufend aktiviert, und hier sind es 24. Ich verwende auch wenig Energie darauf, herauszufinden, nach welchem ‚Strickmuster‘ diese Bewegungsabläufe vorprogrammiert sind oder was es mit den hinter den Monitoren befindlichen Blackboxen auf sich hat. Und das finde ich gut so.

Da aber diese fehlende Nähe auch in keiner anderen Art und Weise kompensiert werden kann, trotz der ansonsten durchaus geschmackvoll eingerichteten Räume, kommt mir ein Abstecher in die gleich danebenliegende altberliner Kneipe mit eben diesem Namen in den Sinn. Ob dieser Abbruch der Kontinuität eine negative Auswirkung auf den ‚Heilungs‘-verlauf haben würde? Da die Wirkung der Strahlungen – angeblich – auf eine Entfernung von bis zu 3 Kilometern nachweisbar sei, sollte sich auch nicht ausgerechnet von allein jener Wand ausgebremst werden, die zwischen dem Ruheraum und dem benachbarten Tresen liegt.

Gedacht, getan, der Aufbruch ins menschelnde „Alt-Berlin“ ist beschlossene Sache, die Bequemklamotten – jeden Tag ein neues Set – werden mit der Strassenkleidung ersetzt und der kurze Weg in die unmittelbare Nachbarschaft kann beginnen.

Kaum ward die schwere Eingangstüre geöffnet – nach aussen natürlich, so wie es sich gehört – war klar, dass ich eine gute Entscheidung getroffen hatte. Es gab eine Reihe von Leuten an den Tresentischen und hinten am Pooltisch, aber es war gleich vorne für den neu eingetroffenen Gast noch ein Platz frei.

Ein Bier und eine Boulette? Nein, zu essen gäbe es nichts mehr, da man sich haben entscheiden müssen, weiterhin die Küche zu betreiben oder ein Raucherlokal zu bleiben. Und man habe sich für das Letztere entschieden. Aber es wird zum Fassbier – es gibt vier Sorten zur Auswahl, auch eines von einer lokalen Brauerei - ein Glas mit Erdnüssen serviert. Der Rest ist schnell erzählt: Das Bier ist gut gezapft, die Nüsse schmecken, der Dialog mit der Frau hinter dem Tresen freundlich… und als die Nachbarn zahlen, lege ich auch gleich einen Schein auf den Tresen und bin bass erstaunt, dass ein Nullkommafünfer nicht einmal einen Fünfer kostet.

Bericht vom Mittag

Dieser wird erst geschrieben, als schon Teatime angesagt ist. Denn bis zu diesem Moment gab es zunächst einmal eine Reihe von anderen Dingen zu erledigen. Wozu, um das gleich vorwegzunehmen, ein zweiter Tabubruch gehörte.

Es gab den Wunsch, auf meinem Rechner eine Webseite einsehen zu können. Also wurde dieser in Betrieb gesetzt und über das Tethering-Modul meines Smartphones mit dem Internet verbunden. Auch wenn das wegen mangelnder Übung zunächst mehrerer Anläufe bedurfte, war das Ganze letztlich unproblematisch, erfüllte voll seinen Zweck und wurde dann auch wieder deaktiviert.
Auch diese Entscheidung war gut begründet, erfüllte voll und ganz ihren Zweck und stand dem eigentlichen Ziel dieses Aufenthalts nicht wirklich im Wege.

Dabei geht jetzt in den Nachmittagsstunden schon durch den Kopf, ob und warum das Ganze seinen Wert gehabt haben könnte. Obwohl letztlich nicht das Gehirn, sondern der Körper dazu wird antworten müssen. Je nachdem, wie diese ausfallen wird, wird auch entschieden werden, ob eine solche Klausur nochmals wiederholt werden wird und kann (da doch – selbst bei einem ‚Lockvogelangebot‘ wie diesem - mit hohen Kosten verbunden).

Viel interessanter ist es vielmehr festzuhalten, dass diese Ostertage und -nächte mit kaum einer bisherigen Erfahrung in Bezug gesetzt werden können. Dabei erlaubt diese Ruhezeit hier, sich nochmals Szenen aus vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten zurück ins Gedächtnis zu spielen. Darin sind immer auch andere Menschen beteiligt. Aber auch jene Erfahrung, als Du von allen anderen Dich bis dahin umgebenden Menschen verlassen worden warst, der Tod an der Schwelle Deines Lebens stand, seine Nähe unmittelbar spürbar war, Du in einer Art von ‚Schlaf‘ 36 Stunden abgetaucht warst und von dem Läuten der Osterglocken wiedererweckt wurdest.

Aus ebendiesem Grunde war das Erwachen an diesem frühen Mittag – nach erneut mindestens fünf Traumzyklen – ein ganz besonderes Erlebnis, das nach wie vor den Verlauf dieses Tages bestimmte. Und, um auch diesen Punkt nochmals zu reflektieren, wert ist, festgehalten und erzählt zu werden.

Bei der Einführung zu Beginn dieser Klausur war davon die Rede, dass der Aufenthalt mit dazu beitragen könne, noch glücklicher sein zu können. Meine Antwort darauf lautet, dass es schon ein grosses Glück sei, an jedem Tag wieder erwachen und weiter leben zu können – auch daher lautet der Titel dieses digitalen Kompendiums „DaybyDay“ – und das unter so privilegierten Bedingungen.

C’est tout. WS.


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