„Von Verlust und Zuflucht. Exil“

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 8. September 2023 um 21 Uhr 47 Minutenzum Post-Scriptum

 

Pressemitteilung des Bundespräsidialamtes vom 18. August 2023 zu dieser Veranstaltung, zu der nun auch eine Akkreditierung vorliegt. Im Anschluss zu dieser Veranstaltung wurden die Gäste des Abends vom Hausherren zu einem gemeinsamen Gespräch über diesen Abend in den Garten eingeladen, was für die anwesenden beobachtenden und berichtenden Journalisten (Frauen waren hier nicht zu sehen) nicht gilt. Heute findet dieser Dialog aber allein vor den Monitoren statt - und im zunächst nur virtuellen Beisein meiner Leserinnen und Leser, mit denen nach diesem offiziellen Einladungstext ein eher biografisch geprägter Text mit Reaktionen auf diesen Abend mit-geteilt werden wird.

Bundespräsident Steinmeier lädt zu einem Kulturabend „Von Verlust und Zuflucht. Exil“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier richtet am Mittwoch, den 23. August 2023 um 19 Uhr in Schloss Bellevue einen Kulturabend zum Thema Exil aus. Im Mittelpunkt der Veranstaltung mit dem Titel „Von Verlust und Zuflucht. Exil. Ein Kulturabend“ stehen Exilerfahrungen von Künstlerinnen und Künstlern und insbesondere ihr literarisch-künstlerisch-intellektueller Umgang mit dem Verlust ihres Sprachraums, des Sprachpublikums und sprachlich vermittelter Identität. Literarische Beiträge kommen von Herta Müller, Senthuran Varatharajah, Yassin al-Haj Saleh, Aslı Erdoğan und Kateryna Mishchenko, musikalisch tragen Cymin Samawatie und Mona Matbou Riahi zu dem Abend bei. Der Bundespräsident wird eine Ansprache halten.
Mit dem Kulturabend erinnert der Bundespräsident daran, dass Deutschland seit Jahrzehnten ein Land der Zuflucht geworden ist, das verfolgten, vertriebenen und um ihr Leben fürchtenden Künstlerinnen und Künstlern sowie Intellektuellen Schutz bietet. Zugleich war Deutschland unter der Nazidiktatur ein Land, aus dem zahlreiche Schriftsteller, Intellektuelle und Künstlerinnen fliehen mussten. Ob Jean Améry, Anna Seghers oder Thomas Mann – sie alle teilten das Schicksal, aus ihrer Sprachheimat vertrieben worden zu sein.
Folgende Künstlerinnen und Künstler tragen zu dem Kulturabend bei:
Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, im rumänischen Banat aufgewachsen und seit 1987 in Deutschland lebend, zählt zu den wichtigsten Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Senthuran Varatharajah, Schriftsteller, Philosoph und Theologe, ist in Sri Lanka geboren. Seine Familie flüchtete vor dem Bürgerkrieg, als er vier Monate alt war, er wuchs in Oberfranken auf. Mit zwei sprachmächtigen Büchern hat er sich einen Namen als Autor gemacht.
Der Schriftsteller Yassin al-Haj Saleh verbrachte 16 Jahre in syrischen Gefängnissen und gilt als „das Gewissen der syrischen Revolution“.
Aslı Erdoğan zählt zu den international bekanntesten Schriftstellerinnen der Türkei. 2016 wurde sie wegen ihrer Tätigkeit als Kolumnistin der türkisch-kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem verhaftet. Unter Auflagen freigelassen, lebt sie seit 2017 in Deutschland im Exil.
Die Essayistin und Übersetzerin Kateryna Mishchenko ist Mitbegründerin des unabhängigen Verlags Medusa in Kiew sowie der Zeitschrift „Prostory“ für Literatur, Kunst und Gesellschaftskritik. Ihre Essays sind international erschienen.
Das musikalische Programm des Abends gestalten die Sängerin, Pianistin, Dirigentin und Komponistin Cymin Samawatie, ausgezeichnet mit dem Deutschen Jazzpreis und dem Jazzpreis Berlin, und die Klarinettistin und Komponistin Mona Matbou Riahi. Samawatie begleitet und unterstützt als Mentorin seit mehr als zehn Jahren in Deutschland ankommende Musikerinnen und Musiker.

Das ist es, so wie oben schon angedeutet: Du wirst eingeladen als Beobachter, ja vielleicht sogar als Berichterstatter, aber nicht als Gast. Du bleibst allein. Dein Publikum, das sind nicht die anderen Eingeladenen und Anwesenden, sondern es sind all jene, die Dich schon aus früheren Beiträgen in Deiner Publikation - alltäglich verfasst seit 2004 - kennen, oder die vielleicht an diesem Tag das erste Mal auf diese Lektüre stossen.

So war es, als der junge Autor als der erste Auslandskorrespondent der "tageszeitung" taz nach Paris kam: Du schreibst zunächst aus Frankreich für die Deutschen. Nach Jahren wirst Du dann eingeladen, in Frankreich über die Deutschen zu schreiben. Wovon aber in all diesen grenzüberschreitenden Texten nie die Rede war, das war der Anlass, warum es geboten schien, Deutschland zu verlassen.

An der sogenannten Roten Kaderschmiede, der Universität Bremen über Bert Brecht promoviert, und zwar über dessen Exil-Drama "Die Tage der Commune" [1], galt der so ’fertig’ ausgebildete Theatermann und Filmemacher [2] für eine ordentliche Professur an einer Universität in Deutschland als ’unberufbar’. Und in der DDR? In Ost-Berlin nach fast fünf Jahre in Brechts Haus in der Chaussestrasse forschend, von dem Angebot überrascht, zu bleiben und als Dramaturg ans Berliner Ensemble zu kommen. Eine Berufung, die in einem mehrstufigen Verfahren nach und nach durch alle Hierarchien bis hin zum Ministerium für Kultur sanktioniert, dann aber schlussendlich in einer nicht dokumentierten Entscheidung der Mitglieder des Staatsrats der DDR abgelehnt wurde. Einen Österreicher als Hausherren des Berliner Ensembles zu akzeptieren, war gerade noch möglich gewesen, einen Westdeutschen als Dramaturg an diesem Hause dagegen nicht.

Jetzt zum Beginn dieses Abends erneut die Stimme von Georg Sefan Troller [3] aus Paris zu hören

macht schlagartig deutlich, dass auch die eigene nachfolgende Zeit von mehr als einem Jahrzehnt in Frankreich die eines Exils war. Geprägt von vielen jener Faktoren, die im Verlauf dieses Abends mehrfach zur Sprache kamen. Aber auch bestimmt von dieser Assimilation in einem einst ’fremden’ Land: Durch das Erlernen der Sprache, Heirat und den Angeboten von (nacheinander) zwei Freimaurerlogen, bei diesen um eine Mitgliedschaft anzusuchen.

All das geht mir alsbald durch den Kopf... und dabei hat der eigentliche Abend noch gar nicht begonnen.

Dann geht es Schlag auf Schlag:

Der Aufruf von Mona Matbou Riahi

und die nachfolgende Einführung von Cymin Samawatie

vor allem aber ihr grossatig filigranes wie wirkmächtiges Zusammen-Spiel

erinnern an den Kampf der eigenen Mutter Käte van Tricht [4], die, als Jüdin angezeigt, nur dadurch überlebte, dass sie als eine aussergewöhnliche Pianistin und Sängerin von den Militärs an die unterschiedlichsten Fronten geflogen wurde, um dort vor den Offizieren aufzutreten.

Als Frank-Walter Steinmeier spricht [5] und in Sachen Belarus eindeutig Position bezieht

Ich will eine deutliche Nachricht an den Machthaber Lukaschenko richten: Ihr Regime ist verantwortlich für das Leben dieser Menschen. Wir schauen nicht weg. Wir vergessen Maria Kolesnikowa und Maxim Znak und all die anderen nicht!

führt kein Weg daran vorbei, an jene persönlich bekannte Menschen zu denken, die von dort aus geflohen und heute nach Kräften hier vor Ort mit unterstützt werden [6].

Zu jeder der nachfolgend auftretenden Persönlichkeiten wäre es möglich, noch eine weitere eigene Geschichte hinzuzufügen. Wir nennen hier, als einen für alle, Senthuran Varatharajah. Nach dem Bürgerkrieg in seinem Lande wurden wir als "Institut für Rundfunk und Internationale Satellitenkommunikation", IRIS, in Deutschland angefragt, für die nach Europa Geflüchteten einen eigenen Satellitenkanal aufzubauen und einzurichten. Der eigenen Bereitschaft, dieses zu tun, wurde im professionellen Umfeld zum Teil heftig widersprochen: diese Leute seien unzuverlässig und letztlich für ein solches Projekt nicht liquide genug, hiess es. Als dann dennoch alles vollbracht und der Transponder auf Astra angemietet war... verstarb völlig unerwartet der Spiritus Rektor des ganzen Projektes - und zu der persönlichen Trauer kam nun noch das laute "haben wir es doch gewusst"-Geschrei der eigenen Branche [7].

Soll all das hier Gesagte in der Folgezeit noch mit weiteren Beispielen, Zitaten und O-Tönen unterlegt werden? Oder nimmt dieser Beitrag dann eine Dimention an, die diesem Format nicht angemessen ist? Zunächst nur die Bitte, noch nicht aus diesem Text zu zitiere: Ein bis dato eher aussergewöhnlicher Versuch, mit sich allein darüber im Klaren zu werden, was sonst vielleicht in den Gesprächen mit den Gästen und Protagonisten dieses Abends hätte erörtert werden können.

Aber dass dieser Text jetzt zumindest hier in seinen Anfängen niedergeschrieben wurde, ist Ausdruck der Kraft und Qualität dieses Abends.

WS.